Musikstück der Woche

Konstantin Ingenpass und Hyun-Hwa Park interpretieren Mahlers „Lieder eines fahrenden Gesellen“

Stand
Autor/in
Christiana Nobach

„Schlicht, nicht sentimental“ solle das Volksliedhafte in seinen Liedern sein, schrieb Gustav Mahler. Volksliedhaft trotz komplexer musikalischer Strukturen, mit denen er sie komponierte. Keines der Lieder, die er aus der Sammlung „Des Knaben Wunderhorn“ zum Vertonen ausgewählt hatte, sollte ein Strophenlied werden, weil „in der Musik das Gesetz ewigen Werdens, ewiger Entwicklung liegt — wie die Welt, selbst am gleichen Ort, eine immer andere, ewig wechselnde und neue ist.“

Gustav Mahlers Lieder haben die Tradition des Genres geradezu gesprengt und ließen damit einen ganz neuen Typ von musikalischer Lyrik entstehen. Zu seinen „Liedern eines fahrenden Gesellen“, musikalische Werke eines jungen Mannes in gleichsam emotionalem Notstand, schrieb er die Texte selbst, als könne ihm die Vertonung von fremder Lyrik nicht das Maß an Unmittelbarkeit und Authentizität bieten, das er in seiner damaligen persönlichen Situation dringend brauchte.

Auch auf die Gefahr hin, dass diese Texte in ihrer Qualität nicht den höchsten literarischen Ansprüchen genügten, wollte Mahler sich nicht auf Lyrik stützen, die seiner Meinung nach nicht ganzheitlich auf die Verbindung von Wort und Ton ausgerichtet waren. Erst später, in den Jahren ab 1888 bis zur Jahrhundertwende, ließ er sich vollends auf die von Achim von Arnim und Clemens Brentano herausgegebene Volksliedsammlung „Des Knaben Wunderhorn“ ein, in der er sich und die textliche Basis für seine musikalischen Intentionen wiederfand.

Unglückliche Liebesbeziehung in Kassel

„Ich möchte jeden Blutstropfen für sie hingeben“, schrieb Mahler in einem Brief. „Aber ich weiß doch, dass ich fort muss. Ich habe alles dafür getan, aber noch immer zeigt sich mir kein Ausweg.“ Die „anonyme Geliebte“ seiner Briefe ist Johanna Richter, Sopranistin am Kasseler Hoftheater, und Mahler ist zu der Zeit der Zweite Kapellmeister des Hauses, damals gerade 24 Jahre alt und in - vergeblicher - Liebe entbrannt.

Es ist eine nur schwärmerische Liebesbeziehung: Das Aussichtslose dieses Verhältnisses spiegelt sich im Ton der für sie komponierten Lieder wider, doch natürlich geht der Anspruch des Werkes weiter. Es enthält eine Gebrochenheit und Tragik, die außerhalb des Persönlichen liegen und für Mahler typisch werden sollten. So besingt er, in seinen eigenen Versen, eine strahlende blühende Frühlingslandschaft, von der sich der Schmerz des unglücklich Verliebten umso stärker abhebt.

Keine wirkliche Erlösung vom Leid

Die Zerrissenheit der Stimmung drückt sich im ersten, schon von der Wunderhorn-Lyrik inspirierten Lied allein durch den Wechsel von Allegro und Andante, von Vierachtel- und Dreiachteltakt aus, immer wieder von den für den Komponisten typischen, nur scheinbar fröhlichen Hochzeits-Klarinetten unterbrochen.

Die Wanderer-Heiterkeit „in die schöne weite Welt“ im zweiten Lied verstummt nach lieblicher Holzbläser-Melodik bald wieder und geht in schmerzliche Vorhaltsthematik über.

Auch im dritten Lied wird das zunächst heitere Bild bald durch scharfe Dissonanzen getrübt und endet in einem verzweifelten Ausbruch mit opernhafter Dramatik.

Und der schwere Trauermarsch-Rhythmus des vierten Liedes mündet zwar in ein zuversichtliches, friedvolles Dur, das eine Erlösung vom Leid signalisiert, doch klingt am Ende der anfängliche Marsch Moll-getrübt noch einmal mahnend an.

Etwa zehn Jahre nach ihrer Entstehung nimmt sich Mahler, der inzwischen Erster Kapellmeister in Hamburg ist, seine „Gesänge“ noch einmal vor und orchestriert sie. In dieser Fassung erklingt der Zyklus zum ersten Mal am 16. März 1896 in einem Konzert der Berliner Philharmoniker mit dem holländischen Bariton Anton Sistermans.

Im Folgejahr erscheint das Werk im Druck. Die „Lieder eines fahrenden Gesellen“ werden zum Erfolg.

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Autor/in
Christiana Nobach