sportliche Frau (Foto: IMAGO, IMAGO / YAY Images)

Psychologie

Sportsucht: Wenn der Sport zur Abhängigkeit wird

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AUTOR/IN
Stephanie Bittner

Dass Sport gesund ist, ist eigentlich bekannt. Aber Sport kann auch krank machen, wenn er exzessiv betrieben wird.

Eigentlich wäre die Trainingseinheit im Fitnessstudio bereits fertig, aber der Zwang noch eine Einheit mit mehr Gewicht darauf zu setzen überwiegt. Die Joggingrunde im Wald ist beendet und trotzdem wird noch eine extra Runde gemacht. Manche verlieren die eigene Kontrolle über das Training und in den Vordergrund rückt das Erreichen eines Traumkörpers. Die Freude an der Bewegung geht verloren. Das sind typische Anzeichen für eine Sportsucht.

FrauenMänner im Fitnessstudio beim Sport (Foto: IMAGO, IMAGO / Westend61)
Bei einer Sportsucht entgleitet Betroffenen die eigene Kontrolle über das Training.

Eine Sportsucht zählt zu den substanzunabhängigen Süchten, das heißt es braucht im Gegensatz zur Drogensucht keine Substanz, um der Sucht nachzukommen, erklärt Oliver Stoll im Gespräch. Er ist Sportpsychologe an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Während der sportlichen Aktivität werden aber im Gehirn Hormone freigesetzt. Diese könnten dazu führen, dass der Betroffene eine Abhängigkeit von den ausgestoßenen Glückshormonen während des Trainings entwickelt. Bewiesen wurde das bisher aber nicht.

Entzugserscheinungen und Leidensdruck

Bei einer Sportsucht äußern sich ähnliche psychologische Symptome wie bei stoffgebundenen Süchten. So kommt es auch zu Entzugserscheinungen, falls man die Sucht nicht stillt: Betroffene können reizbar, depressiv oder ängstlich werden.

Drogensucht (Foto: IMAGO, IMAGO / Westend61)
Bei der Sportsucht handelt es sich im Gegensatz zur Drogensucht um eine substanzunabhängige Sucht.

Dazu kommt ein entsprechender Leidensdruck, wegen dem zum Beispiel auch während einer Krankheit oder Verletzung dem Sport nachgegangen wird. Er äußert sich darin, dass ein gewisser Schmerz- oder Spannungszustand durch die körperliche Aktivität überwunden werden muss. So kann es sein, dass ein Betroffener, der viel joggen geht, diese Aktivität auch an Tagen durchführt, an denen er es nicht kann oder möchte. Die sportliche Aktivität muss also getrieben werden, egal um welchen Preis.

Sport wird zum Lebensmittelpunkt

Manchmal geht das exzessive Sporttreiben auch so weit, dass früh morgens oder sogar mitten in der Nacht trainiert wird, um das Verlangen nach dem Sport zu stillen. Oft treiben die Betroffenen auch heimlich Sport, wenn zum Beispiel die Angehörigen bereits Bedenken geäußert haben.

Sport wird dann zum Lebensmittelpunkt. Selbst wenn der Aktivität gerade nicht nachgegangen wird, dreht sich alles nur darum. Dann wird zum Beispiel das Training exakt dokumentiert und geplant. Das kann dazu führen, dass sich die gesamte Tagesplanung nur nach dem Sport richtet. Treffen mit Freunden oder andere Freizeitaktivitäten werden abgesagt, weil sonst dem Zwang nicht nachgegangen werden kann. Auch der Beruf kann wegen einer Sportsucht vernachlässigt werden.

Primäre Sportsucht: sportliche Aktivität als Suchtverhalten

Es wird unterschieden zwischen primärer und sekundärer Sportsucht. Bei der primären Sportsucht steht die sportliche Aktivität im Vordergrund, die sich in einem Suchtverhalten äußert. Diese Form der Sportsucht kommt eher selten vor. Es handelt sich dabei um eine Verhaltenssucht, bei der keine weiteren psychopathologischen Störungen vorliegen.

"Da finden wir Prävalenzen in den vorliegenden Studien zwischen ein und vier Prozent."

Oft wollen Betroffene durch den exzessiven Sport auch etwas kompensieren. Häufig spielt dabei ein extremer Perfektionismus des Athleten oder Athletin eine Rolle. Auch ein kritisches Lebensereignis kann dazu führen, dass aus einer Sportbindung eine Sucht wird. Wenn zum Beispiel ein Familienmitglied stirbt, kann es sein, dass Betroffene mit Hilfe des Sports versuchen, ihr Leben wieder ins Positive zu rücken und negative Emotionen in den Griff zu bekommen.

Zur möglichen Diagnose gibt es spezielle Fragebögen, die in Studien entwickelt wurden. Diese Fragebögen entsprechen einem Screening, um erkennen zu können, ob jemand gefährdet ist, eine Sportsucht zu entwickeln.

Es ist aber kein eindeutiges Diagnoseverfahren, sondern kann lediglich eine Gefährdung feststellen, erklärt Oliver Stoll, Sportpsychologe der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Zur genauen Diagnose benötigt es nach dem Screening noch ein Anamnesegespräch mit einem Psychotherapeuten. Erst dann kann eine Sportsucht festgestellt werden.

Eine primäre Sportsucht entsteht oft im Zuge einer spezifischen Sportart, zum Beispiel Triathlon. Durch zukünftige Wettkämpfe wird dann das Trainingspensum erhöht, um gewisse Erfolge zu erreichen. Der Sportler kann dadurch dann tatsächlich eine Sportsucht entwickeln.

Triathlon Wettkampf (Foto: IMAGO, IMAGO / ZUMA Wire)
Eine primäre Sportsucht kann im Zuge einer spezifischen Sportart und Wettkämpfen entstehen.

Sekundäre Sportsucht in Kombination mit einer Essstörung

Häufiger wird bei Betroffenen von einer sekundären Sportsucht gesprochen. Diese tritt in Kombination mit einer Essstörung auf. Neben der Kalorienrestriktion durch die Ernährung wird auch durch exzessives Sporttreiben versucht, so viele Kalorien wie möglich einzusparen. Im Allgemeinen geht es also bei der sekundären Sportsucht um das eigene Gewicht beziehungsweise das Erreichen eines Idealgewichts. Das hängt häufig auch mit einer gewissen Anerkennung, zum Beispiel durch den Freundeskreis, zusammen.

Essstörung (Foto: IMAGO, IMAGO / Panthermedia)
Die sekundäre Sportsucht tritt in Kombination mit einer Essstörung auf.

Wie Angehörige Anzeichen einer Sportsucht erkennen können

Eine primäre Sportsucht ist für eine Person im Umkreis des Betroffenen kaum zu erkennen. Im Normalfall sind die Athleten im Bereich des Leistungssports unterwegs und fokussieren sich sowieso sehr auf ihr Training. Dementsprechend schwer ist es für das Umfeld zu unterscheiden, ob das noch normal ist oder schon in den Bereich einer Sportsucht fällt.

Eindeutige Anzeichen wären, wenn sich der Sportler von seinem Umfeld isoliert und sich der Alltag und die Gedanken beginnen ausschließlich um den Sport zu drehen, so Stoll.

Bei einer sekundären Sportsucht kann im Verhalten der Betroffenen eine mögliche Abhängigkeit in Kombination mit einer Essstörung erkannt werden. Die Erkrankten äußern ein auffälliges Essverhalten: extreme Restriktion von Kalorien, bis hin zum Auslösen von Erbrechen. Wenn man als Angehöriger solche Anzeichen beobachtet, ist es wichtig dem Betroffenen Hilfe anzubieten, zum Beispiel die Möglichkeit einer Therapie.

auffälliges Essverhalten (Foto: IMAGO, IMAGO / Panthermedia)
Betroffene einer sekundären Sportsucht äußern oft ein auffälliges Essverhalten, indem sie zum Beispiel ihre Kalorienaufnahme extrem reduzieren.

Therapiemöglichkeiten

Zur Therapie einer Sportsucht gibt es zwei Ansätze: die Verhaltenstherapie und den psychoanalytischen Ansatz.

  • Verhaltenstherapie: Die kognitive Verhaltenstherapie wird oft bei Suchterkrankungen eingesetzt. Bei diesem Ansatz geht es darum, in mehreren Einzel- oder Gruppengesprächen das Suchtverhalten und die Gründe dahinter zu verstehen. Zusätzlich werden neue Verhaltensweisen darauf aufbauend eingeübt.
  • Psychoanalytischer Ansatz: Die Psychoanalyse ist ein psychotherapeutischer Ansatz zur Behandlung von seelischen Problemen und Störungen. Dabei geht es neben der Verbesserung der Symptome auch um ein besseres Verständnis der eigenen Lebensgeschichte und eventueller traumatischer Erfahrungen, die zu der Entwicklung einer Verhaltensstörung geführt haben könnten.
Therapie (Foto: IMAGO, IMAGO / fStop Images)
Eine Therapie kann Betroffenen einer Sportsucht helfen.

Sekundäre Sportsucht und der Einfluss der Medien

Die sozialen Medien scheinen besonders bei der sekundären Sportsucht eine Auswirkung zu haben, so Stoll. Durch das Propagieren eines bestimmten Körperbildes in den Netzwerken bekommen gerade junge Mädchen den Druck, ein bestimmtes Gewicht zu haben oder zu halten. Dadurch könnten sie nicht nur eine Essstörung, sondern auch eine sekundäre Sportsucht entwickeln.

"Bei der sekundären Sportsucht ist ein Einfluss von Social Media da. Weil eben ein bestimmtes Körperbild und bestimmte Ideale propagiert werden, die eben nur zu erreichen sind, wenn man ein bestimmtes Gewicht hat."

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Stephanie Bittner