Violinkonzerte von Antonio Vivaldi

Lisa Tur Bonet & das Ensemble Musica Alchemica

Stand
AUTOR/IN
Dorothea Bossert
KÜNSTLER/IN
Lina Tur Bonet, Musica Alchemica

CD-Tipp vom 7.10.2018

Eine fast punkige Rigorosität

Lina Tur Bonet ist Solistin und leitet zugleich Ihr Ensemble, das Barockorchester Musica Alchemica. Diese Frau kann wirklich Geige spielen – aber, es wohnt auch ein gewisser Furor im Kopfsatz der Aufnahme des berühmten Violinkonzertes „Il grosso Mogul“, eine fast punkige Rigorosität, die neugierig macht. Wer ist diese Frau? Das Cover zeigt eine mädchenhaft zierliche junge Frau, in üppigem Barockkleid, ein Bein über das andere geschlagen, sodass das Kleid den Blick auf die groben Springerstiefel freigibt. Ein anderes Foto zeigt sie am Flipperautomat – flippig und jung also wirkt sie auf diesen Fotos. Ihre Biografie allerdings zeigt: Sie ist eine versierte, mit allen Wassern der alten Musik gewaschene Geigerin. Die Liste ihrer Lehrer und die der Dirigenten und Orchester, mit denen sie zusammengearbeitet hat, liest sich wie ein Who is Who der Alten Musik. Also wird sie schon eine gewisse Reife besitzen, um das Instrument so zu beherrschen und mit ihm Musik zu deuten, wie sie es tut.

Spanischer Drache

Ihre Fans nennen sie „unseren spanischen Drachen“ – und wirklich, ihr Spiel ist nicht nur von den Engeln geküsst, auch einige Teufel wirken da mit, denn manchmal klingt ihr Spiel auch hart, schrill und knapp an den vorgeschriebenen Tonhöhen vorbei. Doch gerade das macht Ihr Spiel interessant. Ein mit viel Bogen erzeugter gerader Ton, dem auf seiner Fahrt entlang der Saite nur selten ein Vibrato hinzugesellt wird. Überhaupt: Frau Bonet arbeitet sehr stark mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten ihres Bogens und macht damit aus Vivaldi beinahe Rockmusik: laut, grell, ein bisschen schmutzig und sehr perkussiv-motorisch geht es da zu. Mir macht das großen Spaß, weil es Drive hat und weil das Hässliche, das Querständige mit Konsequenz und Sorgfalt herausgearbeitet wird. Musik muss Musik sein, ja, aber sie muss ja nicht unbedingt immer schön sein. Eine temperamentvolle und sehr eigene Deutung des genialen Barockmeisters ist das, der in seiner Fähigkeit, gute Musik am Fließband zu produzieren, ja wirklich auch etwas von einer Pop-Ikone hat.

Eiskalt, klar und pur

Der Seelenjubel ist geradezu vorprogrammiert, sobald Vivaldi mit seiner Musik Gas gibt. Das tut er genüsslich in seiner sogenannten Grazer Sonate Nummer 2 in h-Moll. In den schnellen Sätzen wird das Ensemble Musica Alchemica zum Percussionsapparat. Barockcello, Kontrabass und Cembalo lassen den Beat ordentlich krachen und Lina Tur Bonet reisst die Saiten mit einem extrem kurzen Strich und jagt mit den Synkopen des zweiten Allegro-Satzes mit Vollgas durch die harmonischen Felder, als wäre es eine Verfolgungsjagd in einem Actionfilm. Im anschließenden Largo zieht die Geigerin dann das einfachste und zugleich schwierigste Mittel hervor: Sie spielt ohne Vibrato, nur gegen Ende des Satzes durch ein zartes Sul ponticello gestützt, Linien von Melodiefragmenten, denen sie keinerlei agogische Hervorhebung zur Stärkung der harmonischen Verrücktheiten beimischt. Ein Spiel, eiskalt klar und pur, ohne willkürlichen Eingriff in Vivaldis Diktion. Ein sehr frecher, um nicht zu sagen auf Krawall gebürsteter Vivaldi ist das, der voll unter Strom steht. Antonio Vivaldi, Il Grosso Mogul heißt die CD und erscheint dieser Tage bei Note 1.

CD-Tipp vom 7.10.2018 aus der Sendung SWR2 Treffpunkt Klassik - Neue CDs

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AUTOR/IN
Dorothea Bossert
KÜNSTLER/IN
Lina Tur Bonet, Musica Alchemica