Maximilian Schönherr im Gespräch mit dem wissenschaftlichen Archivar Johann Zilien, Hessisches Hauptstaatsarchiv
Zeugenaussagen im Strafprozess 1963 bis 1965
Die "Auschwitz-Tonbänder" sind der übrig gebliebene Teil der Tonbandmitschnitte vom 1. Auschwitz-Strafprozess 1963 bis 1965. Das Gericht hat Aufnahmen vor allem von Zeugenaussagen angefertigt, um später Unentschiedenheiten beim Erstellen des Gerichtsprotokolls auszuräumen. Denn die Zeugen waren Überlebende des Vernichtungsterrors und sprachen leise, manche in gebrochenem Deutsch.
Warum ausgerechnet diese zwei Regalmeter an Bändern von einem fast 200 Tage dauernden Marathonprozess übrig blieben, kann auch der Experte für dieses Tonmaterial im Hessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Johann Zilien, nicht erklären.
Der Prozess begann am 20. Dezember 1963. Die Urteilsverkündung begann am 19. August 1965 und dauerte zwei Tage.
1960er geprägt von Verdrängung und Wirtschaftswunder
Die Gerichtsverhandlungen fanden Mitte der 1960er-Jahre statt, in einer Zeit des Wirtschaftswunders und der Verdrängung der nationalsozialistischen Vergangenheit.
Konnte der Prozess nur in einem SPD-regierten Bundesland, eben Hessen, stattfinden? Schließlich hatte der damals noch junge CDU-Abgeordnete und spätere Bundeskanzler Helmut Kohl eine Zeitlang die Auseinandersetzung über Auschwitz aus den Rheinland-Pfälzischen Schulbüchern verbannen lassen. Ein beträchtlicher Teil der bundesdeutschen Justiz war damals noch mit ehemaligen Nationalsozialisten besetzt.
Generalstaatsanwalt Fritz Bauer rettete die Tondokumente
In dem Interview spielt der Initiator des Auschwitz-Prozesses, der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, eine zentrale Rolle. Bauer hat die O-Töne gerettet, das Deutsche Rundfunkarchiv digitalisierte sie. Das Fritz Bauer Institut veröffentlichte die Dokumente im Internet. Die Originalbänder lagern gut gekühlt im Keller des Hauptstaatsarchivs.
SWR2 Archivradio-Gespräch vom 20. März 2014 über die Tonbänder, den Prozess und das Thema Medizin.
20.12.1963 Der Frankfurter Auschwitz-Prozess beginnt
Am 20. Dezember 1963 beginnt der erste Frankfurter Auschwitz-Prozess. Initiiert wurden die Prozesse vom Hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer. Sein Ziel war es, die Verantwortlichen im Vernichtungslager Auschwitz zur Rechenschaft zu ziehen.
Der Prozess hatte auch eine starke politische Bedeutung: 1961 fand in Jerusalem der Prozess gegen den ehemaligen SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann statt, im Frühjahr 1963 hatte die DDR Bundeskanzleramtschef Hans Globke wegen seiner Nazivergangenheit verurteilt. Die Bundesrepublik war in der juristischen Aufarbeitung der NS-Verbrechen somit ein Nachzügler.
Gleichzeitig stand die Öffentlichkeit den Prozessen gespalten gegenüber. Es gab ein großes Bedürfnis, nicht an die die NS-Zeit erinnert zu werden. Ein öffentlicher Prozess, der die Vergangenheit wieder aufwühlen würde, würde dem Ansehen Deutschlands schaden, so eine weit verbreitete Meinung.
Diesen Zwiespalt spiegelt der Kommentar von Werner Ernenputsch im zweiten Teil dieser Aufnahme. Zunächst zu hören ist aber die Live-Reportage vom Hessischen Rundfunk von der Prozesseröffnung im Frankfurter Römer.
Im Sitzungssaal des Frankfurter Stadtparlaments beginnt der Prozess gegen 22 Angeklagte. Vor Saalgeräuschen im Hintergrund eröffnet Richter Hans Hofmeyer den Prozess. Es werden Angaben zur Person der Angeklagten und der Geschworenen gemacht und Einzelheiten des Gerichtssaals beschrieben.
Von den Verhandlungstagen ab 1964 existieren zahlreiche Aufnahmen – einzelne davon im Archivradio, die meisten aber auf den Seiten des Fritz-Bauer-Instituts.
28.8.1964 Auschwitzprozess: Ärzte im "Zigeunerlager" – Der Name "Mengele" taucht auf
28.8.1964 | Der erste Auschwitzprozess fand zwischen 1963 und 1965 in Frankfurt am Main statt. Zu den zentralen Themen des ersten Auschwitzprozesses gehörte die Frage, welche Ärzte die "Selektion“ betrieben haben. Damit ist die Aussonderung von kranken und alten Gefangenen gemeint, die unmittelbar der Tötung zugeführt werden sollten. Bei den Selektionen waren meist Ärzte dabei; ihnen oblag die Entscheidung über Leben oder Tod.
Die Vernehmung des Zeugen und späteren Nebenklägers Aron Bejlin durch Richter Hans Hofmeyer am 28. August 1964 dreht sich um diese Frage. Bejlin war selbst Arzt und lebte in seiner Häftlingsbaracke mit anderen Ärzten zusammen. In unmittelbarer Nachbarschaft befand sich das "Zigeunerlager“, wo laufend Selektionen stattfanden. Innerhalb kurzer Zeit, so der Zeuge, waren alle Zigeuner vernichtet. Im Lagerjargon gab es den "Goebbels-Kalender“ – ein makabrer Begriff für jüdische Feiertage, an denen die SS besonders viele Vergasungen unternahm.
Aron Bejlin wurde, wie viele Ärzte unter den Häftlingen, zu pflegerischen Aufgaben abgestellt und berichtet von 40 griechischen Jungs, die er mit seinen primitiven Verbandsmaterialien nicht versorgen konnte. Den Kindern hatte der Lagerarzt Horst Schumann mit Röntgenstrahlen die Hoden verbrannt.
Bejlin erwähnt mehrmals in der Vernehmung den Lagerarzt Josef Mengele. Er ist heute für seine medizinische Experimente an Gefangenen berüchtigt und rückte erst durch diesen Prozess ins Bewusstsein der Strafverfolgung. Mengele starb unbehelligt 1979 in Südamerika.
17.9.1964 Der erste Frankfurter Auschwitz-Prozess: Vernehmung
17.9.1964 | Am 20. Dezember 1963 begann im Frankfurter Römer der größte Strafprozess der deutschen Nachkriegsgeschichte. Angeklagt waren 23 Mitglieder der Lagermannschaft im ehemaligen Vernichtungslager Auschwitz. Initiator dieses ersten Auschwitz-Prozesses war der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer. Ausgangspunkt waren aufgetauchte Erschießungslisten, die Bauer zugespielt worden waren. Der Mitschnitt dokumentiert die Vernehmung von Mitgliedern der Fahrbereitschaft am 17. September 1964.