Tinnitus - neue Leitlinien zur Therapie. (Foto: IMAGO, imago)

Neue Leitlinie

Das hilft bei chronischem Tinnitus

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AUTOR/IN
Antonia Weise

Es rauscht, dröhnt, klingelt oder piepst im Ohr. Tinnitus ist für Betroffene sehr unangenehm, vor allem wenn er chronisch wird. Doch was hilft bei chronischem Tinnitus?

Laut der Deutschen Tinnitus-Liga leiden über 10 Millionen Menschen in Deutschland unter Ohrgeräuschen. Viele davon sind nur leicht oder vorübergehend. Aktuelle Zahlen zum Tinnitus mit chronischem Verlauf gibt es allerdings nicht.

Wie entsteht Tinnitus? Und was können Auslöser sein?

Die Ursache für einen Tinnitus kann ganz unterschiedlich sein. Oft entsteht er durch einen Lärmschaden, Lärmtrauma oder einen Hörsturz. Beispielsweise können zu laute Musik oder zu laute Geräusche in einem Fußballstadion die Hörsinneszellen im Innenohr schädigen. Die Hörsinneszellen schütten dann vermehrt Botenstoffe aus, und diese werden hoch an das Gehirn geleitet, so Prof. Dr. Birgit Mazurek, Direktorin des Tinnituszentrums an der Berliner Charité. Dort setzen sich die Botenstoffe fest. Laut Mazurek empfinden wir die Geräusche als belastend, da unser Gefühlssystem eine Bewertung mit abgibt. Häufig handelt es sich also in der Regel um eine Funktionsstörung der Hörsinneszellen.

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Wann gilt ein Tinnitus als chronisch?

Fast jeder Mensch hatte schon einmal Ohrgeräusche. Normalerweise treten sie spontan auf und sind von kurzer Dauer. Sobald sie länger anhalten und als belastend empfunden werden, spricht man von einem Tinnitus. Hält dieses störende Geräusch länger als drei Monate an, handelt es sich um einen chronischen Tinnitus.

Außerdem unterscheiden Ärzte zwischen einem objektiven und einem subjektiven Tinnitus. Beim objektiven Tinnitus handelt es sich um ein Ohrgeräusch, welches durch eine existierenden Schallquelle entsteht. Oft sind das körpereigene Geräusche, die der Patient als Ton wahrnimmt. Das können beispielsweise Muskelzuckungen oder Strömungsgeräusche eines Blutgefäßes sein. Beim subjektiven Tinnitus ist keine Schallquelle auszumachen. Das heißt, weder innere noch äußere Quellen können gefunden werden.

Diese Therapien sind beim chronischen Tinnitus sinnvoll

 „Tinnitus-Counselling“

Die neue medizinische Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde stellt das „Tinnitus-Counselling“ in den Vordergrund. Diese Methode wird als Therapie-Basis beim chronischen Tinnitus empfohlen und bezieht sich auf die Aufklärung und Beratung. Sie setzt ganz am Anfang der Therapie an.

Damit sollen alle negativen Eindrücke der Krankheit vermieden und die Betroffenen vollständig über ihre Art des Tinnitus aufgeklärt werden. Das bedeutet, Fragen wie: „Was hat mein Hörtest ergeben?“, „Wie ist der Hörvorgang?“, bespricht der Arzt oder die Ärztin. Aber auch die Suche nach den Ursachen für den Tinnitus kann Patient*innen beim Umgang mit dem dauerhaften Ohrgeräusch helfen.

Ein Ohrenarzt berät eine ältere Frau (Foto: IMAGO, / Shotshop)
Am Anfang ist besonders die Beratung und Aufklärung über Tinnitus wichtig.

Prof. Dr. Birgit Mazurek, Direktorin des Tinnituszentrums der Berliner Charité hat an der neuen Leitlinie mitgearbeitet:

Die Lebensqualität soll verbessert und der Leidensdruck reduziert werden. Und da spielt das Counselling die erste Rolle - aber auch darüber hinaus. Nachher sind relevante Therapien vor allen Dingen verhaltenstherapeutisch orientierte Ansätze.

Verhaltenstherapeutische Ansätze

Zu den verhaltenstherapeutisch orientierten Ansätzen zählen beispielsweise Entspannungs- und Stressbewältigungsverfahren. Studien haben gezeigt, dass dadurch die Tinnitusbelastung gesenkt wird – also das Geräusch im Ohr noch vorhanden ist, jedoch weniger wahrgenommen wird.

Das heißt: Beim behandelnden Arzt oder der behandelnden Ärztin lernen die Betroffenen bestimmte Techniken, durch die der chronische Tinnitus in den Hintergrund rücken soll. Sie sollen mit dem Problem besser zurechtkommen und dieses besser verarbeiten können.

Einsatz von Hörgeräten bei Hörverlust

Ist bei einer Patientin oder einem Patienten ein Hörverlust festzustellen, empfehlen Mediziner*innen außerdem ein Hörgerät. Ein Einsatz kann sich positiv auf die empfundene Belastung durch einen Tinnitus auswirken. Allerdings ist es fraglich, ob Hörgeräte alleine zur Behandlung des chronischen Tinnitus wirksam sind oder nur einen Ausgleich in Bezug auf das Hören schaffen. Bisher fehlen dazu aber wissenschaftliche Studien, es gibt nur positive Erfahrungen aus dem klinischen Alltag.

Außerdem empfiehlt die neue Leitlinie eine Hörtherapie. Ziel dieser Methode ist, sich durch Übungen den Hörvorgang bewusst zu machen, sodass die Betroffenen den Tinnitus möglicherweise irgendwann überhören können. Eine Hörtherapie kann in Kombination mit oder ohne Hörgeräte sinnvoll sein.

Beim Hals-Nasen-Ohrenarzt sollte beim Tinnitus auf jeden Fall ins Ohr reingeschaut und ein Hörtest gemacht werden. (Foto: IMAGO,  / imagebroker)
Beim Hals-Nasen-Ohrenarzt sollte im Fall eines Tinnitus ins Ohr hereingeschaut und ein Hörtest gemacht werden.

Manuelle Therapien

Bei manchen Tinnitus-Patient*innen kann eine manuelle Therapie helfen – besonders Menschen, die Probleme mit der Halswirbelsäule, Kiefer- und Kaumuskulatur haben. Untersuchungen haben gezeigt, dass manuelle Therapien die Tinnitusbeschwerden lindern konnten.

Diese Therapien sind laut der neuen Richtlinie wirkungslos

Nach aktuellem Forschungsstand ist der Nutzen vieler neuer Therapien zweifelhaft – zumindest im chronischen Stadium. Dazu gehören Geräusch- und Soundtherapien. Mittels bestimmter Töne wird versucht das dauerhafte Ohrgeräusch zu steuern und im besten Fall zu beenden. Eine Musiktherapie kann jedoch entspannend wirken – wissenschaftlich belegt ist der Nutzen nicht.

Trotz vielversprechender Studienergebnisse wird die Therapie mit Neuromodulation in der neuen Leitlinie nicht empfohlen. Die Tinnitus-Patient*innen bekommen dabei per Kopfhörer unterschiedliche Geräusche vorgespielt. Gleichzeitig wird die Zungenspitze mit leichten elektrischen Impulsen stimuliert. Dafür muss man ein kleines Gerät auf die Zunge legen. Die Reize im Mund sollen unter anderem den Trigeminusnerv anregen. Mit einer Fernsteuerung lassen sich Töne und Zungenimpulse regulieren. Mit der Zeit soll die Behandlung dazu führen, dass neue Schaltkreise im Gehirn aktiviert werden und die Phantomgeräusche des Tinnitus überlagern.

Kritisch sieht Prof. Dr. Birgit Mazurek, Direktorin des Tinnituszentrums der Berliner Charité, auch App-gestützte Therapien: „App-gestützte Therapien muss man sehr spezifisch betrachten. Es gibt sicherlich einige App-gestützte Therapien die Sinn machen, gerade im verhaltenstherapeutischen Bereich. Aber es müssen Daten dafür vorliegen, und das ist für viele App-gestützte Anwendungen nicht der Fall.“

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Antonia Weise