Alles andere als Mainstream

Federico Colli spielt Johann Sebastian Bach

Stand
AUTOR/IN
Susanne Stähr
KÜNSTLER/IN
Federico Colli

CD-Tipp vom 10.02.2019

Dieser junge italienische Pianist, der 2012 die Leeds Piano Competition gewann, sorgte schon im vergangenen Jahr mit einer unorthodoxen Einspielung von Scarlatti-Sonaten für Furore, die er wie Charakterstücke ausleuchtete und mit einer Prise Exzentrik versah. Auch seine Bach-Aufnahme, die er gerade bei Chandos Records veröffentlicht hat, ist alles andere als Mainstream.

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Große dynamische Bandbreite

Bei Colli klingt nichts mechanisch, da gibt es keinen Leerlauf. Jede Phrase, und sei es die einfachste Skala, ist individuell ausgestaltet, hat ihren eigenen Verlauf, einen Zielpunkt und eine musikalische Aussage. Die Figuren und Motive werden nie stur wiederholt, sondern immer wieder neu beleuchtet, aus anderer Perspektive betrachtet. Aber alles, was Colli anstellt, leitet sich aus der formalen Logik und Architektur der Musik her. Frappierend ist vor allem die dynamische Bandbreite, über die er verfügt: namentlich im Piano-Bereich, bei dem er in die äußersten Regionen vordringt.

Rhetorisch geprägte Klangsprache ergänzt durch moderne Stilmittel

Wenn man glaubt, man sei im absoluten Pianissimo angekommen, dann geht es bei Federico Colli immer noch einen Schritt leiser und delikater, ohne dass der Ton seine Substanz verlöre – wie im Andante aus Bachs Italienischem Konzert. Und alles ist fein in sich modelliert: Das ist bei Bachs Musik natürlich der Schlüssel zum Glück. Denn seine Klangsprache ist ganz und gar rhetorisch geprägt. Der Komponist selbst soll seine Klavierwerke so gespielt haben, als ob sich verschiedene Personen miteinander unterhalten würden. Colli greift dieses Ideal auf, wobei er seine individuelle Handschrift einbringt. So gestaltet er zum Beispiel auch dynamische Verläufe, bringt Crescendi und Descrendi, d.h. er verwendet ein Stilmittel, das in der Tastenmusik der Bach-Zeit so noch nicht zur Verfügung stand. Manchmal sind es fast theatralische Effekte, die er vorführt: Dann glaubt man, die Musik spiele plötzlich hinter der Bühne, oder man meint, einen Wechsel vom Chor auf die Solisten zu hören.

Er ermittelt in jedem Stück ein Gravitätszentrum auf das er zielgerichtet zusteuert

Das ist auch bei seiner Deutung der berühmten Chaconne aus der Partita d-Moll für Violine solo der Fall, die Colli in der Bearbeitung von Ferruccio Busoni aufgenommen hat. Interessant ist, dass er hier vom ersten Takt an einen ganz anderen Anschlag als bei Bach wählt. Und damit macht er sofort klar, dass wir uns nun in einer späteren Epoche befinden. Hier treffen sich zwei Italiener, die sich ganz in den Dienst des deutschen Großmeisters stellen – auch dies ein Brückenschlag zwischen den Nationen. Wenn man den 30-jährigen Federico Colli mit diesem Werk hört, dann fühlt man sich fast etwas an die gute, alte Zeit erinnert. Denn der im lombardischen Brescia geborene Pianist verfügt über die Gabe, in jedem Satz und jedem Stück ein Gravitätszentrum zu ermitteln, auf das er zielgerichtet zusteuert. Dadurch zerfällt die Musik nie in schöne Einzelmomente, sondern erhält Plausibilität. Man hat das Gefühl: So und nicht anders muss es einfach sein. Das ist der Unterschied zu all den Interpretationen, die nur interessant sind. Colli geht nie geschmäcklerisch vor, er spielt bezwingend.

CD-Tipp vom 10.2.2019 aus der Sendung SWR2 Treffpunkt Klassik - Neue CDs

Stand
AUTOR/IN
Susanne Stähr
KÜNSTLER/IN
Federico Colli