Die Forschung an Hirnorganoiden ist ethisch umstritten. Hier werden beispielsweise multipotente Stammzellen verwendet, um Neandertaler-Minigehirne im Labor zu züchten.  (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance / ZUMAPRESS.com)

Stellungnahme der Leopoldina

Hirnstrukturen aus dem Labor

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Nina Kunze
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Ralf Kölbel

Weltweit wird an sogenannten Hirnorganoiden geforscht, die aus menschlichem Gewebe gezüchtet werden. Ziel ist es, das menschliche Gehirn und mögliche Erkrankungen besser zu verstehen. Ethisch ist diese Methode allerdings umstritten.

In den USA haben Wissenschaftler gezüchtetes menschliches Hirngewebe in die Gehirne von Ratten verpflanzt, das dort mit dem Hirn der Nagetiere verwachsen ist. Zweck: Solche Versuchstiere sollen einmal helfen, Therapien für Erkrankungen bei Menschen zu erforschen.

Ethisch ist die Forschung mit Hirnorganoiden nicht unumstritten – jetzt hat sich die Leopoldina – die nationale Akademie der Wissenschaften dazu geäußert.

Stellungnahme der Leopoldina zu gezüchteten Gewebestrukturen

Um das Gehirn besser zu verstehen und somit auch komplexe Erkrankungen wie Alzheimer oder Epilepsie behandeln zu können, standen der Wissenschaft lange nur wenige Mittel zur Verfügung. Versuche am Menschen sind ethisch nicht vertretbar, Tierversuche bilden die Vorgänge im menschlichen Gehirn nur unvollständig ab.

Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina hat nun eine Stellungnahme veröffentlicht, die die ethische Vertretbarkeit von sogenannten Hirnorganoiden unter die Lupe nimmt. Dabei handelt es sich um im Labor gezüchtete Gewebestrukturen, die das menschliche Gehirn nachahmen – und das ist ethisch nicht ganz unumstritten.

Professor Jürgen Knoblich hat an der Veröffentlichung mitgewirkt. Er sagt:

„Es ist extrem wichtig, dass man die Bedenken, die es in der Bevölkerung gibt, gegenüber dieser Art von Forschung sehr ernst nimmt und sehr breit und auch unvoreingenommen diskutiert.“

Organoid der Retina (Netzhaut) am 50. Tag seiner Entwicklung in der Petrischale (in vitro) (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture-alliance / dpa Bildfunk/= Y.M. Lasowski/T. Rauen)
Die Forschung an Hirnorganoiden ist ethisch umstritten. Organoide könnten aber beispielsweise auch genutzt werden, um menschliche Organe oder eine Retina (Netzhaut) in der Petrischale zu züchten.

Organoide können Funktionen menschlicher Organe nachahmen

Um Organoide zu züchten werden menschliche Zellen, beispielsweise aus der Haut, in eine Art Ursprungszustand versetzt. Danach können diese sogenannten induzierten Stammzellen wiederum in jede beliebige Gewebezelle umgewandelt werden – auch in die Nervenzellen unseres Gehirns. Unter den richtigen Bedingungen fügen sich diese Zellen im Labor zu einer dreidimensionalen Struktur zusammen, den Organoiden.

Diese Organoide können viele Funktionen von menschlichen Organen nachahmen, auch wenn sie nicht mit dem menschlichen Körper verbunden sind. Und auch diese Grenze verschwimmt zunehmend: erst kürzlich gelang es einer Forschungsgruppe, menschliche Hirnorganoide in das Gehirn von Ratten einzupflanzen und damit sogar das Verhalten der Tiere zu beeinflussen.

Die Forschung an Organoiden bietet viele Möglichkeiten bei der Erforschung von Krankheiten.  (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance / ZUMAPRESS.com)
Die Forschung an Organoiden bietet viele Möglichkeiten bei der Erforschung von Krankheiten.

Muss man menschliches Gewebe unter besonderen Schutz stellen?

Doch das öffnet eine scharfe ethische Debatte: Inwieweit wird damit ein menschliches Gehirn nachgebaut? Sollte das funktionsfähige menschliche Gewebe unter besonderem Schutz stehen? Für die Stellungnahme der Leopoldina wurden genau solche Fragestellungen untersucht – und zwar von allen Seiten, erklärt Jürgen Knoblich in einem Interview mit tagesschau24:

„In dieser Stellungnahme haben wir einige der prominentesten Philosophen, Ethiker/innen, Rechtswissenschaftler/innen und Neurobiolog/innen in Deutschland zusammengefasst und wir hatten sehr, sehr interessante Diskussionen darüber, inwieweit diese Art von Forschung reglementiert werden müsste und in wieweit Strukturen, wie wir sie im Labor züchten, schützenswert wären.“

Die Schlussfolgerung: Momentan seien die Hirnorganoide, was ihre Funktion angeht, nicht mit der Komplexität menschlicher Gehirne vergleichbar. So fehlen ihnen beispielsweise die Strukturen für Sinneseindrücke. Dennoch entwickle sich das Forschungsfeld derzeit so rasant, dass diese Grenzen in Zukunft überwunden werden könnten. Dann sei es wichtig, dass spezielle Ethikkommissionen eingesetzt werden, die die Forschung an Hirnorganoiden reglementieren.

Die Forschung an Hirnorganoiden ist ethisch umstritten. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture-alliance / epd-bild/JuergenxBlume)
Das Forschungsfeld mit Organoiden entwickelt sich rasant weiter. Das wirft neue ethische Fragen auf.
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