Musikstück der Woche vom 3. bis 9. Januar 2011

Musikpiraterie (aber ganz legal!)

Stand
Autor/in
Doris Blaich

Hector Berlioz: „Le corsaire“, Konzertouvertüre op. 21

Piraten betrachtete man in der Romantik mit Schauer und Bewunderung: Sie waren meist adliger Abstammung und schlitterten nur durch Intrigen in ein Seeräuberleben. In ihrem Herzen aber regierte der Edelmut. Lord Byron hat in seiner wild-poetischen Verserzählung "Der Korsar" ein literarisches Seelengemälde eines gesellschaftlich geächteten Piraten gemalt. Das inspirierte Hector Berlioz zu seiner Konzertouvertüre "Le corsaire".
Unser Konzertmitschnitt stammt vom März 2009 – das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR spielt unter Leitung von Roger Norrington.

Hector Berlioz sitzt in der Peterskirche in Rom. Aber nicht aus religiöser Sehnsucht oder aus Interesse an der großartigen Architektur oder Kunstschätzen – nein, er hält sich dort vor allem aus klimatischen Gründen auf. In diesem Sommer 1831 herrscht in der Ewigen Stadt nämlich eine drückende Hitze, und die einzigen Orte, an denen man es überhaupt einigermaßen aushalten kann, sind die vielen Kirchen.

Der französische Komponist Hector Berlioz in einer zeitgenössischen Darstellung
Der französische Komponist Hector Berlioz

Da wählt sich Berlioz – der ja überhaupt einen Hang zum Monumentalen hat – natürlich die größte und bedeutendste. Er macht es sich in einem gut gepolsterten Beichtstuhl bequem und liest ein höchst weltliches Buch über einen Seeräuber: "The Corsair" von Lord Byron. Man mag das für pietätlos halten, aber Berlioz‘ Beschreibung dieser Szene ist hinreißend: "Auch Sankt Peter ließ mich immer einen Schauer der Bewunderung empfinden ... Ich liebte es, während der unerträglichen Sommerhitze den Tag darin zuzubringen. Ich hatte einen Band Byron bei mir ... und im Genuss der Kühle, der heiligen Stille, die nur in langen Zwischenräumen von dem harmonischen Plätschern der beiden Fontänen auf dem großen Sankt-Peters-Platz unterbrochen wurde, wenn Windstöße es an mein Ohr trugen, verschlang ich mit Muße jene feurige Poesie; auf den Wogen folgte ich den kühnen Fahrten des Korsaren; ich verehrte auf das tiefste diesen zugleich unerbittlichen und zärtlichen, mitleidslosen und edelmütigen Charakter, in dem sich in wundersamer Weise zwei scheinbar entgegengesetzte Gefühle zusammenfinden: der Hass gegen die Gattung und die Liebe zu einer Frau."

Die Verwandlung des Turmes in einen Korsaren


Berlioz – und mit ihm viele Dichter, Maler und Musiker der Romantik – glühte für die Erzählungen und Versepen von Lord George Gordon Byron. Doch er dachte zunächst noch nicht daran, die Früchte seines Lektüre-Erlebnisses im Petersdom in eine Komposition zu verwandeln. Jahre später erst keimte die Idee langsam in ihm auf. Im Frühherbst 1844 beschäftigte sich Berlioz mit der Komposition einer Ouvertüre. Er wohnte damals in einem Turm, der an den Felsen von Les Ponchelles gebaut war, konnte also in Einsamkeit die faszinierende Natur der Meeresküste genießen. Unter diesen Eindrücken entstand die erste Fassung seiner Ouvertüre, die er „La tour de Nice“ (Der Turm von Nizza) taufte. Die Uraufführung – Berlioz dirigierte selbst – war erfolgreich, doch der Komponist war nicht zufrieden mit seinem Werk und nahm eine gründliche Überarbeitung vor. Die zweite Fassung entsprach seinen Vorstellungen ebenfalls noch nicht ganz. Erst die dritte, stark gekürzte und überarbeitete Version hielt seiner strengen Selbstkritik stand. Unter dem Namen „Le Corsaire“ – und damit unverkennbar als musikalischer Abkömmling von Byrons Dichtung gekennzeichnet – erschien die Ouvertüre 1852 im Druck. Zwei Jahre später folgte die Uraufführung in Braunschweig.

Stürme des Meeres und Stürme der Seele

Mit ihrem auftrumpfenden Beginn packt die Ouvertüre den Hörer gleich in den ersten Takten. Durch kunstvolle Varianten des Hauptthemas schafft Berlioz eine beziehungsreiche musikalische Architektur. Die Wirkung dieser Musik ist von unwiderstehlicher Dramatik: Berlioz zieht den Hörer mitten hinein in das stürmisch peitschende Meer – und gleichzeitig in die Tiefen der aufgewühlten Seele jenes unglücklichen und dennoch kämpferisch entschlossenen Menschen, den Byron so eindringlich geschildert hat.

Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR

Das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR
Das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR

Das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR spielt jährlich rund 90 Konzerte im Sendegebiet des Südwestrundfunks, in den nationalen und internationalen Musikzentren und bei bedeutenden Musikfestspielen. Ein herausragender Höhepunkt in der Geschichte des RSO Stuttgart war das Konzert zum 80. Geburtstag von Papst Benedikt XVI. im Vatikan, das im April 2007 weltweit live übertragen wurde.

Das Orchester pflegt das klassisch-romantische Repertoire in exemplarischen Interpretationen und setzt sich mit Nachdruck für zeitgenössische Musik und selten aufgeführte Komponisten und Werke ein. Bis heute hat es mehr als 500 Werke uraufgeführt.

Viele namhafte Dirigentenpersönlichkeiten haben das RSO in den letzten 60 Jahren geprägt, unter Ihnen Sergiu Celibidache, Carl Schuricht, Sir Georg Solti, Giuseppe Sinopoli, Carlos Kleiber, Sir Neville Marriner, Georges Prêtre und Herbert Blomstedt. Ebenso konzertieren regelmäßig hochkarätige Solisten aller Generationen beim RSO.

Seit 1998 ist Sir Roger Norrington Chefdirigent des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart. Er hat dem Orchester ein unverwechselbares klangliches Profil verliehen durch die Verbindung von historisch informierter Aufführungspraxis mit den Mitteln eines modernen Sinfonieorchesters.

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Doris Blaich