Die Aufgabenstellung ist herausfordernd: Entwickle ein Warnsystem, das Diabetiker und Diabetikerinnen beim Autofahren vor einer beginnenden Unterzuckerung warnt und benutze dafür nur die Sensoren, die es in einem Auto schon gibt.
Tests mit unterzuckerten Patienten und Patientinnen am Steuer
Genau das führte zu einem groß angelegten Fahrversuch auf einem Militärgelände in Thun in der Schweiz, denn die Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) hat dafür mit Schweizer Forschenden von der ETH Zürich, dem Berner Inselspital und der Uni St.Gallen zusammengearbeitet. Simon Schallmoser von der LMU München erklärt den Versuchsaufbau:
Der Fahrlehrer saß rechts vom Patienten und hinten auf der Rückbank saßen immer zwei oder drei Mediziner*innen. Die haben dann nach einer anfänglichen Fahrt mit normalem Blutzuckerspiegel immer mehr Insulin gegeben, sodass der Blutzuckerspiegel immer niedriger wurde, und wir die entsprechenden Daten aufzeichnen konnten, um so ein KI-Modell zu entwickeln.
Auswertung des Fahrverhaltens von Unterzuckerten
Schallmoser schreibt seine Doktorarbeit über dieses Thema und hat für sein KI-Modell sowohl Fahrdaten ausgewertet als auch die mithilfe einer Kamera aufgezeichneten Kopf- und Augenbewegungen der künstlich Unterzuckerten, die am Steuer saßen. Wenn ein Mensch in den Unterzucker gerät, verändern sich seine Bewegungen.
Genauer gesagt: Der Blick und die Kopfposition werden ein wenig monotoner. Unterzuckerte schauen also tendenziell länger in die gleiche Richtung, und wenn sie ihre Blickrichtung ändern, dann passiert das eher hektisch und schnell. Sie seien nicht mehr ganz so vorausschauend, und das ließe sich auch anhand der Fahrsignale des Autos messen, erklärt Schallmoser
Zum Beispiel haben wir gemerkt, dass PatientInnen mit niedrigem Blutzuckerspiegel bei den Lenkbewegungen weniger kleine Korrekturen machen, die man ja selbst vom Autofahren kennt, sondern die Fahrtrichtung sehr abrupt geändert haben.

Tests im realen Straßenverkehr stehen noch aus
Getestet wurden fingierte Fahrten im Stadtverkehr, auf der Landstraße und Autobahn - mit insgesamt 30 Testfahrerinnen und Testfahrern. Für die Aussagekraft reicht das, sagt Simon Schallmoser.
Wie gut es dann im realen Straßenverkehr funktioniert, dazu müsste man dann bestimmt noch neue Experimente machen, weil so eine Teststrecke auf einem Flugplatz natürlich nur bedingt aussagekräftig ist für den echten Straßenverkehr.
Bis zur Marktreife, sagt Simon Schallmoser, seien noch ein paar weitere Studien erforderlich. Aber die ersten Tests, ob Unterzuckerung durch Künstliche Intelligenz erkannt werden kann, seien bereits sehr erfolgversprechend gewesen:
Wir haben das Modell auf Patienten trainiert und dann an Patienten aus der gleichen Studie getestet. Im Maschinenlernen spricht man davon, dass Trainings- und Test-Datensätze nicht übereinstimmen dürfen, dass sich die Patienten also nicht überlappen dürfen. So haben wir es getestet und da hat es sehr gut funktioniert.
Weitere Einsatzmöglichkeiten denkbar
Letztlich sind noch weitere Tests erforderlich, genauso wie Autohersteller, die interessiert sind, derartige Systeme in ihre Wagen einzubauen. Bei gut ausgestatteten modernen Autos handelt es sich dabei im Grunde nur um ein Softwareupgrade, da die Kamera zur Müdigkeitserkennung bereits an Bord ist.
Zudem bleibt die Frage, ob die KI-Anwendung auch für andere Zwecke einsetzbar wäre, wie zum Beispiel das Erkennen von Alkoholkonsum. Solche Tests stehen auch noch aus. Ein großer Zulieferer war bei den Testfahrten bereits beteiligt - bis zur Marktreife wird es allerdings noch dauern.