Donaueschinger Musiktage 2011 | Blog

Vokalkonzert am Sonntagmorgen im Bartóksaal der Donauhallen

Stand
AUTOR/IN
Christoph Haffter

Blogeintrag, Sonntag, 16.10.2011, Vokalkonzert 1. Teil

The blow

Dass man bei einem Vokalkonzert den Text nicht versteht, ist ja eher die Regel, nicht nur bei wenig alter Musik. Das Übereinander von Texten in Hoqueti von Sarah Nemtsov ist da nicht der Rede wert – es wäre ja eher mal einer Titelgebung wert, wenn einer das nicht machen würde: "Ein Wort aufs mal". Eine weitreichende Entscheidung ist es hingegen, dass Nemtsov ihre drei Sängerinnen Schlagzeug und ihre drei Sänger Kontrabass spielen lässt beim Singen. Da spielt sicher der Reiz der Überforderung mit, obwohl die Neuen Vocalsolisten Stuttgart diese Doppelrolle alle souverän zu übernehmen wussten. Viel wichtiger ist wohl die daraus folgende Verschmelzung zweier "Instrumente" zu einer Stimme, einem Gestus. Sobald diese Synchronität jedoch nicht gefordert war, stellte sich der Instrumentalpart als wenig spannend heraus – ein vertretbares Opfer für den schönen Momenten, die das Stück kannte.

Jennifer Walshes "Watched over lovingly by silent machines" vereinte eine Kollage von alten Filmaufnahmen, Gesang, Sprachperformance und Musiktheater zu einem frischen, witzigen und auch mal verstörenden Ereignis; ein einfallsreiches, ausuferndes Werk, das ganz vieles anspricht. Man kann vielleicht das Phänomen des Zeichens als einen Drehpunkt dieser Performance sehen; dokumentarische und Amateuraufnahmen, die immer eine ganze Reihe von Weltbildern, Lebensformen und Stimmungs-Klischees evozieren, Klänge, die als Synchronisationen aufgefasst werden, Körpergesten und Mimik werden als Signale verwendet, und wiederum in der teils völlig unvermittelten Gegenüberstellung oder Überlagerung auch wieder ihrer semantischen Funktion beraubt. Genauso das Sprechen. Die Nostalgie des Filmknistern wird etwa verselbständigt und zum permanenten Begleiter, Filmbilder aus Anstalten (Psychiatrie? Reha-Klinik?), in denen Patienten Bewegungsabläufe, ohne jeglichen funktionalen Kontext trainieren, wirken auf die Cheerleader-Performance der Sänger zurück. Ein Spiel der Differenz von Material und Zeichen sozusagen, aber das ist nur eine Ebene, die man in dieses Gefüge legen kann. Unbeschwerte Kreativität, wie schon bei Mitterer, das ist die frische Luft!

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Christoph Haffter