Das Bild zeigt einen Stimmzettel vor dem Hintergrund des Reichstagsgebäudes. (Foto: IMAGO, Steinach)

Wahlforschung

Junge Frauen wählen deutlich linker als Männer

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Anja Braun
Anja Braun, Reporterin und Redakteurin SWR Wissen aktuell. (Foto: SWR, Christian Koch)
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Lena Schmidt

Es gibt große Geschlechterunterschiede im Wahlverhalten. Eine neue Studie zeigt: Jüngere Frauen wählen überdurchschnittlich häufig grün, die Linke oder die SPD.

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In den vergangenen zehn Jahren ist die Schere im Wahlverhalten von Männern und Frauen deutlich auseinandergegangen. Eine Studie von Soziologen der Universität zu Köln hat das analysiert. Am deutlichsten wird es bei den jüngeren Frauen zwischen 18 und 24 Jahren. Sie wählen überdurchschnittlich häufig grün, die Linke oder die SPD. Einen klaren Trend dazu gibt es seit der Bundestagswahl 2017.

Studie untersucht das tatsächliche Wahlverhalten

Grundlage der Kölner Studie ist die repräsentative Wahlstatistik der Bundestagswahlen seit 1953. Denn diese Datenquelle erfasst anders als Umfragen das tatsächliche Wahlverhalten, erklärt Ansgar Hudde vom Institut für Soziologie und Sozialpsychologie der Universität Köln. "Bei jeder Bundestagswahl werden repräsentativ Wahlbezirke ausgewählt", sagt der Soziologe. "Und in denen enthalten dann die Wahlzettel so eine kleine Info zum Geschlecht und dem Geburtsjahr der Person. Und danach werden die Wahlergebnisse dann separat nach Geschlecht und Altersruppe veröffentlicht."

Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (BRD) waren die Geschlechterunterschiede im Wahlverhalten so groß wie jetzt - vor allem bei den Jungwählerinnen und -wählern. Diese Schere scheint zunehmend auseinander zu gehen. Der Kölner Soziologe Ansgar Hudde berichtet, viele seiner Kolleginnen und Kollegen hielten das spezielle Wahlverhalten von Frauen zugunsten von linken Parteien nicht für verwunderlich.

Das halten sie eher für normal und sind dann eher verwundert, wenn ich sage, dass das aber bis zur Bundestagswahl 2013 nicht so war.

Frauen wählten früher konservativer als Männer

Die Trendumkehr im Wahlverhalten ist eindeutig. Noch in den 1950er- und 1960er-Jahren des letzten Jahrhunderts - also in der noch jungen BRD - wählten Frauen deutlich konservativer als Männer. Das wurde gern damit begründet, dass Frauen religiöser als Männer waren. Danach gab es bis in die Nullerjahre kaum Unterschiede im Wahlverhalten von Männern und Frauen. Zumindest nicht entlang der Links/Rechts-Achse.

Männer hätten beispielsweise eher die Linke gewählt und Frauen eher die Grünen. Wählerinnen hätten zudem ihr Kreuz eher bei der CDU gesetzt, Männer bei der FDP - "Frauenpartei" oder "Männerpartei". In den letzten Jahren sehen wir aber, dass sich diese Geschlechterunterschiede deutlich entlang der Links-Rechts-Achse zeigen.

Das Bild zeigt einen Stimmzettel. (Foto: IMAGO, 3S PHOTOGRAPHY)
Junge Frauen wählen häufiger links als Männer.

Junge Männer finden FDP attraktiv

Interessanterweise sind CDU und CSU die einzigen Parteien, in deren Wählerschaft Männer und Frauen noch heute relativ ausgeglichen sind. Von den Stimmen der jüngeren Männer profitierte in den letzten beiden Bundestagswahlen zuallererst die FDP - gefolgt von der AFD - aber auf sehr niedrigem Niveau. Hudde spekuliert, dass möglicherweise die Kampagne der FDP mit Schwerpunkt auf Modernisierung und Digitalisierung besonders jüngere Männer angesprochen hat.

Die jungen Frauen dagegen wählen überdurchschnittlich häufig die Grünen. Kein Wunder, denn die Grünen und auch den anderen Parteien des linken Spektrums haben einen starken Fokus auf Gleichberechtigung. Ein weiterer Einflussfaktor könnte der Blick auf den Arbeitsmarkt sein.

Frauen arbeiten überdurchschnittlich häufig im Niedriglohnbereich und würden von einer linksorientierten Politik der Umverteilung profitieren. Überdurchschnittlich häufig arbeiten Frauen auch in höher gebildeten soziokulturellen Berufen wie zum Beispiel im öffentlichen Dienst als Lehrerinnen oder Wissenschaftlerinnen.

Auch Menschen, die in diesen Bereichen arbeiten, profitieren eher von einem großen Staat sozusagen. Und auch höhere Ausgaben in dem Bereich sind tendenziell von einer linken Partei mehr zu erwarten als von einer wirtschaftsliberalen.

Gleichstellungsthemen könnten Wahlkampfthema werden

Doch zur Ursachenforschung geben die Daten der Wahlforschung nicht genug her. Das müssen die Parteien selbst ergründen. Allerdings ist spannend, was es für die Zukunft bedeutet, wenn die Schere zwischen Frauen und Männern im Wahlverhalten noch weiter auseinander geht. Bisher haben alle Parteien versucht, in Sachen Gleichberechtigung einen gesellschaftlichen Konsens zu finden - alle mit Ausnahme der AfD, so Hudde. Das könnte sich nun ändern.

Wenn wir jetzt diese großen Geschlechterunterschiede sehen, könnte es durchaus dazu führen, dass auch Gleichstellungsthemen, Geschlechterthemen wieder stärker politisiert werden und vielleicht auch polarisierend zwischen den Parteien wirken, erklärt der Soziologe. Das heißt, dass es "weniger so ein Feld von konstruktiver Zusammenarbeit und eher zu so einem starken Wahlkampfthema werden könnte".

Das Bild zeigt verschlossene Unterlagen bei einer Stimmenauszählung zur Bundestagswahl 2021. (Foto: IMAGO, Hannes P. Albert)
Bei den letzten Wahlen zeigt sich einer klarer Trend im Wahlverhalten: Die Schere zwischen Frauen und Männern wird größer.

Geschlecht als Konfliktlinie

Das geänderte Wahlverhalten gerade jüngerer Frauen wird letztlich auch unser Privatleben treffen. Denn bei vielen anderen Konfliktlinien wie zum Beispiel derjenigen "Oben versus Unten" - also reichere Menschen versus ärmere - erleben wir im Alltag, dass die meisten Familienmitglieder, Freundinnen und Freunde auf derselben Seite stehen. Sie sind ähnlich reich oder arm wie wir selbst. Wenn nun aber das Geschlecht zu einer zentralen Konfliktlinie wird, dann wirbelt das Vieles durcheinander:

Diese Konfliktlinie zieht sich quer durch Familien, durch Paare, durch Freundeskreise. Es kann also dazu führen, dass politische Konflikte viel näher an unser Privatleben rankommen und vllt im Umkehrschluss auch, dass unser Privatleben viel stärker politisiert wird dadurch.

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