Schlechte Augen

Zunahme von Sehbeeinträchtigungen wäre vermeidbar

Stand
INTERVIEW
Frank Holz
Bettina Wabbels
ONLINEFASSUNG
Mailine Schirmeister
AUTOR/IN
Ralf Kölbel
Ralf Kölbel, Online-Redakteur bei SWR Wissen aktuell sowie Redakteur bei SWR2 Wissen. (Foto: SWR, Christian Koch)

Die WHO schlägt Alarm: 2,2 Milliarden Menschen weltweit haben eine Sehbeeinträchtigung. Tendenz steigend. Die Gründe sind laut WHO oft vermeidbar: Krankheiten, wenig Tageslicht und die ständige Fokussierung auf Nahsicht.

Im aktuellen Bericht der WHO geht es um eine Bandbreite an Sehbeeinträchtigungen, dazu zählt ebenfalls die Kurzsichtigkeit. Die Zahl der Betroffenen mit Sehschwächen oder auch Kurzsichtigkeit ist erheblich angestiegen. Beispielsweise war in China vor wenigen Jahrzehnten nur jeder Fünfte von Kurzsichtigkeit betroffen. Heute sind dort 95 Prozent der Jugendlichen kurzsichtig und wir erleben eine ähnliche Entwicklung auch in Europa. In Deutschland sind es bei den Jugendlichen mittlerweile etwa 50 Prozent die kurzsichtig sind, ebenfalls mit steigender Tendenz.

Kann man von einer weltweiten Pandemie sprechen?

Es erfüllt durchaus die Kriterien, aber es ist ganz klar, dass der Anstieg wirklich dramatisch ist. Es kein allmähliches Mehrwerden, sondern die Kurzsichtigen nehmen wirklich erheblich zu - von Jahr zu Jahr.

Ist Kurzsichtigkeit eine "Krankheit unserer Moderne"?

Die Moderne und unser Lebensstil haben dabei eine wichtige Bedeutung. Es ist vor allem so, dass Kinder und Jugendliche sehr viel in die Nähe schauen, d.h. durch Lesen, durch die Nutzung von Smartphones, Tablets und Computern und immer weniger Zeit im Freien verbringen bei hellem Licht.

Besonders betroffen sind auch ärmere Regionen

Neben Kurzsichtigkeit zählt die WHO viele weitere Sehstörungen auf. Diese sind vor allem auch in ärmeren Regionen sehr häufig. Grund ist oft der Mangelnde Zugang zu Operationen, Brillen oder Rehabilitationsmaßnahmen.

Viele Sehprobleme sind vermeidbar

Oft sind Probleme mit dem Sehvermögen vermeidbar, so beschreibt es zumindest die WHO im Bericht. Beeinträchtigungen des Sehvermögens auf Grund von Grauem Star, Krankheiten wie Bindehautentzündung oder Diabetes usw. können – früh genug behandelt – vermieden werden. Deswegen fordert die WHO das Gesundheitssystem auf, die Augengesundheit auszurichten und zu fördern. Auch durch Ernährung und Verzicht auf Rauchen kann das Sehvermögen geschont werden.

Warum spielt das Licht eine so wichtige Rolle?

Die genauen Mechanismen auf molekularer Ebene sind noch nicht vollständig erforscht. Aber man hat aus epidemiologischen Studien gelernt, dass in der Tat gerade die Zeit, die Kinder oder Jugendliche im Freien bei hellem Licht verbringen, die Entwicklung von Kurzsichtigkeit beeinflusst.

Wenn Kinder und Jugendliche mehr Zeit in geschlossenen Räumen verbringen, wo weit weniger Licht ist, und dazu noch immer in die Nähe fokussieren beim Lesen oder beim Blick auf andere Medien, begünstigt das die Entwicklung von Kurzsichtigkeit.

Ein schlecht ausgeleuchtete Klassenzimmer. (Foto: IMAGO, Rainer Unkel)
Schlecht ausgeleuchtete Klassenzimmer sind aber heutzutage der Normalfall.

Wie viele Stunden Tageslicht sind nötig, um die Gefahr von Kurzsichtigkeit zu minimieren?

Dazu gibt es keine präzisen Daten. Man kann also nicht sagen, dass z.B. ab zwei Stunden Tageslicht pro Tag die Gefahr vorbei ist. Es ist ein multifaktorielles Geschehen. Auch für den Einzelnen kann der Zeitbedarf im Freien sehr unterschiedlich sein.
Grundsätzlich gilt: Je mehr Tageslicht, desto besser. Natürlich geht es nicht, dem Unterricht fernzubleiben um sich im Freien zu bewegen, um Kurzsichtigkeit zu verhindern. Das geht nicht. Pausen sollten genutzt werden. Eltern sollten darauf achten, dass außerhalb der Schulzeiten genügend Tätigkeiten im Freien stattfinden. Vielen Daten sprechen dafür, dass das einen positiven Effekt hat.

Welchen Nutzen haben Tageslichtlampen in der Schule?

Das wurde noch nicht ausreichend untersucht. Ob man mit Tageslichtlampen die weitere Verbreitung der Kurzsichtigkeit eindämmen kann, ist eher eine Vermutung. Klar ist: Klassenzimmer sollten so hell wie möglich sein. In Asien werden als prophylaktische Maßnahme teilweise bewusst schon Klassenzimmer mit sehr großen Fenstern gebaut. Wenn das Gebäude nicht mehrgeschossig ist, macht man sogar die Decke transparent. Das sind sicherlich sinnvolle Maßnahmen.

Welche Maßnahmen helfen gegen die zunehmende Kurzsichtigkeit bei Kindern?

Man sollte die Kinder dazu zu animieren, immer wieder in die Ferne zu schauen, nicht immer nur auf das Tablet oder Smartphone und öfters ans Tageslicht zu gehen.
Man muss sich allerdings bewusst sein, dass man Kindern nicht das Lesen verbieten sollte. Das ist für die Schulausbildung und den späteren beruflichen Weg natürlich nicht sinnvoll. Daher muss man das richtige Maß finden. Die Eltern sind da oft auch nicht immer die guten Vorbilder, wenn sie selbst ständig an Smartphones und Computern arbeiten. Man sollte aber in jedem Fall darauf achten. Und in gewisser Weise ist das Verhalten der Kinder diesbezüglich sicher auch modulierbar und beeinflussbar.

Ständiges Starren auf das Handy ist für die Augen sehr anstrengend und begünstigt die Entwicklung von Kurzsichtigkeit. (Foto: IMAGO, Westend61)
Ständiges Starren auf das Handy ist für die Augen sehr anstrengend und begünstigt die Entwicklung von Kurzsichtigkeit.

Welche Rolle spielen genetische Faktoren bei der Entwicklung von Kurzsichtigkeit?

Es ist jetzt eine neue Studie veröffentlicht worden. Dafür wurden 160.000 Menschen untersucht. Man hat mittlerweile über 160 "Buchstabendreher" im genetischen Code des Menschen gefunden, die einen Einfluss haben, welche optische Fehlsichtigkeit ein Auge entwickelt. Aber dieses Wissen lässt sich noch nicht unmittelbar in prophylaktische Maßnahmen ummünzen. Die Hoffnung ist: Wenn man die Biologie, die dahintersteckt, so exakt wie möglich versteht, dass man dann auch mit Medikamenten oder anderen Maßnahmen eingreifen kann.

Kurzsichtigkeit wird immer mehr als Krankheit verstanden. Warum?

Es gibt verschiedene Ausprägungsformen der Kurzsichtigkeit. Bei Minus 2 oder 3 Dioptrien spricht man von einer geringen Kurzsichtigkeit. Ab ca. 6 Dioptrien in den Gläsern spricht man von einer hohen Kurzsichtigkeit.

Man weiß, dass im Bereich der hohen Kurzsichtigkeit mindestens ein Drittel der Betroffenen wirklich Probleme entwickeln im Auge. Die Hauptprobleme sind die Entwicklung von grünem Star, von grauem Star, aber auch primäre Netzhautprobleme: Es kommt häufiger zu Netzhautablösungen, es gibt eine Kurzsichtigkeitsveränderung der Netzhautmitte, der so genannten Makula. Diese ist in gewisser Form, wenn es mit Gefäßwachstum und Schwellung einhergeht, heute gut behandelbar, aber es gibt diese trockenen Formen, für die es noch keine Therapie gibt.

Kurzsichtig? Regelmäßige Kontrollen beim Augenarzt helfen dabei, schwerere Augenprobleme wie grauen oder grünen Star rechtzeitig zu erkennen und zu behandeln. (Foto: IMAGO, Westend61)
Kurzsichtig? Regelmäßige Kontrollen beim Augenarzt helfen dabei, schwerere Augenprobleme wie grauen oder grünen Star rechtzeitig zu erkennen und zu behandeln.

Sollten Menschen mit mehr als 6 Dioptrien jährlich zum Augenarzt gehen?

Das ist eindeutig die Empfehlung. Es gibt Vorstufen zu einer Netzhautablösung, die man mit einfachen Mitteln, per Laser versorgen kann. Damit lässt sich das Risiko einer Netzhautablösung drastisch reduzieren.

Internetlinks zum Thema

Wir haben auch einiges zum Thema „Augen/Sehen“

Planet Wissen: Gut sehen - Wie unsere Augen gesund bleiben

Planet Wissen: Die Sehkraft verändert sich im Laufe des Lebens

Stand
INTERVIEW
Frank Holz
Bettina Wabbels
ONLINEFASSUNG
Mailine Schirmeister
AUTOR/IN
Ralf Kölbel
Ralf Kölbel, Online-Redakteur bei SWR Wissen aktuell sowie Redakteur bei SWR2 Wissen. (Foto: SWR, Christian Koch)