Der Bagger ganz nah vor der Ortschaft Lützerath. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, /dpa)

Braunkohleabbau

Brauchen wir die Kohle von Lützerath?

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Jochen Steiner im Gespräch mit Alice Thiel-Sonnen, SWR-Umweltredaktion
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Antonia Weise

Damit am Tagebau Garzweiler weiterhin Braunkohle gefördert werden kann, soll das Dorf Lützerath abgerissen werden. Doch brauchen wir überhaupt die Kohle für unsere Energieversorgung?

Jochen Steiner SWR2 Impuls im Gespräch mit Alice Thiel-Sonnen aus der SWR-Umweltredaktion

Kohleausstieg auf der einen Seite und trotzdem noch Dörfer abreißen für den Kohleabbau auf der anderen Seite - Ist das nicht ein Widerspruch?

Klar, das widerspricht sich auf den ersten Blick. Aber wenn wir die Historie sehen, dann war der Kohleausstieg für 2038 vereinbart und das hat die Ampelkoalition auf 2030 vorgezogen. Eigentlich hätten für den Kohleabbau noch viel mehr Dörfer weichen müssen. Die Bergbauunternehmen hatten bereits genehmigte Pläne dafür vorliegen. Ohne das jetzt schönreden zu wollen: Der Deal zwischen der Bundesregierung, RWE und Nordrhein-Westfalen sagt, dass für das Rheinische Revier fünf der Dörfer hätten weichen müssen, jedoch nun erhalten bleiben.

Es ist „nur“ Lützerath, wo es heißt, dass ein Erhalt aus energiewirtschaftlichen und Tagebau-planerischer Sicht nicht möglich ist. Es ist ein Zugeständnis in dem großen Kompromiss: Raus aus der Kohle mit noch mehr Tempo.

Sind wir auf die Kohle unter Lützerath angewiesen, um unseren Energiebedarf zu decken?

Die Gutachten, welche Nordrhein-Westfalen in Auftrag gegeben hat, sagen ja. Gerade vor dem Hintergrund der außergewöhnlichen Situation, die wir durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine haben und schnell unabhängig von der Energie Russlands werden wollen. Da brauchen wir die Kohle um unsere Versorgung mit Strom, mit Energie sicherzustellen. Es gibt aber auch andere Gutachten, unter anderem von der Coal Exit Research Group.

Das sind mehrere deutsche Forschungsinstitute, die sich zusammengetan haben. Sie sagen: Nein. Für die Versorgungssicherheit wäre genug Kohle da. Wir würden die Kohle, die jetzt noch unter Lützerath liegt, nicht brauchen.

Unterschiedliche Ergebnisse – Wer hat recht?

Das ist schwierig zu sagen, alle ein bisschen. Es ist einfach schwierig, so etwas zu berechnen. Es muss viel geschätzt werden, das sind Gleichungen mit vielen Unbekannten.

Wir müssen uns aber fragen: Werden die Kohlekraftwerke bis zum Ausstieg dann noch volle Kraft gefahren oder ein bisschen Leistung schon vorher limitiert? Wie viel mehr Energie werden wir in den nächsten Jahren brauchen, wenn wir zum Beispiel mehr E-Autos und mehr Wärmepumpen haben?

Oder aber: Wie schnell klappt das alles mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien?

Je nachdem, wie man diese verschiedenen Fragen beantwortet, kommt dann am Ende mehr oder weniger zusätzliche Kohle raus, die benötigt wird. Das ist der Grund, weshalb bei den Gutachten, obwohl sie die gleichen Fragen und das gleiche Thema behandeln, unterschiedliche Antworten herauskommen.

Der Streit um Lützerath steht ja symbolisch für die Frage: Kohle gegen Klimaschutz - aus Klimaschutz Perspektive. Unabhängig von den Gutachten, müsste man den Kohleabbau und die Kohlenutzung so schnell wie möglich beenden?

Das wäre tatsächlich die Konsequenz, wenn wir sehen, dass ein Viertel der CO2 Emissionen in Deutschland auf das Konto der Kohlekraftwerke geht. Kohle ist die Energieform, die dem Klima mit Abstand am meisten schadet. Es ist sehr aufwendig, um aus der Kohle Strom zu generieren, und der Prozess selbst verbraucht schon viel Energie.

Vielleicht muss man die Betonung auf das "Wie" bei "so schnell wie möglich" legen.

Denn so ein Ausstieg aus der Kohle geht nicht per Knopfdruck. Da hängen Besitzstände dran, es muss über Entschädigungen verhandelt werden, da stecken Arbeitsplätze hinter. Und es muss klar sein, mit welcher Energie wir uns stattdessen versorgen. Wer Gas beim Kohleausstieg gibt, der muss sozusagen doppelt Gas geben, wenn es um den Ausbau erneuerbarer Energien geht. Also das Tempo hat in den letzten Jahren eindeutig nicht gereicht, da ist viel Nachholbedarf.

Energiekonzern RWE will die unter Lützerath liegende Kohle abbaggern. Dafür muss das Dorf abgerissen werden. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, /dpa)
Einsatzkräfte fahren im Braunkohletagebau Garzweiler II. Sie beginnen mit der Räumung von Lützerath, einem von Klimaaktivisten besetzen Ort.

Wenn der Kampf um Lützerath vorbei sein sollte, können wir dann einen Strich unter diese Kohle-Problematik ziehen?

Das mit dem Strich drunter wird nicht so schnell gehen. Lützerath beziehungsweise das gesamte Abbaugebiet Garzweiler ist eins von drei Kohleabbaugebieten im Rheinischen Revier. Neben dem Rheinischen Revier gibt es noch vier weitere solcher Reviere, davon befinden sich drei in Ostdeutschland. Für diese ist das Ausstiegsdatum 2030 noch gar nicht ausgehandelt. Bisher liegt deren Enddatum noch im Jahr 2038.

Also neben Nordrhein-Westfalen kommt dann sozusagen noch ein ostdeutscher Kohleausstieg hintendran.

Und nur weil die Bagger für den Abbau stillstehen ist beim Thema Kohleabbau noch lange kein Ende in Sicht. Die Bilder zeigen ja diese riesigen Löcher, die da gebohrt sind, diese riesigen Wunden, die da in die Natur gegraben sind. Das muss alles renaturiert werden. Dazu sind die Bergbauunternehmen verpflichtet und das funktioniert nicht durch einfaches Zuschütten der riesigen Löcher. Das wird dauern. Das ist ganz bestimmt nicht in einem Jahrzehnt zu schaffen.

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