Sebastian Hoeneß, Trainer des VfB Stuttgart (Foto: IMAGO, Sportfoto Rudel)

Fußball | Meinung

Ein Jahr Sebastian Hoeneß als VfB-Trainer - fast nicht in Worte zu fassen

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Sebastian Hoeneß ist am 3. April genau ein Jahr Trainer des VfB Stuttgart. Was der 41-Jährige aus dem vormaligen Kellerkind der Bundesliga gemacht hat, ist schwer zu begreifen, findet SWR-Sportredakteur Johann Schicklinski.

Mal ehrlich: Niemand, der es mit dem VfB Stuttgart hält, hätte letztes Jahr, als Sebastian Hoeneß am 3. April in allergrößter Abstiegsnot auf den geschassten Bruno Labbadia folgte, auch nur im Entferntesten daran geglaubt, dass die Schwaben genau ein Jahr später die beste Saison ihrer Historie spielen und auf Kurs Champions League sind. Dass sie neben Leverkusen den wohl aufregendsten Fußball der Bundesliga zelebrieren und in der abgelaufenen Länderspielpause mit vier Nationalspielern den größten Vereinsblock im Kader von Julian Nagelsmann stellten. Ich glaube nicht, dass das auch nur eine einzige Person so vor zwölf Monaten kommen sehen hat - wer hält dagegen?

Bester Punkteschnitt aller Stuttgart-Trainer in der Bundesliga-Historie

Seit Hoeneß die Geschicke beim schwäbischen Traditionsverein übernommen hat, geht es nur in eine Richtung: steil nach oben. Er hat mit dem VfB jetzt 35 Bundesligaspiele absolviert. Seine Zwischenbilanz fällt überragend aus. Das beweist auch ein Blick auf die Zahlen: Hoeneß holte bislang 70 Punkte - sein Punkteschnitt von 2,00 Zählern pro Partie ist der beste aller Stuttgart-Trainer in der Bundesliga-Historie.

In dieser Saison steht der Erfolgscoach aktuell mit 57 Punkten auf Rang drei - und darf sich trotzdem ärgern, denn es wäre sogar noch mehr drin gewesen. Etwa am Sonntag gegen Heidenheim, als der VfB eine 2:0-Führung etwas überheblich verspielte und am Ende, nach einem wilden 3:3, über einen Zähler froh sein musste.

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Aber auch diese "Enttäuschung" moderierte Hoeneß in meinen Augen wunderbar weg. Er zeigte Verständnis für seine Spieler, deren Konzentration nachließ und die sich an sich selbst berauschten, weil seine Mannschaft in den Wochen zuvor stets Topleistungen gezeigt hat. Gleichzeitig, so Hoeneß weiter, würden die verspielten Punkte die Konzentration im Saison-Endspurt schärfen. Der 41-Jährige ist sich sicher, dass seine Mannschaft daraus lernen wird.

Hoeneß zeigt Verständnis, er findet den Spannungsabfall seiner Spieler menschlich und stellt im gleichen Atemzug Forderungen. Einmal mehr zeigt er sich als gewiefter Pädagoge. Und ein Beinbruch war das Remis gegen den FCH auch nicht. Stuttgart weist ja immer noch 57 Punkte auf. In der abgelaufenen Spielzeit wäre der VfB damit übrigens zum gleichen Zeitpunkt Zweiter gewesen, mit einem Punkt Rückstand auf den damaligen Tabellenführer Bayern München. Das ist zwar hypothetisch, aber es beweist, wie stark Stuttgart unter Hoeneß performt.

Hype rund um den VfB entfacht

Der Erfolgscoach hat eine Mannschaft geformt, die spannenden und erfolgreichen Fußball spielt. Er hat rund um den Verein mit dem Brustring einen Hype entfacht. Selbst die öffentlichen Trainingseinheiten werden von Fans überrannt, nicht selten mit einer vierstelligen Anzahl an Zuschauern.

Was seine Leistung noch mehr aufwertet: Er hat vor genau einem Jahr einen fast hoffnungslosen Fall übernommen, eine "Mission Impossible". Nach 26 Spieltagen der vorherigen Saison war der VfB mit 20 Zählern abgeschlagen Tabellenletzter. Der Klub war mit anderthalb Beinen in der 2. Liga, es herrschte komplette Verunsicherung bei den Spielern und eine bleierne Schwere über dem ganzen Klub. Hoeneß fand sofort einen Zugang, drehte an den richtigen Stellschrauben, rettete Stuttgart über die Relegation und dann, nach einer kompletten Sommervorbereitung, startete sein Team erst richtig durch. Trotz der Verluste von Kapitän Wataru Endo, Konstantinos Mavropanos und Borna Sosa war die Überzeugung vom ersten Spieltag an förmlich spürbar.

Hoeneß ist ein Bessermacher

Daran hat Hoeneß riesigen Anteil. Er macht die Spieler besser. Kollektiv, denn die zahlreichen, hochtalentierten Einzelspieler wurden zu einer Mannschaft, gewannen so die Fans zurück und immer öfter auch die Spiele. Und individuell - nahezu jeder Spieler hat sich weiterentwickelt. Bestes Beispiel sind die vier nominierten VfB-Spieler für die Länderspiele oder die Performance von Maximilian Mittelstädt, der sich in seinen ersten beiden Einsätzen im DFB-Team ins Rampenlicht gespielt hat.

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Auch mit Rückschlägen - etwa den zwei Pleiten zu Jahresbeginn - konnte die Mannschaft umgehen, Hoeneß hat sie immer schnell aufgebaut und die richtigen Schlüsse gezogen. Nun darf Stuttgart von der ersten Champions-League-Teilnahme seit der Spielzeit 2009/2010 träumen, sie ist greifbar nah. Es wäre der vorläufige Höhepunkt eines unfassbaren Aufstiegs für Hoeneß und den VfB.

Die Europa League hat das Team nach menschlichem Ermessen sieben Spieltage vor Schluss bereits so gut wie sicher. Trotzdem würde sie sich am Ende der Saison fast wie eine Enttäuschung anfühlen - schier aberwitzig, wenn man an die Ausgangssituation vor einem Jahr denkt.

Topklubs haben Sebastian Hoeneß auf dem Zettel

Hoeneß selbst hat sich mit seiner Trainerleistung natürlich ins Rampenlicht gecoacht. Längst wird sein Name bei Topklubs gehandelt, unter anderem soll er beim FC Bayern ein großes Thema gewesen sein. Doch der gemeinsame Weg mit dem VfB Stuttgart geht weiter - er hat jüngst seinen Vertrag bis 2027 verlängert. Die Unterschrift sei "von derartiger Bedeutung wie aktuell keine andere Personalie im Verein", sagte Sportdirektor Fabian Wohlgemuth.

Und auch das ist Hoeneß hoch anzurechnen: Das frühzeitige Bekenntnis zum VfB und zu seiner Mannschaft. Es passt einfach. Daher bin ich sehr gespannt, was für den Coach und Stuttgart in Zukunft noch möglich sein wird. Ich glaube, dass der Erfolg nachhaltig sein wird.

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