Insekten als Überlebenskünstler

Wie Wanzen das Antibiotika-Problem lösen können

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Claudia Heissenberg
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Jochen Steiner
Ralf Kölbel
Ralf Kölbel, Online-Redakteur bei SWR Wissen aktuell sowie Redakteur bei SWR2 Wissen. (Foto: SWR, Christian Koch)

Wanzen sind Überlebenskünstler: Als einzige Insekten überhaupt leben sie auf hoher See. Doch auch die Medizin erforscht sie - als „lebende Spritzen“ oder für neue Antibiotika-Medikamente. 

Weltweit zählten Forscher bisher 40.000 Wanzenarten und sie vermuten mindestens 20.000 weitere, bisher unbekannte. Heteroptera oder Verschiedenflügler werden diese Insekten in der Wissenschaft genannt, denn ihre Flügel sind oben ledrig und hart wie bei Käfern, darunter aber durchscheinend und fein wie bei Bienen.

Es gibt Baumwanzen, Blind-, Erd- und Schildwanzen, Gespenster- und Springwanzen. Sie tragen so hübsche Namen wie Nesselwicht, Helle Krummnase, Gemeiner Hüpferling oder Schwieliger Dickwanst.

So genannte Gespensterwanzen (Phymata crassipes) sind auch in Deutschland heimisch (Foto: IMAGO, Imago/Fotograf XY -)
So genannte Gespensterwanzen (Phymata crassipes) sind auch in Deutschland heimisch

Sie leben auf Sträuchern und Bäumen, auf Wiesen, in Wäldern, Mooren und Wüsten. Kein anderes Insekt hat so viele Lebensräume erobert wie die Wanze.

Forscher erkunden antibakterielle Stoffe von Wanzen

Für die heutige medizinische Forschung ist interessant, dass Wanzen kein Immunsystem mit Antikörpern haben wie z. B. Säugetiere, sondern sehr effektive antibakterielle Stoffe, die eventuell vor Infektionen schützen und auch resistente Bakterien unschädlich machen könnten. Der Bedarf ist groß, denn immer mehr Krankheiten lassen sich nicht mehr mit gängigen Antibiotika kurieren.

Wanzen können kugelrund werden

Wie ihre Verwandten, die Zikaden und Blattläuse, zählen Wanzen zur Ordnung der Schnabelkerfen. Der seltsame Name beschreibt ihre Gemeinsamkeit – die schnabelartigen, stechend-saugenden Mundwerkzeuge. Saugrüssel, die aus zwei dünnen Röhrchen bestehen. Durch das eine pumpen Wanzen Verdauungssaft in ihre Nahrung, der sie zersetzt. Durch das andere Röhrchen saugen sie den Nahrungsbrei auf. Dabei können sie in wenigen Minuten ihr Körpergewicht verdoppeln und werden kugelrund.

Bettwanzen saugen Menschenblut

Die kleinen parasitisch lebenden Bettwanzen kommen überall auf der Welt vor und sie ernähren sich von Blut. Am liebsten von Menschenblut. Angelockt von der feucht-warmen Atemluft krabbeln sie nachts hervor und laben sich ein paar Minuten am Schlafenden. Vollgesogen – und damit doppelt so groß und viermal so schwer – kriechen sie, eine Kotspur aus dunklen Pünktchen hinter sich lassend, zurück in ihren Unterschlupf.

In den Industrieländern hielten verbesserte Hygiene und Insektizide die kleinen Blutsauger jahrzehntelang in Schach. Gänzlich ausgerottet wurden die Bettwanzen allerdings nie.

Blutsaugende Raubwanzen übertragen Krankheiten

Professor Günter Schaub leitet die Arbeitsgruppe "Zoologie und Parasitologie" an der Ruhruniversität Bochum und forscht seit mehreren Jahrzehnten an Wanzen. Sein Spezialgebiet sind blutsaugende Raubwanzen aus Lateinamerika. Einige der etwa 200 verschiedenen Arten können Krankheiten auf den Menschen übertragen. "Die Chagas-Krankheit ist eine der sechs großen Tropenkrankheiten."
Laut "Ärzte ohne Grenzen" sollen rund sechs Millionen Menschen weltweit mit dem Erreger infiziert sein, den der brasilianische Arzt Carlos Chagas 1909 in einer Wanze entdeckte. 12.000 Menschen jährlich sterben daran. Ein Hauptproblem ist, dass 90 Prozent der Infizierten nicht wissen, dass sie den Erreger in sich tragen.

Denn längst nicht bei jedem kommt die Krankheit, die unter anderem den Herzmuskel angreift, auch tatsächlich zum Ausbruch. Das kleine Mädchen, bei dem Carlos Chagas damals eine Infektion nachwies, lebte 70 Jahre später immer noch mit dem Erreger, der sich nie geregt hatte.

Wanzen als "lebende Spritzen"

In Bochum untersuchen Wissenschaftler in Schutzkleidung unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen, was in den Wanzen mit dem Erreger passiert.

Sie setzen die Wanzen aber auch als "lebende Spritzen" ein: Der Stechrüssel der Raubwanze ist 30 Mal feiner als die feinste Kanüle und findet auch winzige Kapillargefäße von Kleintieren wie Kaninchen, Hamstern oder Vögeln, die mit einer herkömmlichen Spritze kaum zu treffen sind. Bei über 40 Wildtieren hat der Biologe André Stadler mit seinen Wanzen bislang erfolgreich Blut abgenommen. Vom Erdmännchen, Kleingraumull und Zwergzebu bis zum Zebra, Känguru und Elefanten.

Wanzen leben auch im Ozean

Wanzen haben auf der Erde viele Lebensräume erobert, sogar die Ozeane und andere Gewässer: Die Wasserwanzen, zu denen unter anderem die Schwimm- und Ruderwanzen und die Rückenschwimmer zählen, tummeln sich in Tümpeln, Teichen und Seen. Dazu kommen die Meerwasserläufer der Gattung Halobates, die knapp 50 Arten umfasst. Sie leben vor allem in warmen Gewässern in Küstennähe rund um den Äquator.

Fünf Vertreter dieser Familie treiben sogar ihr ganzes Leben auf hoher See. Sie ernähren sich von Fischeiern und winzigen Meerestieren, die sie mit ihren kurzen Vorderbeinen fangen und halten. Mit den langen Mittel- und Hinterbeinen rudern und steuern sie. Ihre Eier legen die Halobates-Weibchen auf Treibholz, Vogelfedern oder Algen ab. Wie sie in den Weiten des Ozeans ein Männchen finden, ist allerdings bis heute ein Rätsel.

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Ralf Kölbel, Online-Redakteur bei SWR Wissen aktuell sowie Redakteur bei SWR2 Wissen. (Foto: SWR, Christian Koch)