Musikstück der Woche vom 23.8. bis 29.8.2010

"Atonaler Geräuschemacher"

Stand
AUTOR/IN
Antonia Bruns

Mit dieser Bezeichnung wurde Paul Hindemith in der NS-Zeit diffamiert. 1936 bekam er Aufführungsverbot für seine Werke, kurz nachdem er die "Drei Sonaten für Klavier" geschrieben hatte. Bernd Glemser spielte die Sonate Nr. 3 B-Dur am 12. Dezember 2008 im Frankfurter Hof in Mainz.

Untragbare Gesinnung

Die NSDAP behinderte Paul Hindemiths Arbeit mehr und mehr. Seine Musik wurde als "kulturbolschewistisch" und "entartet" gebrandmarkt, seine Werke verschwanden zunehmend von den Konzertprogrammen. Ab 1934 durften seine Kompositionen nicht mehr im Deutschen Rundfunk gesendet werden. Ein Jahr später wurde er an der Berliner Musikhochschule auf unbestimmte Zeit beurlaubt – vorher hatte er dort acht Jahre lang als Kompositionslehrer gearbeitet. Kein Wunder, dass sich Hindemith aus der Öffentlichkeit zurückzog und nach Aufträgen im Ausland suchte. Der Dirigent Wilhelm Furtwängler empfahl ihn schließlich der türkischen Regierung. Zu dieser Zeit fanden viele von der NS verfolgte Spitzenwissenschaftler, Politiker und Künstler in der Türkei eine neue Wirkungsstätte. Präsident Kemahl Atatürk lud Hindemith nach Ankara ein. Er sollte dort das Musikleben nach europäischem Vorbild organisieren. Das war die Chance, auf die Hindemith gewartet hatte. Insgesamt viermal reiste er zwischen 1935 und 1937 in die Türkei und baute das staatliche Konservatorium Ankara auf. Seine Aufgaben waren vielseitig: Er schrieb Gutachten, vermittelte deutsche Musiker und kümmerte sich um die Musiker- und Musiklehrerausbildung. Während seiner zweiten Türkeireise von März bis Juni 1936 begann er mit der Komposition der "Drei Sonaten für Klavier". Die vielseitige Verwendbarkeit des Klaviers inspirierte Hindemith. An der dritten Sonate in B-Dur arbeitete er schon nach seiner Rückkehr, zwischen dem 18. Juli und dem 20. August.

Der Komponist Paul Hindemith schwingt während einer Probe den Taktstock
Der Komponist Paul Hindemith

Mit der "klassischen" Sonatenhauptsatzform hat die Sonate Nr. 3 trotz ihres Namens wenig gemeinsam, auch wenn sie viersätzig angelegt ist. Der wiegende Rhythmus im ersten Satz erinnert an ein altitalienisches Siziliano. Das genaue Gegenteil dazu ist der Mittelteil mit einer durchgehenden 16tel-Bewegung. Der zweite Satz, von Hindemith mit „Sehr lebhaft“ überschrieben, ist ein Scherzo; der dritte Satz trägt den Charakter eines dahinschreitenden Marsches. Den Schluss der Sonate bestimmt eine energische Doppelfuge, die Hindemith bis ins Monumentale steigert. Dabei orientierte er sich an Brahms und Reger. 

Obwohl sich die Anfeindungen gegen Hindemith und seine "untragbare Gesinnung" weiter verschärften, erklärte sich der Schott-Verlag bereit, die "Drei Sonaten für Klavier" zu publizieren. Der Pianist Walter Gieseking plante, die Erste Sonate im Oktober uraufzuführen. Doch dann bekamen Hindemiths Werke Aufführungsverbot und Gieseking nahm Abstand von der Uraufführung. Für Hindemith war es jetzt nur noch eine Frage der Zeit, Deutschland zu verlassen. Am 22. März 1937 kündigte er seine Stelle an der Musikhochschule und brach einen Tag später zu einer Amerika-Reise auf. 1938 emigrierte er in die Schweiz, zwei Jahre später zog er in die USA.

Bernd Glemser 

Bernd Glemser war selbst noch Student an der Freiburger Musikhochschule, als er 1989 zum damals jüngsten Klavierprofessor Deutschlands berufen wurde – dafür musste er sich aber erst einmal exmatrikulieren. Zuvor hatte er bei Klavierwettbewerben auf der ganzen Welt Erfolge gefeiert und 17 Wettbewerbe in Folge gewonnen, darunter den Busoni-, den Tschaikowsky- und den ARD-Musikwettbewerb. Von den Preisgeldern konnte er sich seinen ersten Flügel kaufen.

Mittlerweile konzertiert Bernd Glemser in aller Welt. 1996 war er der erste Künstler aus dem Westen, der live im chinesischen Fernsehen spielte. Seine bisher 30 CD-Aufnahmen erhielten fast ausnahmslos Auszeichnungen von der Fachpresse. Dazu gesellen sich viele weitere Ehrungen, wie der Europäische Pianisten-Preis, den Bernd Glemser 1993 in Zürich erhielt, der Kunstpreis der Stadt Würzburg (2006) und das Bundesverdienstkreuz (2003).

Übrigens stammt Bernd Glemser aus dem Sendegebiet des SWR: von der Schwäbischen Alb. Als Junge ist er oft mit den Skiern zur Klavierstunde gefahren …

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Antonia Bruns