Musikstück der Woche

Das Irish Chamber Orchestra unter Jörg Widmann spielt Felix Mendelssohn Bartholdy: Sinfonie Nr. 1 c-Moll op. 11

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AUTOR/IN
Marcus Caratelli

Dass Romantik nicht automatisch großes Pathos bedeutet, beweist der Komponist und Dirigent Jörg Widmann zusammen mit dem Irish Chamber Orchestra und Mendelssohns sinfonischem Erstling.

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Von Kollege zu Kollege

Mendelssohn-Bartholdy war wohl einer der ersten Komponisten-Dirigenten, der es weltweit zu hohem Ansehen brachte. Und er war einer der Ersten, der sich ganz modern mit Taktstock vor das Orchester gestellt hat. Eine ungewohnte Beschneidung damals, die nicht selten zu kleinen Revolten in den Orchestern führte.

Heute jedoch keine Spur mehr davon: Der Maestro am Pult gilt nach wie vor als unangefochtene Autorität vorm Orchester, wenngleich auch hier die Strukturen demokratischer geworden sind.

So ungewöhnlich ist sie nicht, die Doppelbegabung als Komponist und Dirigent. Von Beethoven bis Boulez, gerne hatten die Komponisten vollständige Kontrolle über ihre musikalischen Ideen, von der ersten Skizze bis zum großen Konzert.

Auch der Dirigent unserer Aufnahme, Jörg Widmann, ist musikalisch mehrfach begabt: er komponiert, dirigiert und spielt Klarinette. Damit reiht er sich also ein in eine traditionsreiche Linie.

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Spielen was geschrieben steht

Widmann scheint sich mit seinen Musikern vor allem eines auf die Fahnen geschrieben zu haben: Man soll hören, was in den Noten steht. Das klingt zunächst einfach, doch die Bandbreite an verfügbaren Aufnahmen zeigt, was theoretisch alles möglich wäre. Und trotzdem, Widmann steht für einen schlanken, unprätentiösen Klang, der sich treu an die Notenvorgaben hält. Das Orchester klingt transparent und die Phrasen und Linien atmen, ohne sich in Kleinigkeiten zu verlieren. Der erste Satz sprudelt noch ganz im Sturm und Drang, gefolgt von einem verträumten Andante mit feinen und fragilen Solo-Kantilenen der Holzbläser. Das Menuett atmet noch den Geist Haydns und Beethovens, ein furioses Finale schließt den Rahmen zum ersten Satz mit scharfen Akzenten und Kontrasten.

Ein alter Hase in jungen Jahren

Dass Mendelssohn mit seiner Sinfonie einen ersten, vorsichtigen Schritt auf das Gebiet gemacht hätte, stimmt so nicht ganz. Er war zwar erst 15 Jahre alt, sein Werkekatalog verzeichnete aber bereits nicht weniger als 12 Streichersinfonien. Er war also schon ein versierter Schreiber auf dem Gebiet. Die Sinfonie mit einem Kammerorchester zu spielen, kommt der Intention des Komponisten wohl recht entgegen. Auch ihre Nähe zu Komponisten der Wiener Klassik lässt sich hier und da noch heraushören. Mendelssohn selbst nahm daher später wohl auch verhalten Abstand von ihr, an die Pianistin und Salonnière Henriette Voigt schreibt er 1835, man möge Aufführungen doch möglichst verhindern, weil ihm „das Stück wirklich kindisch vorkommt“.
Auch wenn die Musiker des Irish Chamber Orchestra sonst getreu dem Komponisten agieren, beachten wir diesen Rat Mendelssohns ausnahmsweise einmal nicht und freuen uns über Mendelssohns erste Sinfonie in einer Live-Aufnahme mit dem Multitalent Jörg Widmann am Pult.

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Marcus Caratelli