Baby wird auf der Intensivstation eines Kinderkrankenhauses und wird nicht-invasiv beatmet. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance/dpa | Christoph Soeder)

Erkältungskrankheiten

Infektionen bei Kindern - Ausblick auf den Herbst

Stand
INTERVIEW
Nicole Töpfner, pädiatrische Infektiologin
MODERATOR/IN
Christoph König
Christoph König, Moderator bei SWR2 (Foto: SWR, Oliver Reuther)
ONLINEFASSUNG
Elisabeth Theodoropoulos

Viele Infektionen in den Kindergärten, eine RSV-Welle mit überlasteten Kinderstationen, das war der letzte Erkältungswinter. Auf einem Kongress in Leipzig haben Expertinnen und Experten diskutiert, was für die kommende Erkältungssaison zu erwarten ist.

Christoph König, SWR2: Jetzt ist zwar Sommer, aber unter den Eltern grassiert schon die bange Frage: Was bringt wohl der nächste Erkältungs-Winter? Auch die Wissenschaft beschäftigt sich mit dieser Frage. Zum Beispiel beim Kongress für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin in Leipzig.

SWR2 Impuls-Moderator Christoph König im Gespräch mit der pädiatrischen Infektiologin und Kongresspräsidentin Dr. Nicole Töpfner.

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Können Sie mir und anderen Eltern sagen, dass es im kommenden Winter nicht so schlimm wird?

Nicole Töpfner: Ja, das würde ich gerne. Ich würde auch gerne meinen kinderärztlichen Kollegen Entwarnung geben. Allerdings befürchten wir, dass es zumindest noch einmal mehr wird als in den Pandemie-Jahren, vielleicht auch noch mal ein bisschen mehr als davor in den Wintern.

Da wir leider nicht davon ausgehen können, dass jetzt durch eine Nachhol-Wintersaison, alle ihr Immunsystem wieder so perfekt trainiert haben, dass es auf dem Stand von vor der Pandemie ist.

Also deckt sich mein Eindruck zur Anzahl der Infektionen mit den Daten, die sie zur Verfügung haben?

Nicole Töpfner: Ja, es war eine massive Infektionswelle, wie wir sie in den letzten zehn Jahren nicht erlebt haben. Es gibt auch zusammengestellte Daten über einen Kinder und Jugendreport, die beschreiben, dass die am häufigsten vorkommenden RSV-Infektionen, also schwere, tiefe Atemwegsinfektionen, die wir auch in der Klinik stationär und auf den Intensivstationen gesehen haben, dass die sich im Vergleich zum Winter 2018 verfünffacht haben.

Und, dass bis Dezember 2022 17.000 Neugeborenen und Säuglinge nur aufgrund dieses einen einzigen Virus mit schweren Atemwegsinfektionen im Krankenhaus waren.

Warum gab es so viele Erkrankungen? Aufgrund der Corona-Pandemie?

Nicole Töpfner: Letztendlich vielleicht gar nicht so sehr aufgrund der Pandemie, sondern unserer Gegenmaßnahmen. Die vielen Masken und Vermeidungsstrategien, welche verhinderten, dass wir mit den normalerweise im Winter zirkulierenden Viren in Kontakt kommen.

Symbolbild für Masken. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance / pressefoto_korb | Micha Korb)
Unser Immunsystem ist aufgrund der vielen Schutzmaßnahmen (Masken etc.) in den letzten Jahren, weniger gut auf Erreger vorbereitet als in den Vor-Corona-Jahren.

Das Immuntraining der Kinder, gerade der jüngeren Kinder, ist dadurch weggefallen. Man geht davon aus, dass das Immunsystem diese Virusinfektionen braucht. Gerade in den ersten Lebensjahren ist es wichtig, die vielen verschiedenen Viren einmal kennenzulernen. Genau wie die Kinder greifen, krabbeln, sitzen, laufen lernen, so lernt das Immunsystem, mit diesen unterschiedlichen Viren umzugehen, Antikörper zu produzieren und ein Gedächtnis dafür zu entwickeln, wodurch eigentlich unser Schutz über die frühe Kindheit bis später ins hohe Alter aufgebaut wird.

Das ist ein natürlicher Vorgang, der normalerweise so geschieht. Und wenn das wegfällt, weil die Kinder nicht in Kontakt mit diesen Erregern kommen durch Kita-Schließungen, Masken, dann sind das die Folgen davon.

Warum trifft es uns Eltern auch immer so schlimm?

Nicole Töpfner: "So schlimm" ist vielleicht eine Interpretationssache der Eltern, weil die Kinder sich noch gar nicht so spezifisch äußern können. Ich denke, wenn wir das empfinden würden, was die Kinder vielleicht durchmachen, würden wir es als schlimmer sehen.

Aber es ist bekannt, dass auch die Eltern und die Erwachsenen dieses Jahr mehr Infektionen hatten. Aber wenn man sich das anguckt, die schönen Kurven, die wir während der Pandemie lesen gelernt haben und mit denen wir jeden Tag konfrontiert waren, die sind jetzt genau umgedreht:

Die Statistik ist so, dass jetzt nicht mehr die alten Leute oben in den Kurven sind, die so dramatisch gestiegen sind, sondern, dass dort die Kinder sind. Die null- bis vierjährigen Kinder liegen ganz oben von den Zahlen und von der Schwere der Infektion.

In der ersten Winterhälfte dieses Jahres war die Zahl der intensiv behandelten Kinder um 350 Prozent gestiegen *, das heißt, die Kinder waren dieses Mal auf jeden Fall schwerer betroffen als die Erwachsenen.

Ein Baby liegt auf einer Kinderstation aufgrund einer Infektion mit dem RS-Virus. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance/dpa | Marijan Murat)
Im letzten Winter waren Babys und Kleinkinder am häufigsten und am stärksten von (RSV-) Infektionen betroffen.

Was hat den Kinderärztinnen und Kinderärzten am meisten Sorge bereitet, die schiere Zahl der Infektionen oder die vielen schweren Verläufe?

Nicole Töpfner: Letztendlich beides und in Kombination. Und ein dritter Faktor, den man unbedingt hier an dieser Stelle nennen muss, wenn es dann schwere Infektionen waren, auf der einen Seite, dass die Intensivkapazitäten oder auch die Krankenhausbetten an einigen Stellen fehlten und auf der anderen Seite zum Teil auch die Antibiotika, wenn man schwere bakterielle Superinfektionen behandeln wollte. Und auch noch ganz viele weitere Medikamente, die wir bei Kindern eigentlich so selbstverständlich geben, die uns viel zu selbstverständlich eigentlich immer greifbar waren, wo wir jetzt gemerkt haben, was es heißt, wenn das nicht so ist.

Ein Mitarbeiter einer Apotheker zeigt eine Packung Antibiotikasaft «Infectomox» für Kinder. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance/dpa | Jan Woitas)
Aufgrund der starken Infektionswelle im letzten Winter fehlten Intensiv- und auch allgemein Krankenhausbetten für Kinder, sowie zum Teil auch Antibiotika, besonders in kindgerechter Darreichungsform.

Wenn wir uns auf den zu erwartenden Erkältungswinter einstellen wollen, dann wäre es eine gute Idee, Fiebersaft und Antibiotika zu besorgen?

Nicole Töpfner: Ja, auf der einen Seite die Präparate an sich und auf der anderen Seite auch wirklich darauf zu drängen, dass diese in kindgerechten Darreichungsformen, also auch als Saft verfügbar sind oder die Dosierungs- und Tablettenformen so sind, dass Kinder sie schlucken können und man nicht ausweichen muss, wie es diesen Winter geschehen ist.

Wir haben tatsächlich von der Fachgesellschaft für Pädiatrische Infektiologie eine Alternativliste erstellen müssen, wenn das Antibiotikum nicht vorhanden ist, auf welches andere Antibiotika man umschwenkt. Und wenn man sich überlegt, dass wir die letzten Jahrzehnte intensiv daran gearbeitet haben, möglichst zielgerichtete Antibiotikatherapien zu verwenden, damit sich auch die Resistenzlage in Deutschland nicht verschlechtert und es nicht zum Ausbruch von multiresistenten Keimen kommt, dann ist es ein Unding, wenn man durch solche Engpässe schon wieder breiter denken muss.

Wir haben gefühlt auch nicht genug Kinderärzte, würde ich aus meiner Elternsicht behaupten. Deckt sich das auch mit Ihrer Einschätzung?

Nicole Töpfner: Ja, das deckt sich mit meiner und auch mit der von ganz, ganz vielen kinderärztlichen Kollegen. Das ist auf der Seite der Kinderärzte eine Belastungsgrenze, die diesen Winter überschritten wurde und auch vom Pflegepersonal und den Intensivpflegekräften. Diese sind in der Pädiatrie genauso knapp, wie es ja häufiger auch von den Erwachsenen-Disziplinen gemeldet wurde.

Warum ist der Job als Kinderarzt oder Kinderärztin so unbeliebt?

Nicole Töpfner: Letztendlich ist es ein wahnsinnig schöner Job, und ich würde sagen, dass der überhaupt nicht unbeliebt ist, sondern dass er daran liegt, dass die Stellen in der Kinderheilkunde so kalkuliert sind, dass das Gesundheitssystem sich möglichst ökonomisch balanciert und auf ein mittleres Auslastungsniveau kalkuliert ist.

Das bedeutet, dass diese Spitzenzeiten im Winter nicht abgefangen werden können. Wenn man von einem verfünffachten Anstieg ausgeht, generell auf den Stationen oder von einem Anstieg um 350 Prozent * auf der Intensivstation, kann das im Winter nicht abgefangen werden. Während es im Sommer vielleicht dann nicht zu einer so massiven Auslastung kommt, wenn viele in Sommerurlaub sind oder weniger Viren sich verteilen.

Kinderärztin spricht mit junger Patientin vor der Untersuchung. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance/dpa | Christian Charisius)
Das Gesundheitssystem ist auf ein mittleres Auslastungsniveau kalkuliert. Deshalb können die Spitzenzeiten im Winter nicht abgefangen werden.

Wir müssen uns für den nächsten Winter wieder einstellen, auf viele Infektionen unter Kindern. Und vielleicht fangen wir bald am besten damit an.

Hinweis der Redaktion:

* Im Audio hat sich die Interviewpartnerin versprochen: Gemeint ist nicht das 350-fache, sondern ein Anstieg der intensivmedizinisch behandelten Kinder um 350 Prozent. Wir haben das entsprechend im Text korrigiert.

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