Medikamentenproduktion

Studierende entwickeln mitwachsende Bioreaktoren aus Kondomen

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Martina Senghas
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Christian Burg
Merle Janssen

mRNA-Impfstoffe sind durch Synthese relativ einfach herzustellen. Für die meisten Impfstoffe und Biopharmazeutika ist die Herstellung aber sehr aufwendig. Der mitwachsende Bioreaktor aus Kondomen eines Mannheimer Studenten könnte da eine kleine Revolution in der Medikamentenproduktion darstellen.

Auch wenn in letzter Zeit viel von Impfstoffen die Rede war, die mit der mRNA-Methode funktionieren und die in relativ kurzer Zeit künstlich hergestellt werden können – noch sind die meisten Impfstoffe anderer Natur. Bei einem Großteil dieser Medikamente handelt es sich um Biopharmazeutika, also Wirkstoffe, die man nicht durch chemische Synthese gewinnt, sondern mithilfe von Bakterien, Pilzen oder Säugetierzellen. Das ist eine recht aufwändige Angelegenheit, für die man Gefäße braucht, in denen sich die Zellen vermehren können, sogenannte Bioreaktoren.

Dabei ist es üblich, die Zellstämme mehrmals von einem kleineren in ein größeres Gefäß umzutopfen. Viel zu umständlich, dachte sich der Mannheimer Student Valentin Kramer und hat einen Bioreaktor entwickelt, der mitwächst.

Das muss besser gehen

Valentin Kramer ist Ende zwanzig und hat an der Hochschule Mannheim seinen Master in Bioprozessentwicklung gemacht. Zu seinem Studium gehörte unter anderem, im Labor zu stehen und in Nährlösungen Zellkulturen anzulegen. Doch Zellkulturen für die Vermehrung ständig von einem Gefäß ins nächstgrößere zu verpflanzen, war für ihn Schwachsinn. Für ihn war klar, das muss besser gehen.

Die Lösung lag für ihn darin, dass die Gefäße ausdehnbar sein und mitwachsen müssten. Also hat er angefangen zu experimentieren.

"Ja, also der erste Schritt war wirklich zu gucken, was ist das Material, was ich so herkömmlich ohne große Probleme kriegen kann, das sich am meisten dehnen lässt, und das waren Kondome, die man eben bis 20 Liter ausdehnen kann."

Deshalb hat er sich Großpackungen Kondome in der Drogerie besorgt und dazu ein paar dünne Schläuche aus dem Baumarkt, um die Zellkulturen immer gut von außen versorgen zu können. "Ganz am Anfang hab ich wirklich in der Küche alles zusammengebastelt und zusammengemischt und hab die allerersten Versuche auch mit Zuckerwasser und Backhefe gemacht, weil ich gedacht habe, wenn das nicht funktioniert, kann ich es gleich lassen", erzählt er. Und es hat funktioniert.

Zellen müssen vorgezüchtet werden

Um zu verstehen, warum dieses Start-up erfolgversprechend ist, muss man wissen, dass die Herstellung von biopharmazeutischen Wirkstoffen letztendlich zwar in riesigen Tanks stattfindet, man zuvor aber immer eine bestimmte Anzahl an Zellen vorzüchten muss. Ein paar wenige Zellen kommen in eine Nährlösung, teilen und vermehren sich und werden bis zu achtmal in den nächstgrößeren Bioreaktor umgefüllt, bis man in die Großproduktion gehen kann. Es gibt mehrere Gründe dafür, dass man nicht gleich in einem großen Behälter starten kann.

Zellkultur (Foto: IMAGO, IMAGO / Westend61)
Ein Großteil unserer Medikamente sind Biopharmazeutika, also Wirkstoffe, die mithilfe von Bakterien, Pilzen oder Säugetierzellen gewinnt. Diese Zellkulturen müssen in immer größeren Gefäßen herangezüchtet werden.

"Einmal biologische Gründe: Die Zellen brauchen eine bestimmte Dichte, also eine bestimmte Anzahl, dass sie gut wachsen. Sie fühlen sich nicht wohl, kann man sagen, wenn es zu wenige auf zu großem Platz sind", erklärt Valentin Kramer. "Dann ist es auch ein ökonomisches Problem. Also stellen Sie sich vor, Sie würden eine Pflanze pflanzen wollen auf einem riesigen Feld, aber Sie haben nur einen einzigen Samen und den werfen Sie irgendwo aufs Feld, wissen aber nicht wo. Und jetzt müssen Sie, bis die Pflanze wächst, das ganze Feld wässern und düngen. Und in dem Fall ist das bessere Vorgehen, dass Sie einen kleinen Topf nehmen und da diesen Samen einsetzen. Wenn dann aber der Topf zu klein wird, dann müssen Sie umtopfen, bis die Pflanze groß genug ist, dass sie eben auch aufs große Feld kann."

Aus der Idee entstand ein Start-up

Dem Mannheimer Biotechnologen ging es darum, diesen Prozess für die Medikamentenherstellung effizienter zu machen. Zumal bei jedem Gefäßwechsel die Gefahr besteht, dass die Zellkultur verunreinigt wird und man dann noch einmal von vorne anfangen muss. Eine seiner Professorinnen gab ihm den Mut, dabei gleich unternehmerisch zu denken. Ein weiterer Professor unterstützte ihn in der Entwicklung und schließlich holte er noch seinen Kommilitonen Frederik Gertz mit ins Boot.

"Als der Valentin seine Masterarbeit gemacht hat, hab ich gerade meine Bachelorarbeit gemacht, aber im gleichen Labor. Und sind dadurch ins Gespräch gekommen, hatten die gleichen Labormeetings, haben uns ausgetauscht über unsere Arbeiten. Dann hab ich mich mal um seine Zellen gekümmert und umgekehrt genauso."

Schließlich haben Valentin Kramer und Frederik Gertz zusammen die Firma Aucteq gegründet. Die Vorteile ihres mitwachsenden Bioreaktors, für den sie schon 2016 ein Patent angemeldet haben, liegen auf der Hand. Die Zellen können schneller wachsen, erreichen schneller Zelldichten, die dann später verwendet werden können für die Produktion. Ein anderer großer Vorteil ist, dass extrem viel Müll eingespart werden kann, da die sechs bis acht Umtopfschritte in Single-Use-Produkten gemacht werden.

Von Kondomen zu hochwertigem Kunststoff

Das Herumexperimentieren mit Kondomen und Baumarktprodukten ist längst vorbei. Das Material, das inzwischen verwendet wird, ist ein sehr viel hochwertigerer Kunststoff und entspricht medizinischen Normen, ebenso die verwendeten Schläuche und Kleber. 

"Ja, das ist schon ein anderes Level. Jetzt gerade sind wir dabei, das Ganze seriell zu planen, wo dann alles maschinell gefertigt wird, wo es dann keinen Unterschied mehr macht, ob ich ein paar hundert oder ein paar tausend Teile macht. Dann kommt dann noch mal ein Stück die nächstgrößere Professionalität, wo man sagt: Das ist alles von gleichbleibender Qualität, keine Handarbeiten mehr dabei, jede einzelne Komponente ist geprüft und das ist für die Pharmabranche sehr relevant."

Wenn alles gut geht, dann könnten die mitwachsenden Bioreaktoren, die im Grunde ovale Plastiksäcke mit Schläuchen sind, Ende des Jahres auf den Markt kommen. Und die Pharmabranche ist mehr als interessiert. Bioreaktoren braucht man zur Herstellung von Impfstoffen und Medikamenten gegen Krebs, Morbus Chron und viele andere Krankheiten. Vielleicht in Zukunft sogar zur Produktion von Wirkstoffen für die Covid19-Therapie.

"Interessenten gibt es auf jeden Fall. Wenn ich noch einmal kurz auf die Anfangszeit, wo Valentin noch alleine war, zurückkommen kann. Als er noch nichts in der Hand hatte, nur die Idee gepitcht hatte, kamen direkt nach dem Vortrag diverse Leute auf ihn zu und wollten den Reaktor sofort kaufen. Also das Interesse ist da und sie hätten es lieber gestern als morgen."

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