Muhammad klagt gegen den Lieferdienst Wolt. Er habe für die Arbeit bei einem Wolt-Subunternehmer keinen Lohn erhalten. (Foto: SWR, © SWR)

Investigative Recherche

"Vollbild": „Lieferando“ überwacht offenbar automatisiert Leistung seiner Kuriere

Stand

Das Geschäft mit Essenslieferungen boomt, doch der Markt ist umkämpft. "Vollbild" vom SWR zeigt, wie Marktführer „Lieferando“ seine Kuriere und deren Leistung offenbar automatisiert überwacht. Ab 31.10.2023 in der ARD Mediathek.

Der Essenslieferdienst „Lieferando“ überwacht nach Recherchen des SWR-Investigativformats „Vollbild“ offenbar permanent und automatisiert die Leistung seiner Kuriere. Demnach gibt es bei „Lieferando“ ein eigenes Team so genannter Agenten, das unter anderem die Arbeit der Kuriere im Blick behalten soll.

„Vollbild“ trifft „Lieferando“-Insider

„Vollbild“ ist es gelungen, einen ehemaligen Mitarbeiter des Teams zu interviewen. Nach seinen Angaben sehen die Agenten nicht nur den genauen Standort der Kuriere. Die Mitarbeiter würden zudem über ein automatisiertes System über Auffälligkeiten im Lieferbetrieb informiert. „Alles, was nicht richtig läuft, wird automatisiert dargestellt“, so der ehemalige Agent gegenüber „Vollbild“. Überschreiten Kuriere zum Beispiel eine vorgegebene Zeit für eine bestimmte Lieferstrecke, erscheint dies nach Angaben des Insiders automatisiert auf dem Bildschirm der Agenten.

In Fällen wie diesen habe er die Fahrer über ein Chatsystem anschreiben und fragen sollen, was der Grund für die Verzögerung sei. „Es ist eine Überwachung, um die Leistung zu überwachen, um die Performance stetig oben zu halten“, so die Einschätzung des ehemaligen „Lieferando“-Mitarbeiters. Die Richtwerte des Systems, das Agenten über Auffälligkeiten informiere, seien zwar nicht immer so streng. Dennoch bewertet er die Praxis im Nachhinein als einen „zu starken Eingriff“: „Man kann grundsätzlich sagen, dass es möglich ist, jedem Fahrer im Nacken zu sitzen, der nicht das macht, was die Firma möchte.“

Chatnachrichten stützen Aussagen des ehemaligen Mitarbeiters

„Vollbild“ liegen mehrere Chat-Nachrichten vor, die „Lieferando“-Kuriere aus unterschiedlichen Städten von Agenten bekommen haben. Sie stützen die Aussagen, dass die Fahrer und ihre Leistung offenbar ganz genau beobachtet werden. In den Nachrichten heißt es etwa: „Hallo, mir wird angezeigt das du einen Auftrag bei dir in der App hast den du noch nicht gesehen hast.“; „Hi, brauchst du hilfe den kunden zu finden?“ und „Hey, konntest du die Bestellung bereits ausliefern? Ich sehe das du bereits einige Zeit beim Kunden stehst, brauchst du Support?“ (Anm. d. Redaktion: Fehler im Original).

Datenschützer Brink: „Komplett überwachtes Arbeitsverhältnis“

Nach Einschätzung des Datenschutzexperten Stefan Brink zeigen die „Vollbild“-Recherchen, dass „Lieferando“ seine Mitarbeiter und deren Leistung unzulässig überwacht. Brink war bis vergangenes Jahr baden-württembergischer Landesdatenschutzbeauftragter und hatte sich bereits in dieser Funktion mit „Lieferando“ und der Fahrer-App beschäftigt. „Das sind Belege dafür, dass wir es mit einem komplett überwachten Arbeitsverhältnis zu tun haben“, so Brink gegenüber „Vollbild“. Wenn die Angaben zutreffend seien, handele es sich um eine ganz eindeutige Leistungskontrolle. „Solche vollständigen Überwachungs- und Arbeitsverhältnisse sind nicht legal“, so Brink.

„Lieferando“: „Fahrer-App entspricht Datenschutzbestimmungen“

„Lieferando“ weist die Vorwürfe auf „Vollbild“-Anfrage zurück. Die Fahrer-App entspreche geltenden Datenschutzbestimmungen. Orte und Zeiten seien unerlässlich, damit der Service ordnungsgemäß funktioniere. Die Daten würden jedoch nicht für unerlaubte Leistungs- oder Verhaltenskontrolle genutzt und man informiere die Fahrer, wozu man sie nutze. Einige Detailfragen, etwa zur automatisierten Darstellung von Auffälligkeiten im Lieferbetrieb, ließ das Unternehmen unbeantwortet. „Lieferando“ ist nach eigenen Angaben der führende Essenslieferdienst in Deutschland und hat bundesweit mehr als 32.000 Restaurantpartner.

Die ganze Recherche in der ARD Mediathek unter Vollbild Lieferdienste

„Vollbild“ ist das junge investigative Recherche-Format des SWR aus der Werkstatt von „Report Mainz“.

Zitate gegen Quellenangabe „SWR/Vollbild“ frei. Rückfragen bitte an die Redaktion „Vollbild“, Tel.: 06131 / 929-33499, E-Mail: vollbild@swr.de

Ein Warnstreik von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Lieferdienstes "Lieferando" in Berlin. (Foto: SWR, © SWR)
Ein Warnstreik von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Lieferdienstes "Lieferando" in Berlin Bild in Detailansicht öffnen
Hassan (Name geändert), arbeitet für einen Subunternehmer von Wolt und berichtet über die dortigen Arbeitsbedingungen.  (Foto: SWR, © SWR)
Hassan (Name geändert), arbeitet für einen Subunternehmer von Wolt und berichtet über die dortigen Arbeitsbedingungen. Bild in Detailansicht öffnen
Muhammad klagt gegen den Lieferdienst Wolt. Er habe für die Arbeit bei einem Wolt-Subunternehmer keinen Lohn erhalten. (Foto: SWR, © SWR)
Muhammad, klagt gegen den Lieferdienst Wolt. Er habe für die Arbeit bei einem Wolt-Subunternehmer keinen Lohn erhalten. Bild in Detailansicht öffnen

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