Ein neues Selbstverständnis
Weit entfernt scheint die Zeit, als der Deutsche Fußball-Bund den Gewinnerinnen der EM 1989 ein 41-teiliges Kaffeeservice mit blauen, gelben und roten Blümchen überreicht hatte und trotzdem gilt es, sich davon zu emanzipieren.
Durch die Eigendarstellung auf Plattformen wie Instagram und TikTok können Spielerinnen nun vieles selbst steuern. Auch die äußere Darstellung der Frauen im Fußball hat sich verändert.
Mittlerweile zirkulieren Werbeclips, in denen die Spielerinnen selbstbewusst feiern, dass sie statt Eiern sogar Pferdeschwänze haben. Ein Selbstverständnis und eine Haltung, die so bei der Heim-WM 2011 noch nicht zu spüren war. Damals hieß das Motto der Heim-WM noch: „2011 von seiner schönsten Seite“. Eine Doppeldeutigkeit, die heutzutage befremdlich wirkt.
Der Podcast „Was geht - was bleibt?“ zum Thema:
Abkehr von traditionellen Stereotypen
Immer öfter werden Frauenfußballspielerinnen in Dokumentarserien und Berichten persönlich und nahbar dargestellt. Dieser Trend spiegelt auch die Veränderung in der Sportkommunikation und den sozialen Medien wider, wo Privates und Persönliches einen höheren Stellenwert einnehmen.
Die ARD-Doku „Shootingstars – Deutschlands neue Fußballgeneration“ stellt die drei Newcomerinnen Lena Oberdorf, Laura Freigang und Klara Bühl mit ihren Hobbys vor: Häkeln, Hundeliebe und analoge Fotografie. Auch wenn hier die Frage nach der Reproduktion binärer Geschlechterordnungen aufgeworfen werden kann, lässt sich auch eine Abkehr von traditionellen Stereotypen erkennen.
Frauenfußball als Vorreiter im Umgang mit Homosexualität
Es ist festzustellen, dass Männerfußball-Dokumentationen weniger auf zugängliche Hobbys und persönliche Aspekte der Spieler eingehen, während im Frauenfußball diese Art der Berichterstattung häufiger auffindbar ist.
Der Frauenfußball erweist sich außerdem als Vorreiter in Bezug auf Offenheit und den Umgang mit Homosexualität. Treiber dessen ist das US-amerikanische Fußballnationalteam, das mit ihrem politischen und gesellschaftlichen Engagement neue Maßstäbe gesetzt. Die Spielerinnen setzen Zeichen für Vielfalt und Inklusion und tragen so zur Aufweichung von Heteronormativität und Geschlechterstereotypen bei.
Die Wissenschaft spricht in diesem Fall von einer Praxis des Queerings. Es ist ein wichtiges Potenzial, das der Frauenfußball aufweisen kann, wie Sara Doorsoun in der ZDF-Doku „Born for this“ zeigt. Sie spricht dort über die Trennung von ihrer Partnerin.
„Marginalisierung zeigte sich durch fehlende Sichtbarkeit“
Die Aufmerksamkeit für den Frauenfußball hat zugenommen, was auch für die Professionalisierung des Sports förderlich ist. Öffentlich-rechtliche Medien bemühen sich, den Frauenfußball unter sportlichen Gesichtspunkten zu covern und somit zu einer Normalisierung beizutragen.
Auch die allgemeine Berichterstattung über den Frauenfußball hat sich verbessert, jedoch bleibt noch ein langer Weg zu gehen, um die Gleichstellung mit dem Männerfußball zu erreichen.
Stereotypisierungen und Sexualisierung sind immer noch präsent, aber das Potenzial für weitere Entwicklungen ist vorhanden: „Letztlich war der Frauenfußball natürlich durch eine Art Marginalisierung und Trivialisieren geprägt. Die Marginalisierung zeigte sich durch die fehlende Sichtbarkeit. Der Bereich der Trivialisieren wird immer stark verknüpft mit den Themen Sexualisierung, Infantilisierung oder so eine Art Paternalismus. Und ich würde sagen, das ist nicht mehr so deutlich, wie wir es aus der Forschung von früher kennen, aber findet immer noch statt“, sagt Daniel Nölleke, Juniorprofessor am Institut für Kommunikations- und Medienforschung der Deutschen Sporthochschule.
Wer nicht weiß, dass Frauen kicken, sieht keinen Unterschied
Eine neue Studie der Universität Zürich hat kurz vor der WM herausgefunden, dass der Fußball der Frauen genauso attraktiv ist wie der Fußball der Männer. Heißt, dass Fußballspiele der Männer nur dann hochklassiger bewertet werden, wenn die Zuschauenden wissen, dass es sich um Männer handelt.
Wenn die Zuschauenden hingegen keinerlei Kenntnisse über die Akteur*innen oder das Geschlecht haben, unterscheiden sich die Bewertungen der Spielszenen nicht.
Der französische Mobilfunker Orange landete einen Viralhit mit einem Video, bei dem Künstliche Intelligenz die Köpfe von Stars wie Kylian Mbappé und Antoine Griezmann auf die Körper von Spielerinnen setzte und vorgaukelte, dass sie die Tore schossen.
Offenbar spielen Geschlechterklischees und Vorurteile eine signifikante Rolle und es zeigt sich ein möglicher geschlechterbedingter Bias in der Wahrnehmung des Sports.
Der Werbeclip zur Studie:
Laura Freigang zeigt sich in den Sozialen Medien nahbar
Die Inszenierung der Spielerinnen in den sozialen Medien und Dokumentarserien schafft eine Nähe und Identifikationsmöglichkeiten für die Zuschauenden, die es im Profilfußball so nicht gibt.
Gerade die Nachwuchsspielerin Laura Freigang sticht nicht nur auf dem Platz, sondern auf ihren sozialen Profilen mit Lockerheit, Nahbarkeit und Ungezwungenheit hervor.
Sie inszeniert etwa auf unterhaltsame Weise ihre Sommerurlaubsmode, sie kommentiert mit aufgemaltem Bart männliche Hater-Kommentare über Frauenfußball oder zeigt sich und ihre Kameradinnen bei einem Spiel, wo sie kaum Länderflaggen erkennen.
Keine glatt gebügelte PR-Nummer
Ein Bild, das weit von der Überinszenierung ihrer männlichen Kollegen entfernt ist, deren Auftritt oftmals durch die Hände von Berater glatt gebügelt dargestellt werden.
Eine international konforme Inszenierung, die auch auf den meisten Kontinenten, Sprachen und Kulturen funktionieren muss. Ein Shitstorm durch unkontrollierte Meinungsäußerungen könnte in diesem über-professionalisierten Business direkt finanzielle Einbußen bedeuten.
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Die Zukunft des Fußballs könnte weiblich sein
Der Männerfußball könnte hiervon lernen, authentischer, offener und experimentierfreudiger aufzutreten und so neue Zielgruppen anzusprechen und das Identifikationspotenzial zu erhöhen.
Die mediale Inszenierung des Frauenfußballs hat sich in den letzten Jahren positiv entwickelt und hat gezeigt, die Zukunft des Fußballs, sie könnte weiblich sein.