Jogi Löw als Trainer des VfB Stuttgart 1996

Fußball | Historie

Unübertroffen: Als der "Notnagel" Jogi Löw beim VfB Stuttgart durchstartete

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Kersten Eichhorn

Alles schwärmt vom VfB Stuttgart. Vier Siege und nur eine Niederlage zum Bundesligastart. Besser waren die Schwaben bislang nur 1996. Unter dem damaligen Interimscoach Jogi Löw.

Es war eine kuriose Situation, damals Mitte August 1996. Nur noch vier Tage bis zum Saisonstart, und der VfB Stuttgart stand plötzlich ohne Cheftrainer da. Amtsinhaber Rolf Fringer, bis dahin in Cannstatt eher gelitten als geschätzt, wechselte kurzfristig als Nationaltrainer in seine Schweizer Heimat.

Jogi Löw als Kurzzeitlösung für Rolf Fringer

Was nun, VfB? Vor dem Auftaktspiel gegen Schalke 04 war die Zeit zu knapp für einen neuen Chef auf der Bank. Also wurde der junge Co-Trainer in die Verantwortung genommen. Sein Name: Joachim Löw. "Mir wurde gesagt, dass ich die Mannschaft für ein Spiel vorbereiten soll, für den Saison-Auftakt gegen Schalke", erinnerte sich der spätere Bundestrainer Jahre danach im Gespräch mit SWR Sport an die Aufgabenstellung des damaligen VfB-Präsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder, "MV hatte mir gesagt, dass er einen neuen Trainer sucht. Im Moment habe er keinen, aber dann eben nächste Woche".

Bester Saisonstart in der Bundesliga-Geschichte des VfB

Nächste Woche und übernächste Woche aber tat sich auch nichts. Dazu kam, dass Löw und sein Stuttgarter Team glorios durchstarten. Das Debüt des smarten Interimscoaches mit den kurzgeschnittenen schwarzen Haaren verlief begeisternd. Die Schwaben putzten zum Auftakt Schalke 04 in der Stuttgarter Arena mit flottem Angriffsfußball 4:0 vom Platz. Der 2015 verstorbene mächtige Vereinspräsident bastelte parallel am Coup einer Verpflichtung des italienischen Star-Trainers Nevio Scala. Ein erfahrener Mann, ein großer Name sollte her.

Stuttgart mit dem "Magischen Dreieck"

Dumm nur, dass MV`s VfB unter dem großen Taktik-Talent "Jogi", wie ihn alle nannten, munter weiterstürmte und weiter siegte: 2:1 gegen Bremen, 4:0 beim Hamburger SV, 4:0 gegen den 1.FC Köln, 1:1 bei Borussia Dortmund. Vier Siege und ein Unentschieden, Löw sammelte Argumente für sich: So erfolgreich war Stuttgart nach fünf Spieltagen noch nie und bis heute nicht gestartet.

Sicher kein Zufall, denn die Mannschaft war seinerzeit gespickt mit Stars: Franz Wohlfahrt im Tor, Thomas Berthold und Frank Verlaat in der Abwehr, dazu das "Magische Dreieck" mit Krassimir Balakov, Fredi Bobic und Giovane Elber in der Offensive, das zauberte und verzauberte. Löw ließ sie spielen.

Löw ohne Lizenz

Gerhard Mayer-Vorfelder wiederum spielte aufgrund der Siegesserie zunächst auf Zeit, traute dem Braten nicht und wollte die weitere Entwicklung abwarten, bevor er Löw - wie von der Öffentlichkeit längst gefordert - als echte Alternative für den Cheftrainer-Job anerkannte. Zumal der gebürtige Schwarzwälder und frühere Zweitliga-Rekorschütze des SC Freiburg, den sein Vorgänger Fringer ein Jahr zuvor als Assistent aus Schaffhausen mitgebracht hatte, noch keine gültige Trainer-Lizenz für die Bundesliga besaß. Eine verzwickte Situation: "In der Haut des Präsidenten wollte ich nicht stecken", meinte damals Torjäger Fredi Bobic schmunzelnd zur Trainerfrage.

Spätestens aber nach dem sechsten Liga-Spiel und dem nächsten Triumph, einem 2:0 im Derby beim Karlsruher SC und dem Sprung an die Tabellenspitze, kam auch MV nicht mehr an dem jungen Coach vorbei: Joachim Löw wurde neuer Cheftrainer der Stuttgarter, den besten Saisonstart der VfB-Bundesliga-Geschichte mit im Gepäck. Vom "Notnagel" zur Dauerlösung. Schade nur: Ausgerechnet das erste Spiel nach der Ernennung zum Boss auf der Bank verloren Löw und der VfB daheim gegen Fortuna Düsseldorf mit 0:2.

Am Ende der Saison Vierter und Pokalsieger

Bis zum 15. Spieltag hielt sich Stuttgart übrigens noch an der Tabellenspitze. Am Ende der Saison landete der VfB mit dem Cheftrainer-Neuling Jogi Löw immerhin auf Platz vier und zog in den UEFA-Cup ein. Und als "Kirsche auf der Torte" gab es in Berlin mit dem 2:0 gegen Cottbus noch den DFB-Pokalsieg obendrauf. Was Löw beim Empfang auf dem Stuttgarter Marktplatz prompt eine Vollrasur samt Glatze bescherte.

Übrigens: Jogi Löw arbeitete beim VfB Stuttgart mit einer Ausnahmegenehmigung. Die Fußballlehrer-Lizenz holte der Weltmeister-Coach erst später nach.

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Kersten Eichhorn