Gottfried von der Goltz spielt Kompositionen von Francesco Geminiani

Ausgezeichnete Einspielung

Stand
AUTOR/IN
Wolfgang Scherer
KÜNSTLER/IN
Gottfried von der Goltz - Mitglieder des Freiburger Barockorchesters

CD-Tipp vom 10.7.2018

Im Swinging London des frühen 18. Jahrhunderts begeisterte Francesco Geminiani das verwöhnte Publikum der englischen Musikmetropole mit bravourösen Konzert-Auftritten, die er gleich nach seiner Ankunft auf eigene Rechnung im Hickford Room organisierte, während er sich bei Hofe und in Anwesenheit des Königs gerne schon mal von "il caro sassone", also vom großen Mr. Händel höchstpersönlich am Cembalo begleiten ließ.

Unbequemer Querkopf

Bald setzte man "il furibondo" – wie man ihn damals nannte – „an die Spitze aller lebenden Meister.“ Dass er - neben anderen - auch ein lukratives Angebot des englischen Kronprinzen ausschlug, um seine künstlerische Freiheit zu bewahren, die er sich lieber mit einem ziemlich ruinösen Kunsthandel zu verdienen versuchte, der ihn zuletzt ins Schulden-Gefängnis bringen sollte… : Dies alles vermittelt das Bild eines unbequemen Querkopfs, der keine Bereitschaft zeigte, sich den Anforderungen eines Dienstherrn oder dem Reglement des höfischen Lebens anzupassen.

Geminianis Violinschule

Dafür unterrichtete er hochgestellte Schüler und nahm sich die Zeit, sein spieltechnisches und aufführungspraktisches Wissen in einer Violinschule zusammen zu tragen. "The Art of Playing on the Violin" opus 9 – übrigens fünf Jahre vor Leopold Mozarts Violinschule erschienen – gehörte bald zu den einflussreichsten Lehrwerken und gilt bis heute als eine der wichtigsten Quellen, die den italienischen Geigenstil des 18. Jahrhunderts vorstellen.

Geminianis "The Art of Playing on the Violin" richtete sich an alle Eleven, die es damals auf der Geige zu etwas bringen wollten, und machte sie in achtundzwanzig Übungsstücken – essempii – und in zwölf composizioni mit den Finessen des italienischen Stils und seinen Spieltechniken ganz praktisch bekannt. Denn im Gegensatz zu den Lehrwerken von Carl Philipp Emanuel Bach, von Johann Joachim Quantz oder von Leopold Mozart, ist der Textanteil von Geminianis Violinschule ziemlich gering. Bis auf Vor- und Nachwort besteht sie aus Musik. Dabei ist „Geschmack“ der zentrale Begriff. Tatsächlich fungierte "Taste" in dieser Zeit als eine Art Fachbegriff für die Fähigkeit eines Geigers, mehr oder weniger improvisierte Verzierungen – also Triller, Doppelschläge, Umspielungen, Crescendi und so fort – auf einen notierten Notentext anzuwenden. Sie waren die Voraussetzung dafür, dass ein Geiger die Hörer emotional bewegen konnte. Vorbild dazu war der Gesang der menschlichen Stimme und eine der Besonderheiten, auf die Geminiani ein besonderes Gewicht legte, war das messa di voce: Unter den verschiedenen Bogenstrichen bevorzugte er denn auch den anschwellenden Ton, auch bei recht kurzen Notenwerten.

Die Kunst der Improvisation nach bestimmten Regeln

Mit seiner Violinschule, die er 1751 auf eigene Kosten herausgab, trat Geminiani an, das zu lehren, was auf schriftlichem Weg doch kaum zu vermitteln war: die Kunst der Improvisation nach bestimmten Regeln und mit bestimmten Freiheiten. Geminianis Musik war selbst nicht zu trennen von ihrer besonderen Aufführungspraxis. Schriftlich fixierte Kompositionen bildeten damals nur einen Rahmen für die Kunst des Instrumentalisten. Der Musiker verzierte, improvisierte, schmückte aus und füllte den Konzertraum mit seiner körperlichen Präsenz. Genau dazu leiten die zwölf composizioni aus Geminianis opus 9 auf je unterschiedliche Weise an, die Gottfried von der Goltz mit seinem Ensemble nun erstmals eingespielt hat. Natürlich ist es kein Zufall, dass diese Weltersteinspielung auf das Konto eines der führenden Barockgeigers unserer Zeit geht. Denn, dass die Noten barocker Partituren nicht mit den Klangvorstellungen des 19. oder 20. Jahrhunderts wiederzugeben sind, sondern mit anderer Phrasierung, anderen Tempi und mit anderer Artikulation, mit freien Verzierungen und Ausschmückungen gespielt werden sollten, das gehört zum unbedingten Credo eines an historischer Aufführungspraxis orientierten Geigers wie Gottfried von der Goltz. Geminianis Lehrwerk – und das ist bei jedem Ton dieser ausgezeichneten Einspielung zu hören – bildet selbst den Leitfaden, nach dem hier mit hinreißend rhythmischer Präzision musiziert wird.

CD-Tipp vom 10.07.2018 aus der Sendung SWR2 Cluster

 

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Wolfgang Scherer
KÜNSTLER/IN
Gottfried von der Goltz - Mitglieder des Freiburger Barockorchesters