Flutschäden in der Ortschaft Altenahr, in der das Hochwasser Häuser und Brücken zerstört hat  (Foto: IMAGO, IMAGO / Future Image)

Naturkatastrophen

Gefahr von Hochwasser besser einschätzen

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Pascal Kiss
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Antonia Weise

Das Ahrtal in Rheinland-Pfalz wurde durch Hochwasser besonders getroffen. Was muss sich verändern, um in Zukunft auf solche Naturkatastrophen besser vorbereitet zu sein?

Hochwasserkatastrophe besser bewerten

Extreme Hochwasser wie im vergangenen Juli wird es auch in Zukunft geben. Sobald über 200 Liter auf den Quadratmeter in nur wenigen Stunden fallen, wird das Wasser zu einer Gefahr, die sich nur schwer kontrollieren lässt. Das ist auch im Ahrtal der Fall gewesen. Jetzt geht es vor allem um Schadensbegrenzung.

Damit das gelingen kann, müssen die drohenden Gefahren allerdings vor der Katastrophe realistisch bewertet werden. Im Ahrtal sei das, laut einem Bericht von Hochwasser-Forschenden des Karlsruher Instituts für Technologie nicht der Fall gewesen. Dort habe man die Risiken unterschätzt.

Eine Straße im Ahrtal, die durch das Hochwasser weggebrochen ist. (Foto: SWR)
Ganze Tunnel, Straßen und Häuser sind durch das Hochwasser im Ahrtal zerstört worden. Die Aufräumarbeiten werden mehrere Monate dauern. Doch wie gehen wir in Zukunft damit um?

Historische Ereignisse spielen eine wichtige Rolle

Die Starkregen-Gefährdungskarten haben ältere ähnlich schwere Überflutungen nicht mit einbezogen. Andreas Schäfer vom Geophysikalischen Institut KIT Karlsruhe sei geschockt gewesen, dass der Fluss einfach seine Bahn geändert habe, durch den Autotunnel geflossen sei und dahinter alles weg erodierte. "Und dann aber eine über 100 Jahre alte Fotografie zu sehen, die genau das gleiche zeigt, [...] das kann schon eine Lehre sein”.

Das Hochwasser im Ahrtal von 1910 schätzen die Forschenden ähnlich schlimm ein – damals sind 52 Menschen gestorben. Und das Extremwetterereignis 1804 war möglicherweise noch schlimmer. Laut Schätzungen sind damals bis zu 1.100 Kubikmeter Wasser pro Sekunde durch das Tal geflossen – im Juli diesen Jahres waren es 400 bis 700 Kubikmeter pro Sekunde. Das heißt: Etwa nur halb so viel wie beim Hochwasser von 1804.

Dieses und andere historische Hochwasser sind bisher nicht berücksichtigt worden. Grundlage waren laut dem Bericht des Karlsruher Instituts nur die gemessenen Werte ab etwa 1947. Dem Wasserbauingenieur Professor Ernesto Ruiz Rodriguez zufolge ist das Standard, denn die historischen Ereignisse seien keine echten Messwerte, sondern Schätzungen und diese in die Statistik aufzunehmen mache man einfach nicht.

Ist es ein Fehler, dass historische Daten nicht in die Berechnung einfließen? Das in Rheinland-Pfalz zuständige Landesamt für Umwelt prüft derzeit, ob das in Zukunft geschehen soll.

Das Bild zeigt die Hochwasserkatastrophe in Adenau 1910. Die Straßen im Zentrum der Stadt sind überflutet. (Foto: SWR)
Ein Bild vom Hochwasser in Adenau von 1910. Die Straßen im Zentrum der Stadt sind überflutet.

Unterschätzte Gefahren bei Hochwasser

Das vergangene Hochwasser war vor allem so gefährlich, weil die Fluten Treibgut, Autos und ganze Container mitgerissen haben. Andreas Schäfer, der ursprünglich Tsunami-Forscher war, sagt, dass viele Todesfälle der Tsunamis nicht durch Ertrinken entstehen, sondern die Menschen würden durch das Geröll erschlagen werden. "Das ist ein Aspekt, dem sich viele nicht bewusst sind. Viele denken: Ich kann da ja noch im Wasser stehen aber das geht nicht, wenn dann noch so viel mitschwimmt”.

Das Wasser hat ganze Häuser weggerissen. Einzelne Bauteile liegen nun in der Grube herum. (Foto: SWR)
Das Geröll ist gefährlich für Menschen. Bei Tsunamis ertrinken sie meistens nicht, sondern werden von dem Treibgut mitgerissen und in den Fluten verschluckt.

Außerdem verstopft Treibgut ganze Brücken - sie werden daraufhin zum Staudamm mit fatalen Folgen.

Professor Ernesto Ruiz Rodriguez von der Hochschule Rhein Main forscht seit Jahren an der Frage, wie sich Starkregen und Hochwasser besser in Modellen abbilden lassen. Für ihn ist klar: Die Gefahr von verstopften Brücken wird bisher unterschätzt. Wasserstände und Fließgeschwindigkeiten würden sich um mehrere Hundert Prozent verändern. "Natürlich sucht sich dann das Wasser neue Wege mit entsprechend hohen Wasserständen. Das sind dann Szenarien, auf die wir unter Umständen nicht vorbereitet sind"

Besserer Schutz für die Zukunft

Die Schäden im Ahrtal müssen monatelang aufgeräumt werden. Um sich in Zukunft besser zu schützen könnte man zum Beispiel durchlässigere Brücken bauen, sodass diese nicht mehr so schnell verstopfen, sagt Professor Ernesto Ruiz Rodriguez. Aber das alleine wird nicht reichen.

Viele müssten sich überlegen, ob man besonders gefährdete Gebäude an so einer ungeschützten Lage wieder aufbaut. Aber, dass alle betroffenen Häuser umgesiedelt werden, sei vor allem im engen Ahrtal unrealistisch.

Eine durch das Hochwasser eingestürzte Straße. Im HIntergrund eingerissene Häuser (Foto: SWR)
Anders als in Kanada ist es im Ahrtal nicht möglich, dass man eine Ortschaft fünf Kilometer in eine andere Richtung verlegt.

Es gilt also vor allem die Gefahren in Zukunft richtig einzuschätzen, Häuser anzupassen, indem das Erdgeschoss zum Beispiel als Garage genutzt wird und die Heizung in das Dachgeschoss wandert. Kommt das nächste extreme Hochwasser, muss früh gewarnt werden und die Kommunen noch besser auf verschiedene Szenarien vorbereitet werden. Damit zumindest die größten Schäden und möglichst viele Todesfälle bei extremem Hochwasser vermieden werden können.

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