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Japans Frauen wehren sich – Erfolge im Kampf für Gleichberechtigung

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Martin Fritz
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Candy Sauer

Bei der Gleichberechtigung gehört Japan zu den rückständigsten Staaten. Doch inzwischen wehren sich Japanerinnen mit wachsendem Erfolg gegen das tief verankerte Rollenbild der dienenden und dekorativen Frau.

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Japanische Frauen sind bisher in Politik und Management kaum vertreten, im Global Gender Gap Report des Weltwirtschaftsforums belegt Japan Platz 125 von 146 Ländern.

Frauen und Mütter als "Prachtnelken": Woher kommt das japanische Idealbild?

Die heutige geringe Chancengleichheit der Japanerinnen wurzelt in einem Idealbild aus der Zeit vor etwa 150 Jahren, als Japan einen Nationalstaat nach westlichem Vorbild aufbaute und viele junge Männer für Industrie und Militär brauchte.

Das Idealbild der Frau und Mutter firmierte damals unter der Bezeichnung "Yamato Nadeshiko" – die Prachtnelken von Japan. Und zwar mit diesen Eigenschaften: anmutig, fein geschminkt, willensstark, zurückhaltend, dezent verführerisch, opferbereit und dreifach gehorsam – als Tochter dem Vater gegenüber, als Ehefrau dem Ehemann und als Mutter dem Sohn.

Nein zu Sexismus in Büro und Schule: Japans Frauen wehren sich

Doch Japans Frauen wehren sich. Zehntausende Frauen unterstützten zum Beispiel eine Unterschriften-Aktion gegen den Zwang zu hochhackigen Schuhen an vielen Arbeitsplätzen, etwa am Empfang von Unternehmen, in Hotels oder Restaurants – überall dort, wo Frauen Kontakt zu Besuchern und Kunden haben. Diese Vorgabe der Arbeitgeber war der Aktivistin Yumi Ishikawa ein Dorn im Auge. Die Frauen sollten selbst entscheiden, welche Schuhe sie tragen, forderte die Urheberin der Petition.

"Don't force women to wear "high-heeled" at work": Die Schauspielerin und Schriftstellerin Yumi Ishikawa am 3. Juni 2019 in Tokio. Sie reichte am selben Tag eine Petition beim Arbeitsministerium ein, in der sie ein Verbot der Kleiderordnung forderte, die Frauen dazu zwingt, Schuhe mit hohen Absätzen bei der Arbeit zu tragen. Ishikawa startete 2019 die #KuToo-Bewegung. Der Name lehnt sich an die #MeToo-Bewegung an und spielt mit den japanischen Worten für "Schuhe" und "Schmerz". (Foto: IMAGO, IMAGO / Kyodo News)
"Don't force women to wear "high-heeled" at work": Die Schauspielerin und Schriftstellerin Yumi Ishikawa am 3. Juni 2019 in Tokio. Sie reichte am selben Tag eine Petition beim Arbeitsministerium ein, in der sie ein Verbot der Kleiderordnung forderte, die Frauen dazu zwingt, Schuhe mit hohen Absätzen bei der Arbeit zu tragen. Ishikawa startete 2019 die #KuToo-Bewegung. Der Name lehnt sich an die #MeToo-Bewegung an und spielt mit den japanischen Worten für "Schuhe" und "Schmerz".

Die Unterschriftensammlung gegen diese Kleidungsvorschrift ist eine von vielen Kampagnen von Aktivistinnen in Japan, die das tief verankerte Rollenbild von der dekorativen und dienenden Frau aufweichen und letztlich abschaffen wollen.

Vor einigen Jahren wehrten sich Teenagerinnen dagegen, dass sie eine Schuluniform mit Rock tragen müssen, selbst im kalten Winter. Ihr Widerstand war erfolgreich: Heute dürfen Mädchen an über 3.000 Schulen eine Uniform mit Hose tragen. Und auch der Kampf gegen die Kleidungsvorschriften für Bewerbungs- und Vorstellungsgespräche wurde gewonnen: Jedes Jahr ab Juni wählen die Unternehmen ihren Nachwuchs unter den Studierenden aus, die im darauf folgenden Frühjahr die Universität abschließen. Für diese Vorstellungsgespräche galt traditionell eine einheitliche Bewerbungskleidung, auf Japanisch der "Recruit Suit". Männer tragen Anzug und Krawatte, Frauen sollen ihre Weiblichkeit betonen – mit einem eng geschnittenen Rock fünf Zentimeter über dem Knie, Blazer, einer weißen Bluse, Pumps mit halbhohem Absatz und Handtasche. In dieser Quasi-Uniform sollen die meisten Frauen später auch in den Unternehmen arbeiten.

Vorstellung von Frauen als "Blumen des Unternehmens" überwinden

Der heutige Widerspruch zwischen den inzwischen geschlechtsneutralen Schuluniformen und der weiterhin genderbetonten Bewerbungs- und Bürokleidung fiel der Benimmlehrerin Masako Shinohara auf, die Studentinnen und Studenten bei ihrer Jobsuche unterstützt.

Die gesellschaftliche Erwartung ist, dass Frauen als Blumen des Unternehmens dienen, als Schmuck. [...] Auch heute sollen Frauen die Atmosphäre in einem Unternehmen auflockern und eine diplomatische Rolle beim Empfang von Gästen übernehmen.

Zusammen mit einer anderen Frau konnte Masako Shinohara – ebenfalls mit dem Sammeln von Unterschriften – führende Personalvermittler in Japan davon überzeugen, ihre Kleidungsempfehlungen für das Vorstellungsgespräch zu ändern. Nun heißt es in den informellen Richtlinien, die jungen Frauen könnten auch Hosenanzüge tragen und auf hochhackige Schuhe verzichten.

Satoko Kishimoto ist die erste Frau, die zur Bürgermeisterin des Tokioter Stadtbezirks Suginami gewählt wurde. (Foto: SWR, Martin Fritz)
Satoko Kishimoto ist die erste Frau, die zur Bürgermeisterin des Tokioter Stadtbezirks Suginami gewählt wurde.

Politik in Japan noch immer fest in Männerhand – aber es tut sich was

Wenn die Gesellschaft sich ändern muss, dann könnte die Politik eine treibende Kraft dafür sein. Allerdings befindet sich auch die Politik in Japan fest in Männerhand. Auf der nationalen Ebene sind nur rund zehn Prozent der Abgeordneten im Unterhaus weiblich – daran hat sich in den letzten Jahrzehnten nichts geändert.

Auf lokaler Ebene sieht es noch schlechter aus. Nur zwei Prozent der Rathäuser werden von Frauen geleitet. Darin sieht Satoko Kishimoto eine "nationale Krise", weil notwendige Veränderungen nicht stattfänden. Satoko Kishimoto wurde im Juni 2022 mit 200 Stimmen Vorsprung als erste Frau an die Spitze der Stadtverwaltung des Tokioter Bezirks Suginami gewählt, der 500.000 Einwohner hat.

Es herrscht ein Mangel an Vorstellungskraft wegen der vielen alten Männer, die auf den wichtigen Posten sitzen. Dadurch stagniert die Gesellschaft. [...] Ausgerechnet in einer solchen Zeit werden Entscheidungen von Leuten getroffen, die in der Vergangenheit leben.

Projekt "Fiftys": Seminare für Frauen bringen Erfolge bei Regionalwahlen

Projekte wie "Fiftys" engagieren sich dafür, dass mehr Frauen in verantwortliche Positionen kommen. Es wurde gegründet von der 25-jährigen Momoko Nojo und der Name ist Programm: Die Hälfte der Parlamentssitze soll Frauen gehören – und zwar möglichst jüngeren Frauen. Dafür setzt das Projekt bei den Stadt- und Regional-Parlamenten an. Dort seien über die Hälfte der Abgeordneten über 60 Jahre alte Männer, erzählt Nojo. Nur ein Prozent sei zwischen 20 und 30 Jahre alt.

Momoko Nojo (Mitte), Gründerin der Nichtregierungsorganisation "Fiftys Project" zur Unterstützung von Jungpolitikerinnen mit zwei in Tokioter Stadtparlamente gewählten Abgeordnen: Momi Sako (links) und Chihiro Suzuki (rechts).  (Foto: SWR, Martin Fritz)
Momoko Nojo (Mitte), Gründerin der Nichtregierungsorganisation "Fiftys Project" zur Unterstützung von Jungpolitikerinnen mit zwei in Tokioter Stadtparlamente gewählten Abgeordnen: Momi Sako (links) und Chihiro Suzuki (rechts).

Bei den Regionalwahlen im Frühjahr 2023 rekrutierte Nojo interessierte Frauen und bildete sie in Seminaren für öffentliche Auftritte und das Führen von Wahlkämpfen aus. Von 34 Kandidatinnen gewannen 26 ihre Wahl – drei von vieren. Finanziert wurde das Projekt über Crowdfunding. Mehr als 1.200 Unterstützer zahlten insgesamt umgerechnet 100.000 Euro für die vier Fiftys-Mitarbeiterinnen und ihre Aktivitäten. Davon zeigt sich Nojo wenig überrascht:

Es gibt in Japan sehr viele Leute, die bereits ein Problembewusstsein haben, aber sich nicht trauen, ihre Stimme zu erheben, sei es aus persönlichen Gründen oder sozialem Druck. Doch die Tatsache, dass so viele Frauen kandidiert und gewonnen haben und so viele Leute uns finanziell unterstützen wollen, zeigt, dass es genug Menschen gibt, die etwas ändern wollen.

Männer reagieren übergriffig auf erfolgreiche Frauen

Ziemlich viele Männer kämen allerdings nicht damit klar, dass Frauen plötzlich mitbestimmen wollen. Auf diese Veränderung reagierten sie mit physischen und psychischen Übergriffen, mit sexueller Belästigung, berichtet Momi Sako. Die 29-Jährige gewann im Tokioter Bezirk Musashino einen Sitz im Stadtparlament.

Zum Beispiel kommen Leute zu mir und sagen mir ins Gesicht: Wissen Sie, was Ihr Beitrag zur Gesellschaft sein sollte, statt hier zu kandidieren? Dass Sie drei Kinder auf die Welt bringen und großziehen, das sollte Ihr Beitrag sein. Oder ein Mann kam zu meiner Wahlkampfhelferin, die Broschüren von mir verteilte, und leckte die Broschüre ab. Ich habe im Wahlkampf so viel sprachliche und körperliche Gewalt erlebt. Will man so etwas erleben? Das ist eben auch ein Grund, warum Frauen nicht kandidieren.

Dennoch weichen die Geschlechterrollen in Japan langsam auf, ob in den Unternehmen oder den Parlamenten. Die Japanerinnen kommen voran, zwar meist nur in kleinen Schritten, aber ein Zurück wird es nicht mehr geben.

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