Musikstück der Woche vom 17.5. bis 24.5.2010

Bestellt und nicht völlig abgeholt

Stand
AUTOR/IN
Kerstin Unseld

Antonín Dvořak schrieb auf Bestellung seines Verlegers ein zweites Klavierquartett, das völlig anders als das erste war und darum nicht dessen Erfolgsspur folgte sonder eigene Wege ging.

Beim Bruchsaler Schlosskonzert am 22. März 2009 spielte das mit Daniel Gaede (Violine), Lars-Anders Tomter (Viola), Gustav Rivinius (Violoncello) und Oliver Triendl (Klavier) hochkarätig besetzte Tammuz Klavierquartett Antonín Dvořaks zweites, so anderes und so wunderschönes Werk für diese Besetzung, das Klavierquartett Es-Dur op. 87.

Ohne "tschechischen Tonfall"

Als Antonín Dvořaks Verleger Fritz Simrock 1886 immer wieder um die Komposition eines Klavierquartetts bat, hatte der versierte Verleger dafür seine Gründe. Nicht nur der Erfolg von Dvořaks frühem Klavierquartett D-Dur op. 23 aus dem Jahr 1875 motivierte ihn dazu, sondern vor allem auch die Beliebtheit der drei Klavierquartette von Johannes Brahms. Im Juli 1889 machte Dvořak sich schließlich an die Arbeit und schrieb sein Klavierquartett op. 87. Dieses etwa halbstündige Werk stand immer etwas im Schatten der Kammermusikwerke mit "tschechischem" Tonfall. Denn tatsächlich zeichnen Dvořaks zweites, pathetisch sehr aufgeladene Klavierquartett ganz eigene klangliche Merkmale aus.

Zunächst fällt auf, dass Dvořak die Instrumente in Klanggruppen miteinander konfrontiert. Polarisierend treten sich so die Streicher und das Klavier gegenüber. Das hat zur Folge, dass der Klavierpart sehr gewichtig gestaltet ist und vor allem einen Pianisten fordert, der sowohl selbstständig virtuos als auch im Dialog mit den Streichern zu musizieren versteht. Schön wird dieses Gegenüber von Streichern und Klavier bereits zu Beginn des Werks vorgestellt: Hier antwortet das Klavier dem Marcato gespielten Unisono der Streicher mit einem punktierten, sehr dramatischen Thema.

So ganz verbinden sich klanglich Klavier und Streicher in diesem Werk nicht, was Dvořak den Vorwurf einbrachte, hier zu wenig auf kammermusikalische Ausgewogenheit geachtet zu haben. Dieser Vorwurf aber lässt außer Acht, dass sich aus dem wirkungsvollen Kontrast eine besondere Spannung gewinnen lässt, die das Markenzeichen dieses Werks wurde.

Ein interessanter Tonfall herrscht im Scherzo vor. Hier fügte Dvořak nach einem eleganten Thema im Hauptteil eines mit orientalischem Tonfall ein. Ungewöhnlich an diesem Scherzo sind auch die umgekehrten Größenverhältnisse, denn das Trio ist weit belebter und rhythmischer gehalten als der Hauptteil.

Tammuz Klavierquartett

Tammuz war im babylonisch-assyrischen Mythenkreis der Geliebte der Liebesgöttin Ischtar. Ähnlich dem Adonis im griechisch-römischen Sagenkreis steht er als Symbol für die Liebe. Im Falle des Tammuz Klavierquartetts für die Liebe zu einer ebenso reizvollen wie vernachlässigten Musikgattung. Die ersten Klavierquartette schrieb Wolfgang Amadeus Mozart und sein Verleger behauptete, sie seien schlecht verkäuflich. Mit der Realität in den Musiksalons in nahezu allen Städten Deutschlands aber hatte das wenig zu tun, denn hier zählten Klavierquartette zu den beliebtesten und meistgespielten. Nach Mozart nahmen sich Weber, Mendelssohn, Schumann, Brahms, Dvorak, Strauss und Fauré - um nur die berühmtesten zu nennen - dieser Gattung an. Eigentlich ist es erstaunlich, dass diese Werke im Konzertbetrieb bis heute nicht die gebührende Beachtung geschenkt bekommen. Die vier sehr erfahrenen Kammermusiker des Tammuz Klavierquartett traten 2007 an, die Situation zu ändern, indem sie sich speziell dieser Gattung widmen. Tatsächlich nehmen sich Daniel Gaede, Lars-Anders Tomter, Gustav Rivinius und Oliver Triendl diesen Werken mit großem Können und viel Leidenschaft an. Dass sie sich der Interpretation auch mit Liebe widmen, liegt schon im Namen begründet.

Als der Geiger Daniel Gaede 1994 zum Konzertmeister der Wiener Philharmoniker gewählt wurde, war er für die Fachleute schon kein unbeschriebenes Blatt mehr. Trotz der vielfältigen Aufgaben mit den Wienern blieb er weiterhin als Solist und Kammermusiker aktiv. Seine Auftritte und die mit dem Pianisten Phillip Moll eingespielte Kreisler-CD erhielten so starke Resonanz, daß er das weltberühmte Orchester nach sieben Jahren wieder verließ, um sich noch intensiver seinen solistischen und kammermusikalischen Zielen zu widmen. Schon früh hatte sich Daniel Gaede mit dem Konzertleben vertraut gemacht. Zahlreiche Preise und Auszeichnungen begleiteten seine Studienzeit, die ihn zu Thomas Brandis nach Berlin, Max Rostal in die Schweiz und Josef Gingold in die USA führte. Sein umfangreicher Konzertkalender führt ihn rund um den Globus auf alle wichtigen Podien der Musikwelt.

Der Bratschist Lars Anders Tomter gastiert in den bedeutendsten Konzertsälen der Welt, ist bei den führenden Festivals zu Gast und tritt als Solist mit den großen Orchestern auf. Er arbeitet mit Dirigenten wie Vladimir Ashkenazy, Sylvain Cambreling, Daniele Gatti, Manfred Honeck, Krzysztof Penderecki zusammen und ist Partner von Solisten wie Christian Altenburger, Leif Ove Andsnes, Joshua Bell, Iona Brown und Sabine Meyer. CD-Produktionen bei NMC, Octavia, Simax, Chandos, Virgin Classics und Naxos. Lars Anders Tomter ist Professor an der staatlichen Akademie in Oslo und außerdem gemeinsam mit Leif Ove Andsnes künstlerischer Leiter des Risør Kammermusikfestivals. Er spielt eine Gasparo da Salo aus dem Jahr 1590.

Gustav Rivinius wurde als erster deutscher Musiker beim Internationalen Tschaikowsky Wettbewerb in Moskau mit dem 1. Preis ausgezeichnet. Seitdem führten ihn seine Konzerte zu renommierten Orchestern in der ganzen Welt. Auftritte bei internationalen Festivals, Kammermusikabende - auch als Mitglied des Trio de Salò - sowie Rundfunk- und CD-Aufnahmen ergänzen seine solistische Tätigkeit. Gustav Rivinius studierte u.a. bei David Geringas, Zara Nelsova und Heinrich Schiff. Er unterrichtet als Professor an der Musikhochschule Saarbrücken.

Der Pianist Oliver Triendl, studierte u.a. bei Gerhard Oppitz und Oleg Maisenberg. Nachdem er bereits früh mit zahlreichen Preisen bei nationalen und internationalen Wettbewerben ausgezeichnet wurde, entwickelte sich rasch eine umfangreiche Konzerttätigkeit, die ihn als Solist und Kammermusiker in zahlreiche europäische Länder, nach Nord- und Südamerika, Südafrika, Russland und nach Japan führte. Solistisch arbeitete er mit renommierten Orchestern. Als leidenschaftlicher Kammermusiker konzertierte er mit Wolfgang Boettcher, Thomas Brandis, Eduard Brunner, Ana Chumachenko, Rainer Kussmaul, Lorin Maazel, Ingolf Turban u.a. Sein umfangreiches Repertoire wird in zahlreichen Rundfunk- und Fernsehaufnahmen sowie auf über 30 CD-Einspielungen dokumentiert.

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Kerstin Unseld