Hände halten ein Band fest, darauf steht: Weg mit Paragraf 218 aus dem Strafgesetzbuch (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow)

Diskussion nach Experten-Empfehlung

Straftat Schwangerschaftsabbruch: Gehört Paragraf 218 abgeschafft?

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Giordana Marsilio
Giordana Marsilio (Foto: Giordana Marsilio, Autorin und Redakteurin, SWR Kultur)

Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland grundsätzlich verboten und werden durch das Strafrecht geregelt. Nach dem Bericht der Expertenkommission der Bundesregierung ist eine neue Debatte um Paragraf 218 entfacht. Auch Autorin Charlotte Gneuß fordert mehr Selbstbestimmung für Frauen ein.

Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne), Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) bei der Pressekonferenz zum Abtreibungsgesetz (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance/dpa | Britta Pedersen)
Sollte Paragraf 218 abgeschafft werden? Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD, Mitte) ruft zur sachlichen Diskussion auf.

Expertenkommission rät zur Änderung des Abtreibungsgesetzes

Im März 2023 beauftragte die Bundesregierung eine Expertenkommission mit 18 Fachleuten aus Medizin, Recht und Ethik mit der Aufgabe, Möglichkeiten zur Neuregelung der Abtreibung abseits des Strafgesetzes zu suchen. Auch über die Legalisierung von Eizellspenden und Leihmutterschaft wurde beraten.

Am Montag stellte die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission ihre Empfehlungen vor: Abtreibungen innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen sollten nach Meinung der Expertinnen und Experten grundsätzlich legalisiert werden.

Für Legalisierung der Abtreibung

Die freie Entscheidung, Mutter werden zu wollen oder nicht. irritiert ein patriarchalisches System in seinen Grundfesten.

Auch Charlotte Gneuß fordert die Legalisierung. Die Autorin hat gemeinsam mit Laura Dshamilja Weber das Buch „Glückwunsch“ herausgegeben. Der Band vereint Erzählungen von 15 Autor*innen zum Thema ungewollte Schwangerschaft. Die freie Entscheidung, Mutter werden zu wollen oder nicht „irritiert ein patriarchalisches System in seinen Grundfesten“, sagt Gneuß im Interview mit SWR Kultur. 

Unsere Gesellschaft gebe sich zwar in Sachen Feminismus fortgeschritten, doch es sei absurd, im Jahr 2024 immer noch über ein solches Thema diskutieren zu müssen. Die aktuelle Diskussion zeige, dass das Thema Schwangerschaftsabbruch nach wie vor tabubehaftet sei. Menschen haben Lust und Sex, sagt Gneuß und daraus entstünden eben auch ungewollte Schwangerschaften.

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Veränderung des Paragrafs 218 notwendig

Ein Mitglied der Expertenkommission war Christiane Woopen, Ethik-Professorin an der Universität Bonn. Sie hält die Überarbeitung der Gesetzeslage für notwendig, denn aus ihr ergeben sich viele rechtlichen Widersprüche: „Wenn man das nicht wagt, wird sich nie etwas ändern“, so Woopen.

Eine sachliche Debatte, die nicht polarisieren soll.

Wenn der Schwangerschaftsabbruch rechtswidrig sei, „wieso soll ein flächendeckendes Angebot zu sicherer Abtreibung gewährleistet werden“, fragt die Expertin. Diese rechtlichen Inkonsistenzen müssten geklärt werden. Den Sachverständigen der Expertenkommission sei es dabei wichtig gewesen, dass die Debatte sachlich bleibe. „In Respekt anderer Auffassungen und nicht polarisierend“, erklärt Woopen.

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Bundesregierung möchte darüber in Ruhe diskutieren

Regierungssprecherin Christiane Hoffmann sprach in der Pressekonferenz am Montag von einem „sehr sensiblen Thema“. Es sei wichtig, eine Debatte zu führen, ohne voreilige Entscheidungen zu treffen. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) befürwortet die Reform und erachtet den vorgestellten Bericht als eine gute Grundlage für eine offene Debatte.

Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erkennt die Expertise der Kommission an. Sie helfe dabei, eine Diskussion über ein Thema anzustoßen, das viele ethische Fragen aufwerfe.

Man müsse sich den Bericht gründlich anschauen, fordert auch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). Eine Debatte, die die Gesellschaft spalten könnte, müsse vermieden werden.

Werbungsverbot seit Sommer 2022 abgeschafft

Die Reform des Abtreibungsrechts ist ein zentrales Anliegen der Ampelkoalition. Nach jahrelangen Diskussionen schaffte die Bundesregierung im Sommer 2022 Paragraf 219a StGB ab, der die „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“ unter Strafe stellte. Durch besagten Paragrafen konnten bis dahin Frauenärzt*innen rechtlich belangt werden, die darüber informierten, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen.

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Hinsichtlich Paragraf 218 scheint die Regierung vorsichtiger vorgehen zu wollen. Die Ergebnisse des Berichts der Expertenkommission sollen zunächst in Ruhe ausgewertet werden. Es bleibt unklar, ob und wann die Ampel-Parteien eine Reform des Abtreibungsrechts angehen werden.

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3.6.1971 | Es war eine der bekanntesten Titelgeschichten der Zeitschrift "Stern" und zugleich die Kampagne, mit der die Journalistin Alice Schwarzer als Kämpferin für Frauenrechte bundesweit bekannt wurde. Sie erschien am 6. Juni. 374 prominente Frauen erklären darin öffentlich, dass sie abgetrieben hätten und fordern die Abschaffung des Paragrafen 218. Zwei Monate zuvor hatte es schon eine ähnliche Kampagne in Frankreich gegeben, an der Alice Schwarzer ebenfalls beteiligt war. Bevor die Ausgabe des "Stern" erscheint, schaltet er Anzeigen in verschiedenen deutschen Tageszeitungen. Davon handelt der folgende Bericht vom 3. Juni im Süddeutschen Rundfunk. Alice Schwarzer wird dabei nicht erwähnt, man kennt sie noch kaum. Dafür die Schauspielerin Vera Tschechowa. Denn die Bild-Zeitung behauptet, Tschechowa habe nicht gewusst, was sie da unterschreibe. Also ruft der Reporter sie einfach an und fragt sie. Tschechowa erklärt, sie stehe zu ihrer Aussage.
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