Musikstück der Woche vom 14.2. bis 20.2.2011

Eine Violinsonate, die eigentlich eine Flötensonate war

Stand
AUTOR/IN
Kerstin Unseld

Für seine zweite Violinsonate op. 94a - zeitlich vor der ersten entstanden - nahm Sergej Prokofjew ein erfolgreiches Flötenwerk als Grundlage.

Die Geigerin Susanne Yoko Henkel und ihre Klavierpartnerin Milana Chernyavska spielten dieses Werk aus dem Jahr 1944 bei Ihrem Ettlinger Schlosskonzert am 24. Januar 2010.

Eine Sonate "in zartem, flüssigem klassischem Stil"

Von Arnold Schönberg gibt es den Satz, es gäbe "noch eine ganze Reihe in C-Dur zu sagen." Im Falle von Sergej Prokofjews Sonate op. 94 trifft das auch für D-Dur zu. Denn als diese Sonate 1943 mitten im Krieg zunächst als Flötensonate erklang, klang es nach kaum beschwerter Tonalität, fehlten so manchem Zuhörer der politischen und der kriegerischen Situation adäquate Brüche in dem Werk. Prokofjew selbst benannte sie in seinem Tagebuch als eine Sonate "in zartem, flüssigem klassischem Stil". Erst beim genauen Hinhören fällt auf, dass so manche tonal und vermeintlich harmlos beginnende Passage in dieser Sonate schon bald abbricht, dass große Melodien am Schwingen gehindert werden und sich ein fröhlicher Charakter eines tänzerischen Motivs unversehens in ein Stampfen verwandelt. So gesehen hatte Prokofjew ‚noch eine ganze Reihe in D-Dur zu sagen’ und tat das auch auf seiner unnachahmlich hintergründigen Art.

Eine Geige liegt mit Bogen in einem Kasten (Foto: SWR, SWR - Jacque Lévesque)

Die Flötensonate jedenfalls wurde für den vor den Reglementierungen der stalinistischen Kulturbehörden geplagten und den Kriegswirren nach Molotow evakuierten Komponisten zum Erfolg. Besonders David Oistrach gefiel sie sehr, und der Geiger bat Prokofjew um eine Bearbeitung des Werks für Violine und Klavier. Diese sogenannte zweite Violinsonate op. 94a ist zwar aus der Flötensonate hervorgegangen, unterscheidet sich jedoch von dieser in manchen Punkten wesentlich, nämlich überall dort, wo sie dem Instrument Violine quasi auf den Leib geschneidert wurde. Großen Anteil an dem Werk trug nämlich Oistrach selbst, der Prokofjew geigerisch beriet und so mit der Bearbeitung auch alle virtuosen und technischen Möglichkeiten ins Spiel brachte. Über diese Zusammenarbeit berichtete der Komponist: "Die Arbeit war nicht sehr schwierig, denn wir fanden bald, dass der Flötenpart sehr leicht der Geigentechnik angepasst werden konnte; es waren nur einige Änderungen mit Rücksicht auf die Bogenführung nötig; der Klavierpart blieb unverändert." Die Uraufführung durch Oistrach in Moskau am 17. Juni 1944 jedenfalls geriet zu einem großen Erfolg für Komponist und Interpret.

Susanna Yoko Henkel, Violine

Seit die "Welt am Sonntag" sie 2007 zu einer der Erbinnen Anne Sophie Mutters erklärte und das US-Fachmagazin "Strings" sie auf der Titelseite platzierte, ist Susanna Yoko Henkel kein Geheimtipp mehr, sondern eine feste Größe im internationalen Solistengeschäft.

Aus einer deutsch-japanischen Musikerfamilie stammend, bekam sie schon als Zweijährige eine Geige in die Hand und wurde mit zwölf Jungstudentin bei Rainer Kussmaul an der Freiburger Musikhochschule. Ihr Hauptstudium absolvierte sie anschließend in München bei Ana Chumachenko.

Preise bei internationalen Wettbewerben, unter anderem dem Brüsseler Reine-Elisabeth-Wettbewerb, dem Salzburger Mozart-Wettbewerb, dem Tibor-Varga-Wettbewerb in Sion und schließlich dem Deutschen Musikwettbewerb in Berlin begleiteten sie durch ihr Studium und legten den Grundstein für eine intensive Konzerttätigkeit als Solistin und Kammermusikerin. Sie spielte mit mehreren deutschen Rundfunkorchestern, unter anderem auch dem des SWR, und weiteren Orchestern in Deutschland und in Übersee.

Daneben ist Susanna Yoko Henkel eine leidenschaftliche Kammermusikerin. Ihr 2006 gegründetes Kammermusikfestival in Zagreb/Kroatien ist bereits fester Bestandteil des dortigen Kulturlebens. Regelmäßig wird sie auch zu führenden Musikfestspielen eingeladen. In dieser Saison ist sie außerdem "Artist in Residence" der Duisburger Philharmoniker, mit denen sie mehrere besondere Projekte realisieren wird.

In ihrer Diskographie finden sich durchweg ambitionierte Programme: die Gesamteinspielung der Sonaten und Partiten für Violine solo von Johann Sebastian Bach, Kammermusikwerke von Maurice Ravel, Sergej Prokofjew und Richard Strauss sowie Solowerke von Eugène Ysaye, Béla Bartók und Isang Yun. Demnächst erscheint ihre neueste CD mit Werken für Violine und Violoncello von Händel/Halvorsen, Eisler, Schulhoff und Kodály, die sie zusammen mit ihrem Bruder Tonio aufgenommen hat.

Susanna Yoko Henkel spielt die „Ex Leslie Tate“ Stradivarius-Geige von 1710, eine großzügige Leihgabe aus privatem Besitz. Die Nachwuchsförderung liegt Susanna Yoko Henkel sehr am Herzen und so folgte sie zum 1. Oktober 2010 gerne dem Ruf an die renommierte Hochschule für Musik und Tanz in Köln, Europas größter Musikhochschule.

Milana Chernyavska, Klavier

Um „das Glück des Ganzen“ handele es sich, wenn man dem Spiel der ukrainischen Pianistin Milana Chernyavska lausche, urteilte kein Geringerer als Alfred Brendel. Mit sieben Jahren spielte sie ihr erstes Konzert im Großen Saal der Philharmonie ihrer Heimatstadt Kiew, mit zwölf gewann sie erstmals einen Preis in einem internationalen Wettbewerb, dem viele weitere folgen sollten. Nach dem Studium am Tschaikowsky Konservatorium in Kiew folgten ab 1995 Meisterkurse und ein Meisterklasse-Studium unter anderem bei Gerhard Oppitz an der Musikhochschule in München, wo sie inzwischen selbst unterrichtet.

Als Solistin mit verschiedenen Orchestern und als Kammermusikerin gastiert Milana Chernyavska in fast allen Ländern Europas, in Kanada, den USA und Japan, auf international bedeutenden Podien wie der Londoner Wigmore Hall, dem Concertgebouw Amsterdam und dem Münchner Herkulessaal, außerdem bei zahlreichen Festivals, u. a. beim Lucerne Festival, dem Rheingau- und dem Schleswig Holstein Festival und den Schwetzinger Festspielen. Gemeinsam mit ihren Kammermusikpartnern, zu denen auch Julia Fischer, Elisabeth Batiashvili, Daniel Müller-Schott und das Vogler Quartett zählen, hat sie zahlreiche CDs veröffentlicht. Rundfunkaufnahmen entstanden bei verschiedenen deutschen Rundfunkanstalten, bei Radio France, der BBC und dem Staatlichen Rundfunk der Ukraine.

Milana Chernyavska hat sich mit ihrer Dissertation über den „Wertungs- und pädagogischen Aspekt der Interpretationstheorie auch als Musikwissenschaftlerin profiliert.

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Kerstin Unseld