Caroline Bernards Roman über eine der umstrittensten Frauen in der Musikgeschichte

Lesenswerte Sommerlektüre

Stand
AUTOR/IN
Desirée Löffler

Buch-Tipp vom 23.5.2018

Alma Schindler ist 19 Jahre alt, als „Die Muse von Wien“ beginnt. Durch die Kontakte ihres Stiefvater, des Malers Carl Moll, bewegt sie sich schon früh in den Kreisen der Bohème, diskutiert Rodin und Nietzsche, Goethe und Wagner. Sie ist nicht nur klug, sondern auch schön: Das schönste Mädchen von Wien, heißt es; daran, dass die Männer ihr nachschauen, hat sie sich also längst gewöhnt. Aber erst, als Gustav Klimt ihr den ersten Kuss raubt, stürzt das junge Mädchen in ein Chaos aus Leidenschaft und Begehren. Um all das zu verarbeiten, schreibt Alma Tagebuch – und wenn auch das nicht mehr hilft, setzt sie sich ans Klavier.

Almas musikalischer Hausgott ist Richard Wagner. Seine Opern liebt sie mehr als alle anderen. Vor allem aber träumt sie davon, eines Tages selbst ein großes musikalisches Werk zu komponieren. Um diesem Traum ein Stück näher zu kommen, überredet sie den aufstrebenden jungen Alexander von Zemlinsky, sie zu unterrichten. Zemlinsky bringt ihr viel bei – aber vor allem wird er ihr erster Liebhaber. Als sie ihn später für einen Kollegen fallen lässt, den ungleich berühmteren Gustav Mahler, spricht Zemlinsky aus, was Zeit ihres Lebens viele von Almas Zeitgenossen denken:

Mit 22 Jahren heiratet Alma Schindler Gustav Mahler, und die zehn Ehejahre nehmen den größten Teil des Romans ein – er endet mit Mahlers Tod. Es ist eine stürmische Zeit: Von der ersten Schwangerschaft erfährt Alma noch auf der Hochzeitsreise, sie bekommt zwei Töchter, von denen eine nicht lange lebt, hat zwei Fehlgeburten, während ihre Schwester in der Nervenheilanstalt landet. Mahler muss derweil zunehmend auf seine Gesundheit aufpassen und sich mit den Anfeindungen der Wiener auseinandersetzen, die gar nicht so begeistert von ihm sind – weder von den strengen Regeln, die er im Opernhaus eingeführt hat, noch von der Tatsache, dass er ursprünglich aus einer jüdischen Familie stammt. Mindestens genauso groß sind die Spannungen zwischen den ungleichen Ehepartnern: Gustav Mahler verbietet ihr, zu komponieren, und verbringt immer mehr Zeit in der Oper, auf Konzertreise oder am heimischen Schreibtisch. 

Andererseits weiß Alma auch kräftig auszuteilen. Außerdem macht es sie ungeheuer stolz, dass ihr Mann sie als seine Muse betrachtet, ihr immer wieder Werke widmet und sie im ersten Satz seiner 6. Sinfonie sogar porträtiert. Wenn Almas Charakter heute in Artikeln, Aufsätzen oder Monographien bewertet werden soll, hängen sich die Autoren gerne an der Frage auf, ob sie ihre Männer wirklich geliebt hat oder nur die Frau von Genies sein wollte. Anders als üblich, wird sie also weniger an ihren Taten als an ihrem Innenleben beurteilt, ihrem vermeintlichen Seelenzustand, vor allem als Partnerin. Darauf konzentriert sich auch Caroline Bernard.

Um Almas komplexes Gefühlsleben beleuchten zu können, hat die Autorin intensiv recherchiert: ihr Umfeld, die gesellschaftlichen Konventionen ihrer Zeit – und vor allem alles, was Zeitzeugen über die Ehe der Mahlers zu sagen hatten, inklusive Selbstzeugnissen der Eheleute. So ist Mahlers legendärer Brief zitiert, in dem er ihr das Komponieren verbietet, genau wie frühe Tagebücher von ihr.

Neutral ist das Bild von Alma Mahler, das Caroline Bernard aus all dem herausdestilliert hat, nicht – aber es ist auch nicht einseitig. Alma wird auf den Seiten lebendig, so sehr, dass sie fast herauszuspringen droht, und ihr Verhalten wird verständlich, ohne dass ihre weniger schönen Seiten verschwiegen würden. Mit einer Ausnahme: Alma Mahlers Antisemitismus. Obwohl es jede Menge Gelegenheiten gegeben hätte, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, deutet Caroline Bernard es, abgesehen vom Nachwort, wenn überhaupt, nur vorsichtig an.

Das ist ein großes Manko dieses Romans; etwas schade ist auch, dass die Autorin sich nur sehr oberflächlich mit der Musik der beiden Mahlers beschäftigt. Trotzdem ist „Die Muse von Wien“ lesenswert. Erstens eignet sich der Roman perfekt als sommerlicher Schmachtfetzen, ist handwerklich gut gemacht und liest sich entsprechend flüssig; zweitens bietet er Musik-Fans auch einen spannenden Einblick in Gustav Mahlers Welt, wenn auch immer durch Almas Augen; und drittens gelingt es der Autorin, trotz der widersprüchlichen Zeitzeugen-Berichte ein schlüssiges Bild von Alma Mahler zu zeichnen: Weder als Monster noch als Heilige, sondern als Frau, der ihre eigenen Bedürfnisse wichtig sind und die darum kämpft, sie auszuleben - in einer Zeit, als das für Frauen nur in sehr begrenztem Maße vorgesehen war.

Buch-Tipp vom 23.05.2018 aus der Sendung SWR2 Cluster

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AUTOR/IN
Desirée Löffler