Symbolbilder Spotify (Foto: IMAGO, IMAGO/CHROMORANGE)

Musikmarkt im Wandel

Spotify und das Dilemma des digitalen Prekariats

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Christian Batzlen
Christian Batzlen, Moderator SWR Kultur (Foto: Christian Batzlen)

Im November hat Spotify ein neues Bezahlmodell verkündet und damit einen neuen Tiefpunkt im Umgang mit Künstlern jenseits des Mainstreams erreicht.

Als Musiker auf Spotify zu sein, ist in der Regel kein ertragreiches Geschäft. Wessen Song 1000 mal gehört wird, bekommt dafür rund 3,40 €. Also ein Einzelfahrschein im Nahverkehr, eine Handvoll Süßigkeiten oder ein gebrauchtes Buch. Wer künftig weniger als 1000 mal gehört wird, bekommt gar nichts mehr ausbezahlt.

Von meinen Gesamteinnahmen, die ich mit Musik bestreite, kommen etwa ein Prozent durchs Streaming und davon kann ich sicherlich nicht meine Miete bezahlen.

Die Sängerin und Aktivistin Balbina ist eine der wenigen in der Branche, die kaum ein Blatt vor den Mund nimmt und Spotify für sein Ausschüttungssystem öffentlich kritisiert.

Für die ARD Doku „Dirty Little Secrets“ hatte sie es erstmals geschafft, mehrere Musikerinnen und Musiker um einen Tisch zu versammeln, die sich ihr anschlossen. Unter den neun waren unter anderem Peter Maffay, Maeckes, Jennifer Weist und Rocko Schamoni.

„Dirty Little Secrets“ bietet in drei Episoden einen tiefen Einblick in die dunklen Seiten der Musikindustrie, offenbart Geistermusiker bei Spotify und geheime Deals mit den Labels.

Blick hinter die Kulissen der Musikwelt „Dirty Little Secrets“ in der ARD Mediathek

Jeder hütet ein Geheimnis. Manche dürfen geheim bleiben. Andere gehen uns alle an. "Dirty Little Secrets” blickt in drei Folgen hinter die Kulissen der glitzernden Musikwelt und erzählt von Deals und schmutzigen Tricks der Mächtigen.

Popstars in Dauerschleife schöpfen Millionen ab

Auf Spotify bemisst sich der Anteil der auszuzahlenden Tantieme am Streamshare, also am Gesamttopf der Einnahmen. Es zählt, wie häufig ein Song länger als eine halbe Minute gespielt wird.

Popstars in Dauerschleife schöpfen Millionen ab. Taylor Swift verdiente so im vergangenen Jahr über 100 Millionen US-Dollar. Für kleinere Künstler bleibt bei etwa 0,3 Cent pro Stream nicht viel zum Leben übrig. 

SWR2-Podcast „Was geht - was bleibt?“ zum Thema:

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Dabei steckt im Musikmarkt so viel Geld wie seit der Jahrtausendwende nicht mehr. 2,3 Milliarden Euro wurden im letzten Jahr umgesetzt, allein knapp Dreiviertel davon durchs Streaming. Die Labels haben die Tage der Raubkopierer und illegaler Downloads nicht nur überstanden, mittlerweile geht es ihnen so gut wie in den „Goldenen Zeiten“. Dies gilt jedoch nicht für Musiker*innen.

Wenn man denkt, man ist bei Spotify, um mit seiner Musik Geld zu verdienen, dann wird man in den meisten Fällen enttäuscht. Es ist nicht mehr als ein Minijobgehalt, das da monatlich hereinkommt.

Musikerinnen verdienen 24 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen

Vom professionellen Musizieren zu leben, gelingt laut einer Studie des Deutschen Musikinformationszentrums (miz) den wenigsten. 70 Prozent der Berufsmusiker*innen gehen zusätzlich zu ihrer musikalisch-künstlerischen Tätigkeit musikpädagogischen Aufgaben oder anderen Tätigkeiten nach, die nichts mit Musik zu tun haben.

Lange haben repräsentative Daten zur Arbeitsrealität und Einkommenssituation von Berufsmusizierenden gefehlt. Nun ist zudem klar: Berufsmusikerinnen verdienen im Durchschnitt rund 700 Euro beziehungsweise 24 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. 

Symbolbilder Spotify (Foto: IMAGO, IMAGO/YAY Images)
Für die Hörer*innen bequem, doch gerade für unbekanntere Musiker*innen keine sichere Einkommensquelle: der Musikstreamingdienst Spotify.

Für viele Musiker ist Spotify nur noch ein Marketingkanal

Auch bei der Mannheimer Indie-Newcomerband Engin reichen die Einnahmen durch Spotify bei weitem nicht aus. „Es ist nicht mehr als ein Minijobgehalt, das da monatlich hereinkommt“, sagen sie. Als Live-Band setzen sie auf Konzerte.

Diese Abende sind zudem der einzige funktionierende Geschäftszweig. Dort verkaufen sie neben Tickets ihre Platten und ihren Merch. Vom einstigen Spotify-Versprechen, ein Streamingsystem zu etablieren, bei dem alle Interpreten fair am Gewinn beteiligt werden, ist nicht viel übrig. Für viele ist Spotify nur noch ein Marketingkanal, um Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit zu generieren.

Um diesen Bereich ständig füttern zu können, dass man wieder touren gehen kann, veröffentlichst du Musik. Das hat sich einfach umgekehrt. Also nicht mehr die Musik an sich ist der Verkaufsgrund, sondern du versuchst die Leute auf die Konzerte zu ziehen, weil dort dann doch noch irgendwie die Margen stimmen.

Was ist uns Musik wert?

Vielfältige Finanzierungskonzepte müssen künftig Musikern und Musikerinnen das berufliche Überleben sichern. Alternative Plattformen wie Bandcamp oder Bezahlmodelle über die eigenen Websites, bei denen die Künstler*innen ihre Musik direkt an Fans verkaufen, werden so immer wichtiger.

Ebenso der Verkauf von Merch über Plattformen wie Shopify oder Etsy oder Crowdfunding und Patreon, bei denen Musiker eine treue Fangemeinde aufbauen, die sie durch monatliche Beiträge oder Spenden für spezielle Projekte unterstützt. In Zukunft wird allgemein noch stärker verhandelt werden müssen, was uns als Gesellschaft die Musik eigentlich wert ist. 

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Blick hinter die Kulissen der Musikwelt „Dirty Little Secrets“ in der ARD Mediathek

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Kommentar Streichung der Tantiemen auf Spotify für Künstler*innen

Der Streamingdienst Spotify will ab 2024 nur noch Tantiemen an Künstlerinnen und Künstler auszahlen, deren Stücke mehr als 1000-mal im Jahr gehört werden – und das frei gewordene Geld unter denjenigen verteilen, die über dieser Marke liegen. Hannah Schmidt findet das respektlos.

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Was geht - was bleibt? Zeitgeist. Debatten. Kultur. Von Spotify leben: Entsteht gerade ein neues Musikprekariat?

Der Musikindustrie geht es insgesamt so gut wie lange nicht mehr, besser sogar als zu den Hochzeiten von Schallplatte und CD. Das kommt nur leider bei kleinen und mittelgroßen Bands oft nicht an. Streaming zahlt sich vor allem für die Großen im Geschäft aus. Die meisten Berufsmusiker*innen brauchen deswegen ein zweites Standbein, um über die Runden zu kommen.

Wie lebt man also heute von der Musik? Geht die typische Selbstvermarktung auf Social Media überhaupt auf? Die Mannheimer Indie-Rock-Band Engin trifft mit ihren Reels offenbar einen Nerv und schafft es, damit auf sich aufmerksam zu machen. Unsere Gäste, der frühere VIVA-Moderator Nilz Bokelberg und die Musikerin und Aktivistin Balbina, sind dennoch skeptisch. Viel zu oft bleibe bei all dem Fokus auf Merch und Konzerte die Musik selbst auf der Strecke.

Hosts: Christian Batzlen und Philine Sauvageot
Showrunnerin: Pia Masurczak

Links:
ARD-Doku Dirty Little Secrets über Spotify: https://www.ardmediathek.de/serie/dirty-little-secrets/staffel-1/Y3JpZDovL2JyLmRlL2Jyb2FkY2FzdFNlcmllcy85N2Q4ZmY0YS0yNDczLTRjYmItOTZhYi02Y2Q2NzQzY2NhMWE/1

Tourdates, Musik und mehr der Band Engin: https://www.handshake-booking.com/de/artist/engin/
Website von Balbina: https://www.balbina.fm/
Website von Nilz Bokelberg: https://www.nilzbokelberg.de/