Hilfe von oben: Yemisi Ogunleye vertraut auf Gott (Foto: IMAGO, Beautiful Sports)

Sporthelden 2023 | Leichtathletik

Yemisi Ogunleye: Vom Mobbing-Opfer zur starken Persönlichkeit

Stand
AUTOR/IN
Johannes Seemüller
Johannes Seemüller, SWR-Sportjournalist (Foto: SWR)
EIN FILM VON
Inken Pallas

Yemisi Ogunleye war bei der Leichtathletik-WM 2023 in Budapest einer der wenigen deutschen Lichtblicke. Die Kugelstoßerin begeisterte durch ihre Leistung und Lebensfreude. Dabei war sie als Kind schüchtern und wurde diskriminiert.

"Jaaaaaaaa". Yemisi Ogunleye schrie ihre Freude hinaus. Soeben hatte sie die vier Kilogramm schwere Eisenkugel explosionsartig aus dem Ring befördert. Ein perfekter Stoß. Die 24-Jährige wusste gar nicht, wohin mit ihren Emotionen. Sie rannte wie von der Tarantel gestochen auf die Tartanbahn des riesigen Budapester Stadions. Sie klatschte in die Hände, reckte ihren Arm in die Höhe und rief laut "Jesus". Dann schaute sie zur Anzeigetafel: 19 Meter 44. Noch einmal jauchzte sie vor Glück. Persönliche Bestleistung für die deutsche Kugelstoßerin.

Auf den Zuschauerrängen lagen sie sich in den Armen: ihre Mama, die Trainerin, Freunde - und ihr Pastor. "Er kennt mich, seit ich klein bin", sagte sie später in der Interviewzone zu den erstaunten Journalisten. "Jetzt erlebt er mich hier auf der größten Bühne meines Lebens. Ich wusste gar nicht, dass er nach Budapest kommt."

Hinter der Sportlerin liegt ein langer, beschwerlicher Weg. Sie war ein "Underdog" und kämpfte sich in die Weltklasse. Dies alles, sagt sie, habe sie Gott zu verdanken.

"Er hat mir die Zuversicht gegeben, trotz aller Rückschläge weiterzumachen. Der Glaube ist mein Antrieb."

Wenn die Hautfarbe nicht in Ordnung ist

Yemisi Ogunleye, die fast alle nur "Yemi" nennen, wächst in Bellheim (Rheinland-Pfalz) auf. Sie erlebt eine glückliche Kindheit in der Kleinstadt mit 8.000 Einwohnern. Aber es gibt auch Schattenseiten. Ihre Mutter ist Deutsche, der Vater Nigerianer. "Ich war damals wegen der Hautfarbe meines Vaters die einzige Farbige in der Grundschule und musste unschöne Erfahrungen machen", erzählt sie. Die Klassenkameraden machen sich über sie lustig. Ihre Hautfarbe sei nicht in Ordnung und ihre Nase zu groß. Yemisi fühlt sich minderwertig. "Als Kind und junges Mädchen wusste ich noch gar nicht, wer ich bin. Ich habe es als meine Identität angenommen, was andere über mich sagten."

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Alltagsrassismus erlebt sie auch heute immer wieder. "Mal sind es Blicke, die ich bekomme. Mal sind es Menschen, die mir einfach in die Haare fassen." Als Erwachsene, sagt sie, könne sie aber besser mit diskriminierenden Erfahrungen umgehen. Während ihrer Kindheit hilft ihr der Sport, die Beleidigungen und Hänseleien der Schulkameraden besser zu verarbeiten. "Ich merkte, dass ich beim Sport stark war. Hier konnten mich die anderen Kinder nicht aufziehen, denn ich war ihnen überlegen."

Schwere Verletzungen als Prüfung

Yemisi beginnt früh mit dem Leistungssport. Erst turnt sie, doch mit 13 wechselt sie zum Siebenkampf in die Leichtathletik. Mit 15 verletzt sie sich schwer. Kreuzband und Menisken sind kaputt, der Knorpel ist beschädigt. Es ist vorbei mit dem Mehrkampf. Also konzentriert sie sich aufs Kugelstoßen und wechselt zu Trainerin Iris Manke-Reimers bei der MTG Mannheim. Mit 16 muss Yemesi erneut unters Messer. Wieder ist das Kreuzband kaputt, der Knorpelschaden hat sich noch verschlimmert.

Zwei schwere Verletzungen mit langen Auszeiten sind eine harte Prüfung für die Jugendliche. Plötzlich hat sie Zeit für andere Dinge. Yemisi besucht, wie früher als kleines Kind, wieder regelmäßig ihre Kirchengemeinde, die Christ Gospel City-Church in Karlsruhe.

Raus aus dem Schneckenhaus

Die Jugendleiterin der Gemeinde kümmert sich liebevoll um sie. "Ich war ein zurückgezogenes Mädchen. Meine Vergangenheit mit dem Mobbing in der Schule hatte mich eingeschüchtert. Ich traute mich nicht, meine Meinung zu sagen. Ich hatte viele negative Gedanken und fühlte mich verloren." Die Jugendleiterin hilft ihr aus ihrem Schneckenhaus heraus.

Yemisi entdeckt auch ihre Stimme neu. Die Chorleiterin der Gemeinde gibt ihr privaten Gesangsunterricht. "An Weihnachten stand ich mit meinen Krücken vorne auf der Kirchenbühne und sang mein erstes Solo", erzählt sie strahlend. Ihre Schüchternheit wandelt sich in Selbstvertrauen. Dankbar blickt sie zurück:

"Ich kam aus der Mobbinggeschichte meiner Kindheit raus. Ich wurde Schritt für Schritt eine starke Persönlichkeit."

Durch Glauben an Gott Lebensfreude zurückgewonnen

Mittlerweile kann sie sich so annehmen wie sie ist - mit ihrer Hautfarbe, ihren Haaren und ihrer Körpergröße. "Gottes Liebe hat mich verändert“, freut sie sich. "Er ist eine wichtige Stütze in meinem Leben." Yemisi empfindet durch diesen Entwicklungsprozess ein großes Plus an Lebensfreude. "Egal, was passiert, Gott hat mein Leben in der Hand. Das nimmt mir komplett den Druck. Ich empfinde eine unbändige Freude, meinen Sport ausüben zu dürfen."

Deshalb will sie sich in den kommenden Monaten voll auf diesen Sport konzentrieren. Ihr großes Ziel: Die Teilnahme an den Olympischen Spielen 2024 in Paris. Sollte es wider Erwarten nicht klappen, wird sie ihr Lebensglück davon nicht abhängig machen. Denn sie hat selbst erlebt: "Erfolge kommen und gehen, Gottes Liebe bleibt."

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Johannes Seemüller
Johannes Seemüller, SWR-Sportjournalist (Foto: SWR)
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