Arthaus-DVD-Box mit sämtlichen Sinfonien & Konzerten

Prokofjew-Marathon

Stand
AUTOR/IN
Jan Ritterstaedt
KÜNSTLER/IN
Orchester und Chor des Mariinski-Theaters

DVD-Tipp vom 16.8.2018

Am Geburtstag von Sergei Prokofjew und am darauf folgenden Tag sollten nicht nur sämtliche Sinfonien, sondern auch alle Solokonzerte und weitere Orchesterstücke, inklusive eines großen Oratoriums, aufgeführt werden. Damit aber nicht genug: Der Plan sah vor, mit einem Sinfoniekonzert morgens in Moskau zu starten, dann mit dem ganzen Orchester nach St. Petersburg zu fliegen, um dort abends gleich wieder mit einem üppigen Konzertprogramm auf der Bühne zu stehen. Am folgenden Tag gab es dann "nur" zwei prall gefüllte Konzerte im Petersburger Mariinski-Theater - ohne dazwischen in den Flieger steigen zu müssen.

Eingespieltes Team

Zügigen Schrittes betritt Waleri Gergijew das Podium, stellt sich ans Pult, hebt seinen berühmten Taktstock vom Format eines Zahnstochers und sofort geht es los. Waleri Gergijew und sein Orchester des Mariinski-Theaters sind ein eingespieltes Team. Der russische Dirigent hat es nicht eilig im eleganten Eröffnungs-Allegro von Sergei Prokofjews erster Sinfonie. Er lässt den vielen, kleinen musikalischen Figuren genug Zeit sich zu entfalten und erschafft so vom ersten Ton an, eine einerseits elegant-verspielte, aber auch streng klassizistisch angeordnete Rokoko-Atmosphäre. Seine Musikerinnen und Musiker kennen ihren Dirigenten und folgen ihm konzentriert und aufmerksam. Oft fokussiert sie die Kamera und verweilt dort für einige Sekunden. Die Musiker sind immer wieder dieselben, Prokofjews Musik dagegen hat viele Gesichter.

Beeindruckende Virtuosität

Prokofjews zweites Klavierkonzert entstand kurz nach seiner klassischen Sinfonie und zeigt den Komponisten als ausgewiesenen Modernisten: Hämmernde Rhythmen, dissonante Akkordballungen und beeindruckende Virtuosität kennzeichnen dieses Konzert. Mit dem russischen Pianisten Denis Matsuev hat Waleri Gergijew einen ausgezeichneten Solisten gewinnen können. Energisch hält er die zahlreichen brillanten Passagen beständig im Fluss und schlägt einen weiten Spannungsbogen selbst über die üppige Kadenz hinweg, der bis in die letzten Takte von Prokofjews Klavierkonzert reicht. Tosender Beifall für den Solisten und zahlreiche Bravo-Rufe. Deutlich sieht man den Schweiß auf seiner Stirn glänzen.

Werke in chronologischer Reihenfolge

Neben sämtlichen Sinfonien und Konzerten Prokofjews, hat Waleri Gergijew in chronologischer Reihenfolge u.a. auch dessen, auf einer Filmmusik basierende, Oratorium "Iwan der Schreckliche" eingespielt. Es wird voll auf der Bühne des Mariinski Theaters: vorne der russische Schauspieler Alexei Petrenko als Erzähler, dahinter Orchester und Chor. Mit eindringlichen Gesten untermalt er seinen Textvortrag. Dazu kommt eine ausdrucksstarke, mit üppigem Blech, martialischen Männer- und zarten Frauenchören angereicherte Musik. Gergijews wache Augen funkeln immer wieder bewegt in Richtung seines Chores und Orchesters.

Einmal angeschlagen und die Rhythmus-Maschine läuft: Waleri Gergijew besteht auch bei den späten Werken Prokofjews auf streng durchlaufenden und präzise artikulierten Rhythmen, wie hier im vierten Satz aus dessen fünfter Sinfonie. Das Werk entstand kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs und ist ganz dem unverbrauchten, jugendlichen Geist gewidmet. "Die Recken" hat sie der Komponist überschrieben. Und diesen jugendlichen Schwung haben die Musiker des Orchesters des Mariinski Theaters tief verinnerlicht: Gergijew braucht keine großen dirigentischen Gesten, um sein Ensemble anzuheizen: Nur das Tempo gibt er kurz vor - die detaillierte Ausgestaltung vertraut er dann ganz seinen Musikerinnen und Musikern an.

Dunkle Farben und intensiv empfundene Tragik durchziehen die sechste Sinfonien von Sergei Prokofjew. Große, kollektive Gesten mit düster dröhnendem Blech wechseln sich immer wieder mit intimen Passagen ab. Waleri Gergijew hat sich auch über die Opern Prokofjews tief in dessen musikalisches Universum hinein gearbeitet. Das hört, spürt und sieht man auf jeder der sechs DVDs. Weder er, noch die Musikerinnen und Musiker des Orchesters des Mariinski-Theaters, zeigen trotz des intensiven, zweitägigen Konzertmarathons auch nur Spuren von Ermüdungserscheinungen. Vielmehr blickt man überall in hellwache und aufmerksame Augen.

Live-Konzertmitschnitte auf höchstem Niveau

Eine beeindruckende, mitunter auch mitreißende und auf höchstem Niveau live musizierte DVD-Box. Gleichzeitig ein spannender Querschnitt durch das äußerst vielgestaltige Orchesterschaffen Sergei Prokofjews. Als Zugabe gibt es auf DVD Nummer sieben noch den eineinhalbstündigen Film "Prokofjew: On the way" auf russisch und mit englischen Untertiteln zu sehen.

DVD-Tipp vom 16.8.2018 aus der Sendung SWR2 Cluster

Stand
AUTOR/IN
Jan Ritterstaedt
KÜNSTLER/IN
Orchester und Chor des Mariinski-Theaters