Musikstück der Woche vom 02.03.2015

Tage am Meer

Stand
AUTOR/IN
Katharina Höhne

Claude Debussy: La Mer, trois esquisses symphoniques pour orchestre

Eigentlich wollte Claude Debussy Seemann werden. Denn seit er mit sechs Jahren zum ersten Mal das Meer gesehen hatte, gab es für ihn nichts befreienderes als am Strand spazieren zu gehen, sich den Wind um die Ohren pusten zu lassen und die herannahenden Wellen zu beobachten. Das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR hat Debussys "La Mer" – drei sinfonische Skizzen beruhend auf jenen Kindheitstagen – am 10.12.2012 im Teatro alle Tese in Vendig aufgeführt. Dirigent war der Schweizer Michel Tabachnik.

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Der "Laufbahn eines Seemanns bestimmt"

Der Komponist Claude Debussy (Foto: picture-alliance / dpa, picture-alliance / dpa -)
Der Komponist Claude Debussy

In Paris war es oft laut. Hunderte von Menschen liefen durch die Straßen, schweigend oder groß gestikulierend. Als kleiner Junge fand das Claude Debussy ziemlich anstrengend, zumal er aufgrund der einfachen Verhältnisse, in denen er aufwuchs, nicht zur Schule gehen konnte, um Paris für ein paar Stunden zu vergessen. Umso wichtiger wurde es für ihn, dass er ein, zweimal im Jahr seine Patentante an der französischen Mittelmeerküste besuchen durfte. In Cannes, der berühmten Hafenstadt im Süden von Frankreich, tickte das Leben anders. Zwischen den bunten Häusern und den meterhohen Palmen war alles besser, fand er. Da gab es zwar auch Menschen, die durch die Gassen liefen, aber es waren längst nicht so viele und sie waren auch nicht so hektisch und unfreundlich wie die Pariser. Dazu gab es etwas in Cannes, das ihn vom ersten Moment an faszinierte: Das Meer.

Stundenlang spazierte er mit seiner Tante am Strand entlang, sammelte Muscheln und Steine und versuchte sich jedes noch so kleine Detail zu merken. Denn zurück in Paris wollte er sich so lebendig wie möglich daran zurückerinnern. Mit welcher Größe die Wellen ans Festland spülten, wie unendlich weit die Welt auf einmal schien – bis ins hohe Alter bewahrte sich Debussy diese frühen und prägenden Bilder. 

In Cannes begegnete er auch erstmals der Musik. Hier lernte er Klavier spielen und fasste den Entschluss selbst ein Stück über das Meer zu schreiben. Doch es dauerte noch 37 Jahre bis Debussy sein Vorhaben in die Tat umsetzte. 1903 steckte der Komponist eigentlich noch mitten in den Arbeiten zu seiner Oper "Pelléas et Mélisande", doch die Erinnerungen an früher und das Bedürfnis nach jener Freiheit, die er nirgends so stark wie an der Seespürte, wurden immer größer in ihm. Er fing an "La Mer" zu komponieren, drei sinfonische Skizzen, in denen er nicht das Meer selbst nachmalte sondern ganz im Geiste des Impressionismus seinen persönlichen Eindruck davon. An seinen Verleger Jacques Durand schrieb er:

"La Mer" hatte von Anfang an einen besonderen Stellenwert in Debussys Schaffen. Immer wieder arbeitete er seine Skizzen um, sodass sie erst zwei Jahre später, am 15.Oktober 1905, öffentlich aufgeführt wurden. Doch wie so oft konnte das Pariser Publikum auch diesmal nichts mit dieser "nebeligen" Musik anfangen. Erst 1908, als Debussy selbst die künstlerische Leitung seines sinfonischen Werks übernahm, änderte sich das. Heute gehört "La Mer" zu den populärsten Stücken des Parisers und gilt als exemplarisches Beispiel für den Impressionismus. 

Im ersten Satz erzählt Debussy, wie sich der Spiegel der Sonne – vom Morgengrauen bis zum Mittag – auf dem Meer verändert ("De l’aube à midi sur la mer"), im zweiten wie die Wellen spielend ans Festland laufen und wieder in den Weiten verschwinden ("Jeux de vagues") und im dritten von einem lebhaften und zugleich stürmischen Dialog zwischen Wind und Meer ("Dialogue du vent et de la mer"). Debussy lässt in jedem dieser Bilder auf meisterhafte Weise verschiedene Farben einzelner Instrumente sowie Töne und Klänge ineinander fließen, so, dass es schillert und glitzert, und das Meer im Ohr gegenwärtig scheint. 

Das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR

Das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR spielt jährlich rund 80 Konzerte im Sendegebiet des Südwestrundfunks, in den nationalen und internationalen Musikzentren und bei bedeutenden Musikfestspielen. Ergänzt wird seine Konzerttätigkeit durch zahlreiche Studioproduktionen für Rundfunk und Fernsehen.

Das Orchester pflegt das klassisch-romantische Repertoire in exemplarischen Interpretationen und setzt sich mit Nachdruck für zeitgenössische Musik und selten aufgeführte Komponisten und Werke ein. Bis heute hat es mehr als 500 Werke uraufgeführt. Dazu setzt es sich verstärkt für die Förderung junger Künstler ein und gestaltet durch ein breitgefächertes Angebot die Programme der Musikvermittlung SWR Young CLASSIX mit. 

Michel Tabachnik

Mit dem Anspruch, die Musik von heute und gestern einander begegnen zu lassen, konzipiert der schweizerische Dirigent Michel Tabachnik seine weltweit gefeierten Konzertprogramme: Brahms lässt er auf Xenakis treffen und Tschaikowsky auf Boulez. 1942 in Genf geboren, studierte Tabachnik Klavier, Komposition und Dirigieren – Herbert von Karajan und Pierre Boulez seine Mentoren. Besonders letzterer weckte in ihm die Leidenschaft für die zeitgenössische Musik, die er bereits vielfach auf die Bühne gebracht und eingespielt hat.

Seit dem Ende seiner Lehrzeit dirigiert er die weltbesten Orchester, wie die Berliner Philharmoniker oder das Orchestre de Paris. Seit 2008/09 ist er unter dem Motto "Das Orchester ist kein Museum, sondern lebendige Musik" Chefdirigent und künstlerischer Leiter beim Brussels Philharmonic. Daneben setzt sich Tabachnik für die Förderung junger Talente an. Als Professor lehrt er in Toronto und Kopenhagen und gibt Meisterkurse in Lissabon, Paris und Stockholm. Das 1984 von ihm gegründete Orchestre des Jeunes de la Méditerranée ist bis heute gern gesehener Gast bei zahlreichen Festivals. Tabachnik war bereits mehrfach beim Radio-Sinfonieorchester Stuttgart zu Gast.

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Katharina Höhne