Weihnachtsbuchtipps

Weihnachtsempfehlungen der SWR-Literatur-Redaktion

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AUTOR/IN
Alexander Wasner
Katharina Borchardt
Frank Hertweck
Theresa Hübner
Carsten Otte
Lukas Meyer-Blankenburg

Spanische Lyrik, ein vielschichtiger Roman über die Finanzwelt oder ein mehrsprachiger Kinder Kalender: Für Kurzentschlossene empfehlen die Mitarbeiter*innen der SWR-Literatur-Redaktion Bücher, die sie selbst gern verschenken würden.

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Hernan Diaz: Treue

Ich bin Alexander Wasner. Und das Buch, das ich in diesem Winter empfehle heißt: Treue. Was ist ein gutes Leben?

Was gilt ein Mensch? Bücher über Wirtschaftsthemen sind selten und selten wirklich fesselnd. Hernan Diaz erzählt in seinem Buch „Treue“ die Geschichte von Benjamin Rask und seiner kunstverständigen Frau Helen. Der Mann hat an der frühen Wallstreet der 20er Jahre ein Vermögen gemacht. Sein Instinkt ist sicher, seine Vorsicht präzise – Der Mann hat soviel Geld, dass er am Ende wie ein Gott über das Wirtschaftsleben der Vereinigten Staaten herrscht.

Das zumindest erzählt Hernan Diaz die ersten 140 Seiten. Aber dann stirbt der Held. Und in einer 2., 3. und 4. Drehung des Plots erfährt man, wie seine Ghostwriterin die Sache sieht. Was sie schreibt, und was sie denkt, sind unterschiedliche Sachen. Und dann hat auch noch seine kunstsinnige Frau was zu sagen, sogar ziemlich viel.

Wie zuverlässig kann Erzählen sein, fragt sich Hernan Diaz. Und wie egozentrisch ist so ein Tycoon? Ich finde, alle Helden und Heldinnen lassen Federn in diesem Buch, alle stehen nackt da am Ende. Das Buch ist leicht wie ein sehr tiefes Loch, spannend, immer wieder überraschend und außerdem eins der Bücher zur Stunde.

Die Lyrik-Anthologie „Spanische und hispanoamerikanische Lyrik“

Weihnachten naht, und das ist ja eine gute Gelegenheit, sich oder Anderen auch mal teure Bücher zu kaufen. Bücher, die man sich sonst eher nicht leistet. Ich bin Katharina Borchardt, Literaturredakteurin, und ich empfehle heute eine vierbändige Lyrik-Anthologie namens „Spanische und hispanoamerikanische Lyrik“.

Diese Anthologie ist dick, schwer, prachtvoll und mit 148 Euro nicht ganz billig. Aber so umwerfend und schon jetzt ein Standardwerk. Warum? Weil sie 800 Gedichte aus neun Jahrhunderten umfasst. Sie sind chronologisch angeordnet. Zehn Jahre Arbeit stecken in dieser Edition, geleistet von einem Team toller Übersetzerinnen und Übersetzer.

In den ersten beiden Bänden überwiegt – zeitlich bedingt – natürlich die Lyrik aus Spanien. Danach kommt das „spanisierte“ Lateinamerika hinzu, das in Band 3 und 4 die Nase vorn hat. In diesen Bänden findet man dann auch spanische Texte, in die indigene Sprachen eingeflossen sind. Die Texte werden im Original und auf Deutsch präsentiert, und sie werden von klugen Erklärtexten literaturhistorisch eingeordnet. Eine Anthologie, die glücklich macht.

Uwe Dick: Sauwaldprosa

Wenn Außenseitertum mehr als eine Phrase oder Pose ist, dann ist Uwe Dick wirklich ein Außenseiter im Literaturbetrieb. Seit Mitte der 1970er Jahre verfolgt er eigensinnig sein Projekt „Sauwaldprosa“, das als Reise- und Entdeckerbuch begann und sich längst in ein rhizomatisches Textgewebe verwandelt hat, ganz so wie der Sauwald  von einem konkreten Ort um Passau in eine Utopie gelingenden Zusammenlebens von Mensch, Tier & Pflanzen.

Dick steht in der Tradition der großen Schimpfer, wie Karl Kraus einer war, und gleichzeitig in der der großen Sanften wie Jean Paul. In größeren Abständen erschienen Bände der Sauwaldprosa, ergänzt und fortgesponnen.

Jetzt, zum 80. Geburtstag, legt der Wallstein Verlag die „unwiderruflich abgeschlossene SAUWALDPROSA“ in einem großen, schön aufgemachten, roten  Prachtband vor. Eine verlegerische Tat für einen Anarchisten und Sprachkünstler, der das allemal verdient hat.

Eine Empfehlung von Frank Hertweck, Redaktionsleiter SWR2 Literatur.

Der Kinderkalender 2023

Mein Name ist Theresa Hübner und ich empfehle den Kinderkalender der Internationalen Jugendbibliothek München. Für jede Woche des Jahres gibt es in diesem Kalender lustige, schlaue, abgedrehte Gedichte aus der ganzen Welt. Auf Deutsch übersetzt – aber auch in der Originalsprache. Und da ist alles dabei, von Arabisch über Taiwanesisch, Ukrainisch bis Zulu.

Natürlich kann ich all diese Sprachen nicht mal ansatzweise korrekt aussprechen – aber das ist egal, mit meinem vierjährigen Sohn radebreche ich die Gedichte einfach drauflos und das macht echt Spaß. Ungewohnte Laute und Schriftzeichen und auch den manchmal für uns etwas seltsamen Humor, kann man in diesem Kalender entdecken – Achtung, Kostprobe:

Schneeflocke – Einen Schneeball hab‘ ich gemacht. In die Tasche gesteckt. Doch jemand hat ihn geklaut über Nacht, hat er dann Wasser in meine Taschen gefüllt

– das war ein litauisches Gedicht.

Marieke Lucas Rijneveld: Kalbskummer Phantomstute

Mein Name ist Carsten Otte, und ich empfehle zum Weihnachtsfest den Doppelgedichtband „Kalbskummer Phantomstute“ des niederländischen Autors Marieke Lucas Rijneveld.

In seinen Texten geht es um fluide Identitäten, um den Versuch, familiäre und gesellschaftliche Normen zu befragen, persönliche Übergänge, Coming-of-Age-Situationen und politische Befreiungsakte sprachlich sichtbar zu machen.

Wie in seinen biografisch grundierten Romanen „Was man sät“ und „Das Prachttier“, die in einem strenggläubigen und ländlichen Umfeld spielen, lebt auch seine Lyrik von einer äußerst poetischen Bildsprache, wobei die Frage, ob Rijneveld eher Prosaautor oder doch vor allem Lyriker ist, an seinen Arbeiten eher vorbei geht.

Tatsächlich überzeugt die Lyrik in den beiden Bänden „Kalbskummer“ und „Phantomstute“ vor allem mit erzählerischen Gedichten und eindrücklichen Szenen, etwa in dem Gedicht „Komm wir streicheln uns“.

Wir fangen mal damit an, dass wir näher zusammenrücken, verdrängen langsam / die Luft zwischen uns wie Weckgläser mit Sommergemüse, die ein Vakuum bilden, / Haltbarkeit beginnt immer mit dem Anbringen eines Etiketts.

Ich würde ja sagen, dass diese Zeilen auch der Beginn eines Weihnachtsgedichts sein können. Auch wenn es bei Rijneveld dann doch um etwas anderes geht, nämlich um Distanz selbst bei körperlicher Nähe.

Wolfgang Bauer: Am Ende der Straße. Afghanistan zwischen Hoffnung und Scheitern

Ich bin Lukas Meyer-Blankenburg und ich empfehle Ihnen das Buch: Am Ende der Straße. Afghanistan zwischen Hoffnung und Scheitern – von Wolfgang Bauer.

Wolfgang Bauer ist Reporter für die Wochenzeitung die ZEIT. Er reist seit mehr als zwanzig Jahren nach Afghanistan. Und er ist nochmal dorthin zurückgekehrt, nachdem die westlichen Truppen im Sommer 2021 abgezogen waren und die Taliban wieder die Macht übernommen hatten. Wir reisen mit Wolfgang Bauer entlang der legendären Ring Road, ein Mega-Bauprojekt, eine 2000 Kilometer lange Straße in Form eines großen Rings, die das ganze Land erschließen soll.

Wolfgang Bauer schreibt beeindruckende Porträts der Menschen, die er trifft, Handwerker, Uni-Rektoren, Taliban-Kämpfer. Eine große, faszinierende Reportage, in der Wolfgang Bauer aber auch zeigt, wie absurd der Versuch des Westens war, in Afghanistan mit Militär und Milliarden Dollars ein Land nach eigenen Wünschen aufzubauen. Am Ende überwiegt trotz allem: die Hoffnung. Tolles Buch.

Gespräch „Der Westen wollte Afghanistan nicht kennen lernen“ – Wolfgang Bauer und sein Reisebericht „Am Ende der Straße“

Seit mehr als 20 Jahren reist der Journalist Wolfgang Bauer nach Afghanistan. Sein beeindruckendes Reportagen-Buch „Am Ende der Straße“ erzählt von einem faszinierenden Land, aber auch von den zahllosen Fehlern und Illusionen westlicher Entwicklungshilfe. | Lukas Meyer-Blankenburg im Gespräch mit dem Autor Wolfgang Bauer | Suhrkamp Verlag, 399 Seiten, 24 Euro | ISBN 978-3-518-43076-7

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