Musikstück der Woche 23.-29.1.2012

Was ihr wollt

Stand

Johannes Brahms: Vier Gesänge für Frauenchor mit Begleitung von 2 Hörnern und Harfe op. 17

Eine exquisite Klangkombination: Brahms wählte für seine Vier Gesänge für Frauenchor die Begleitung einer Harfe und zweier Hörner. Marcus Creed dirigiert in unserem Live-Mitschnitt das SWR Vokalensemble Stuttgart. Dazu gesellen sich die Harfenistin Ellen Wegner und die Hornisten Raymond Warnier und Maximilian Oberroither.

„3:1“ könnte die Unter-Überschrift dieses Opus sein. Natürlich nicht im Sinne eines Sport-Ergebnisses, sondern als Markierung eines kompositionsästhetischen Bruches. In drei der vier Gesänge hat sich Brahms ganz stark an der Chormusik-Tradition von Mendelssohn und Schumann orientiert, das letzte Stück dagegen ist ein echter Brahms: herb und vom Gestus her ganz nach innen gekehrt.

Es tönt ein voller Harfenklang

Brahms hat die Vier Gesänge im Jahr 1860 vollendet und zwei Jahre später im Verlag Simrock in Bonn drucken lassen. Die Nummer eins, „Es tönt ein voller Harfenklang“, basiert auf einem Gedicht von Friedrich Ruperti: „Dunkles Laub“. Brahms orientiert sich in seiner Komposition zwar am strophischen Aufbau des Gedichts, schickt dem eigentlichen Lied aber eine Einleitung von Horn und Harfe voraus. In der Melodik verfährt er nach dem Vorbild von Mendelssohns Chorliedern – wobei natürlich persönliche stilistische Eigenheiten hinzukommen, wie etwa die Häufung abwärtsgerichteter Halbtonschritte zur musikalischen Ausdeutung des Wortes „bange“. Dies überträgt Brahms auch in die Hornmelodie, mit der das Lied ausklingt.

Lied des Narren

Das „Lied des Narren“ aus Shakespeares „Was ihr wollt“ ist der Text des „Lied von Shakespeare“. Brahms komponiert hier zunächst ebenfalls schlicht strophisch, legt aber allergrößten Wert auf enge motivische Bezüge innerhalb es Liedes. So wird das zweimal erklingende „Komm herbei“ jedes Mal als ein punktiertes „B“ und mit einem Sprung zum Leitton in der Melodie komponiert.

Der Gärtner

Am stärksten an Mendelssohn orientiert ist das dritte Lied, „Der Gärtner“ nach einem Text aus Joseph von Eichendorffs Roman „Aus dem Leben eines Taugenichts“. Den beiden Hörnern und der Harfe schreibt Brahms hier lediglich eine harmonisch begleitende Funktion zu. Die Chorpartie orientiert sich harmonisch und strukturell so stark am Vorbild Mendelssohns, dass man kaum von einer Brahmsschen Komposition sprechen mag. Julius Otto Grimm, Chordirigent, Komponist und Zeitgenosse von Brahms sollte auch sein Unbehagen über die qualitativ sehr unterschiedlichen drei Lieder zum Ausdruck bringen: „Mit den drei Harfen- und Hornliedern kann ich nicht zur Vernunft kommen … Aber das Fingalstück ist herrlich.“

Gesang aus Fingal

„Gesang aus Fingal – von Ossian“ heißt die Überschrift des letzten Stückes – wobei der Autor „Ossian“ ein Phantasieprodukt des Sturm und Drang ist. Hinter dem gälischen Bardendichter aus uralter Zeit verbirgt sich nämlich der schottische Schriftsteller James Macpherson (1736–1796), ein geschickter literarischer Schwindler, der mit seinen Dichtungen die Sehnsucht der Zeitgenossen nach alten Mythen, nach Unverbrauchtheit und Ursprünglichkeit stillte – im Tonfall so geschickt, dass es sehr lange niemand merkte. Johann Gottfried Herder übersetzte „Ossians“ Fingal-Epos ins Deutsche, und diese Übersetzung wählte Brahms für seinen Fingals-Gesang. Die Musik verweist hier schon auf Brahms‘ Spätwerk, auf seine Tendenz, mehr und mehr den Weg der Verinnerlichung zu gehen.

SWR Vokalensemble Stuttgart

Das SWR Vokalensemble kurz vor einer Aufnahme
Das SWR Vokalensemble kurz vor einer Aufnahme

Die Geschichte des SWR Vokalensembles Stuttgart spiegelt in einzigartiger Weise die Kompositionsgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts wieder. Auf Beschluss der Alliierten und im Zuge von Demokratisierungsmaßnahmen wurden 1946 Rundfunkanstalten und Ensembles gegründet, darunter auch der damalige Südfunkchor. Ihm kam die Aufgabe zu, das Schallarchiv mit Musik aller Arten und für jegliche Anlässe zu versorgen. Mit dem Dirigenten Hermann Joseph Dahmen, der den Chor von 1951 bis 1975 leitete, begann die Zeit der allmählichen Spezialisierung auf Neue Musik. Von 1953 an vergab der Chor regelmäßig Kompositionsaufträge.

Zu internationaler Reputation als Ensemble für Neue Musik gelangte das SWR Vokalensemble mit seinen späteren Chefdirigenten Marinus Voorberg, Klaus-Martin Ziegler und mit Rupert Huber. Schon Voorberg, insbesondere aber Huber formte den typischen Klang des SWR Vokalensembles, geprägt von schlanker, gerader Stimmgebung. Viele der mehr als 200 Uraufführungen, die in der Chronik des SWR Vokalensembles verzeichnet sind, hat er dirigiert. Auf diesem Niveau konnte Marcus Creed aufbauen, als er 2003 die Position des Chefdirigenten übernahm. Dem Ensemble ging zu diesem Zeitpunkt bei Fachpresse und Publikum längst der Ruf voraus, in konstruktiver Offenheit mit den Schwierigkeiten zeitgenössischer Partituren umzugehen.

In seinen ersten Stuttgarter Jahren legte Creed, der als einer der profiliertesten Dirigenten internationaler Profichöre gilt, seine Arbeitsschwerpunkte deshalb auf das Vokalwerk von György Ligeti, Luigi Dallapiccola und Luigi Nono. Darüber hinaus setzte er die Reihe der Uraufführungen fort. Intensiviert wurde vor allem die Zusammenarbeit mit Georges Aperghis, Heinz Holliger und György Kurtág. Die Studioproduktion des SWR Vokalensembles Stuttgart erscheinen zu einem großen Teil auf CD und werden regelmäßig mit internationalen Preisen ausgezeichnet, darunter (regelmäßig) der Preis der Deutschen Schallplattenkritik, der Grand Prix du Disque und der Midem Classical Award. 2009 erhielt das SWR Vokalensemble als "Ensemble des Jahres" den Echo-Klassikpreis.

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SWR