Wochenende der Entscheidung: Hunderte Mitarbeitende verlassen Twitter
Seit der Übernahme durch Tesla- und SpaceX-Chef Elon Musk will der Kurznachrichtendienst Twitter nicht zur Ruhe kommen. Direkt nach der Übernahme Ende Oktober löste der Multimilliardär den Vorstand auf und entließ rund die Hälfte der 7.500 Mitarbeitenden.
Die Verbliebenen schwor Musk per E-Mail auf den neuen Kurs ein: Er fordere Bereitschaft zu „Hardcore-Arbeit“ mit langen Arbeitszeiten und „hoher Intensität“. Die Twitter-Mitarbeiter*innen erhielten ein Ultimatum bis Donnerstagnachmittag (Ortszeit), um die neuen Arbeitsbedingungen zu akzeptieren, ansonsten erfolge die automatische Entlassung.
Doch dem Ruf des Hausherrn folgten anscheinend weniger Mitarbeitende als erwartet. Hunderte haben sich laut übereinstimmenden Berichten von CNN und New York Times gegen den Verbleib im Unternehmen entschieden – darunter auch eine Vielzahl von Mitarbeitenden, deren technisches Know-How für den Weiterbetrieb der Plattform unerlässlich ist. Genaue Zahlen sind nicht bekannt, Twitter gibt sich, bis auf die Tweets des Konzernchefs, wortkarg.
Elon Musk ließ über Trumps Account abstimmen
„Vox Populi, Vox Dei“ – Die Stimme des Volkes, die Stimme Gottes. Mit diesem Kommentar verkündet Musk am Samstag die Aufhebung der Sperrung des Twitter-Kontos von Donald J. Trump.
Die Entsperrung folgt auf eine Umfrage, die Musk unter seinen Follower*innen veranstaltet hatte. Das denkbar knappe Ergebnis: 51,8% sprachen sich für die Öffnung des Kontos aus.
Der ehemalige US-Präsident, dessen Konto im Januar 2021 mehr als 80 Millionen Follower hatte, war nach der Stürmung des Kapitols während der formellen Bestätigung des Wahlsiegs von Joe Biden, dauerhaft gesperrt worden.
Trump nutzte Twitter während seiner Präsidentschaft als primäre Kommunikationsplattform und verbreitete dort Gerüchte und Falschmeldungen zu der in seinen Augen manipulierten Präsidentschaftswahl, die er knapp verloren hatte. Glaubhafte Belege für seine Behauptungen bleibt Trump bis heute schuldig.
Will Donald Trump überhaupt zurück zu Twitter?
Trump erklärt, er plane aktuell nicht, zu Twitter zurückzukehren. Bei einer Veranstaltung am Samstag erklärte der ehemalige US-Präsident, sein selbst gegründeter Nachrichtendienst „Truth Social“ sei „sehr mächtig, sehr stark“. Er sehe keinen Grund für die Rückkehr.
Ob Trump allerdings lange bei dieser Position bleiben wird, ist fraglich. Während seine Followerschaft auf Twitter seit der Freischaltung wieder auf mehr als 50 Millionen gewachsen ist, folgen ihm nur rund 4,6 Millionen Nutzer*innen in seinem eigenen Netzwerk. Gerade in Hinblick auf die Präsidentschaftskandidatur 2024 wird Trump nicht auf die zusätzliche Sichtbarkeit verzichten können.
Verschreckt Musks Vorstellung von Meinungsfreiheit weitere Werbekunden?
Neben Donald Trump ließ Musk weitere Konten entsperren, darunter das von US-Rapper Kanye West. Erst im Oktober war Wests Konto nach einer Tirade antisemitischer und rassistischer Kommentare gesperrt worden. Einflussreiche Werbepartner, unter anderem der deutsche Sportbekleidungshersteller Adidas, kündigten die Zusammenarbeit mit dem Rapper auf.
Die Rückkehr von umstrittenen Figuren wie Donald Trump und Kanye West könnte die bereits deutlich gesunkenen Werbe-Einnahmen des Nachrichtendienstes weiter einbrechen lassen.
Hinzu kommt, dass mehrere US-Senator*innen die US-Verbraucherschutzbehörde FTC dazu auffordern, die jüngsten Vorgänge bei Twitter zu prüfen. Sieben demokratische Senator*innen teilten der FTC-Vorsitzenden Lina Khan in einem Schreiben ihre Sorge über die Entwicklungen mit. Vor allem solle geprüft werden, ob Musk mit seinem Vorgehen Datenschutzvereinbarungen verletze, die erst im Mai geschlossen wurden.
Kann Musks Vision Twitter in die Zukunft führen? Die aktuellen Entwicklungen in der Kulturmedienschau:
Bundesregierung betrachtet die Entwicklungen bei Twitter mit „wachsender Sorge“
Auch die deutsche Bundesregierung beobachtet die Entwicklungen im sozialen Netzwerk mit Unbehagen. Die Deaktivierung der offiziellen Konten der Regierung und Ministerien werde diskutiert, so Regierungssprecher Steffen Hebestreit, es sei allerdings noch keine Entscheidung getroffen worden.
„Wir beobachten die Entwicklung bei Twitter mit wachsender Sorge“, so Hebestreit. Etliche Ministerien haben bereits Konten beim konkurrierenden Kurznachrichtendienst Mastodon.
Eine denkbare Alternative? Seit Musks Twitter-Übernahme steigen die Neuanmeldungen beim Nachrichtendienst Mastodon:
Steht Twitter einen Monat nach der Übernahme von Elon Musk vor dem Aus?
Es wäre verfrüht, das Ende von Twitter herbeischreiben zu wollen. Dennoch scheint Musk das Vertrauen seiner Mitarbeiter*innen, der Politik und nicht zuletzt potenzieller Werbekunden in Rekordzeit verspielt zu haben. Von der Anbiederung an Donald Trump, der nach den Misserfolgen der Midterm-Wahlen auch in den eigenen politischen Reihen immer mehr an Rückhalt verliert, dürfte Musk nicht profitieren können.
Sollte sich der Trend der vergangenen Wochen fortsetzen, riskiert Twitter vielleicht nicht den sofortigen Bankrott, aber vielleicht noch schlimmer für eine Social-Media-Plattform: die Bedeutungslosigkeit.