Udo Bermbachs Buch über Richard Wagners Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain

Äußerst sachliche Werkbiographie

Stand
AUTOR/IN
Dieter David Scholz

Buch-Tipp vom 12.8.2015

Wagner und kein Ende. Auch 2015 ist, rechtzeitig zur Bayreuther Festspielzeit, eine Publikation erschienen, die sich mit der komplizierten Wagner-Rezeption beschäftigt. Der Politikwissenschaftler Udo Bermbach hat eine erste große Werkbiographie über Houston Stewart Chamberlain, Wagners Schwiegersohn und Hitlers Vordenker, geschrieben.

Cosima, die Wagner-Witwe, empfand sich als Hüterin des Grals in jenem Tempel, zu dem sie die Bayreuther Festspiele nach Wagners Tod gemacht hatte. Wagner wurde von seiner Witwe Cosima und den Mitarbeitern ihrer Hauszeitschrift idolisiert zum Religionsgründer eines germanischen, antisemitischen, völkischen Christen- und Deutschtums. Damit machten sie sich zu den geistigen Wegbahnern des Nationalsozialismus.

In der Person des Publizisten und Privatgelehrten Houston Stewart Chamberlain, „der in England geboren wurde, in Frankreich aufwuchs und sich danach kulturell an Deutschland assimilierte“, der durch die Heirat mit Cosimas Tochter Eva zum Schwiegersohn Wagners und engsten Vertrauten Cosimas wurde, fand jener Bayreuther Geist prominente Unterstützung. Denn Chamberlains monumentaler, in schwindelerregenden Auflagen erschienener Bestseller „Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts“ – eine publikumswirksam geschriebene Melange aus phantastischen Rassentheorien und stupendem Kulturwissen, hatte auf Kaiser, Politiker und Intellektuelle, vor allem auf die völkische Rechte, größten Einfluss ausgeübt. Chamberlain galt im Kulturleben des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts als anerkannte Autorität. Dass er, wenn auch erst sehr spät, schon alt und krank, für Hitler schwärmte, obwohl er von ihm und seiner Bewegung kaum etwas wusste, galt als Ritterschlag. Die Nazis schlachteten dieses Bekenntnis weidlich aus. Nicht zuletzt deshalb gilt Chamberlain bis heute als entscheidender Vordenker des Nationalsozialismus.

Dass diese Einordnung zu kurz greift, macht der Politologe und Wagnerkenner Udo Bermbach in seiner weit ausholenden und äußerst sachlichen Werkbiographie deutlich, indem er die bedeutenden Differenzen zwischen dem Antisemitismus und Rassismus Chamberlains und dem der Nationalsozialisten akribisch nachweist. Auch die Vielseitigkeit des erfolgreichen Publizisten, der nicht nur über Wagner, Juden und Germanen, sondern auch über Kant, Goethe und protestantische Theologie schrieb, wird von Bermbach ausführlich im zeitgenössischen Kontext dargestellt und analysiert. So differenziert hat sich bisher noch kein Wissenschaftler mit diesem einflussreichen Autoren und Meinungsmacher zwischen Wagner und Hitler befasst. Auch wenn Hitler gesagt haben soll, Chamberlain habe das Schwert geschmiedet, mit dem der Nationalsozialismus gewonnen habe, macht Bermbach doch deutlich, dass das Denken dieses belesenen und gebildeten Privatgelehrten keineswegs „in der vulgären Ideologie des Hitlerismus“ aufging: „Manches lieferte Stichworte und auch Inhalte. Aber es gab auch widerständige Überzeugungen, die sich mit der NS-Ideologie kaum in Übereinstimmung bringen ließen“, so liest man.

Houston Stewart Chamberlain war, so ist Einem nach der Lektüre der mehr als 600-seitigen, respekteinflößenden und konkurrenzlosen Arbeit Bermbachs klar, nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein Vordenker jener völkisch-nationalsozialistischen Ideologie, aber nur, weil er selektiv rezipiert in die nationalsozialistische Ideologie einverleibt werden konnte. Ein Rezeptionsmechanismus, der schon für Richard Wagner zutrifft.

Buchkritik vom 12.8.2015 aus der Sendung „SWR2 Cluster“

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Dieter David Scholz