Buch der Woche

Marius Goldhorn - Park

Stand
Autor/in
Alexander Wasner

Arnold ist der typische „digital native“, der zwischen virtueller und echter Welt kaum unterscheidet. Informationshappen, Forengeschwätz und Chatnachrichten ziehen permanent an ihm vorüber. Nichts berührt Arnold wirklich.

Zwischen Yoga-Tutorial und Artischockenfestival blitzen Hungerkatastrophen in Mittelamerika, ein Flugzeugabsturz und ein Terroranschlag gleichrangig auf. Auch die politischen und sozialen Abgründe Europas, mit denen er auf seiner Reise in Berührung kommt, lösen keine tieferen Gefühle bei ihm aus.

Der Held des Romans ist dauerhaft online

Momentan ist es ja so, dass viele Menschen ihr Handy oder Laptop dauernd in die Hand nehmen. Aber in Büchern, Filmen, Serien tun sie das seltener.

Es wirkt unsexy, wenn der Held mit einem anderen Medium beschäftigt ist.

Marius Goldhorn hat daraus ein literarisches Prinzip gemacht – sein Held daddelt den ganzen Roman über.

Goldhorns Roman eröffnet mit einem Statement

Wahrscheinlich ist die wahre Tagesbeschäftigung eines „digital native“ bisher selten so konsequent literarisch durchgestaltet worden. Gleich mit dem ersten Satz geht das los: „Arnold ging in die Einstellungen.“

Wenn man in die „Einstellungen“ geht, ändert man was am Computer. Der Satz trennt Generationen. Als Romaneröffnung ist es ein Statement.

Es war 14.21 Uhr. Er änderte die Farbe seines Desktophintergrunds von Orange zu einer Art Gelbgrün, mit dem er eigentlich nichts verband.

Genauigkeit und Freiheit sind für den Digital Native Mangelware

Warum er das tut? Weil er’s kann. Aber wesentlich mehr Freiheit wird Arnold, der Held in Marius Goldhorns Debüt „Park“ nicht bekommen als den Wechsel des Bildschirms von orange zu gelbgrün.

Und mehr Genauigkeit auch nicht als die beflissene Mitteilung, es sei 14.21 Uhr. Arnold lebt hochbehütet und finanziell grundgesichert in einer durchdigitalisierten Welt. Und hier, in dieser Wattewelt, versuchen Menschen zueinander zu kommen.

Arnold öffnete den Chat mit Odile. Arnold schrieb. Ich bin jetzt im zug nach paris.

Barrierefreier Satzbau oder doch digitale Demenz?

Man merkt es schon: Der Schreibstil wirkt etwas infantil. Er erinnert an Markus Osterwalders Kindergeschichten um Bobo Siebenschläfer: „Heute ist Bobo mit Mama und Papa im Park. Bobo kann es kaum erwarten, all die Tiere zu sehen.“

Dem barrierefreien Satzbau des Buches kann man locker auch mit digitaler Demenz folgen. Die Story von Marius Goldhorns Roman „Park“ ist schnell erzählt.

Eine Generation im medialen Dauerbeschuss

Ein junger Mann, Ende 20, Arnold genannt, reist über Paris nach Athen, um bei einem Filmprojekt seiner Freundin mitzuhelfen. Er trifft sie dort, sie verbringen viel Zeit miteinander bei Dreharbeiten und im Bett, dann gerät Arnold in den Strudel politischer Verwerfungen und Krawalle und muss das Land verlassen.

Der mediale Dauerbeschuss, dem sich Arnold während seiner Europareise aussetzt, bildet das Gerüst dieses Romans. Vieles, was Arnold auf seiner Reise durch Europa auf dem Smartphone liest, ist sehr lustig und bietet erheblichen poetischen Überschuss.

Arnold ist ein bildungsbürgerlicher Snob

Arnold findet im Netz das Video eines Gesprächs zwischen Papst und Astronauten der ESS. Wie viele Billionen Bakterien leben im menschlichen Körper? Gibt es Kakerlakenmilch? Wussten Goethe, Kant, Schubert und Hegel eigentlich, was ein Dinosaurier ist?

Autor Marius Goldhorn
Autor Marius Goldhorn

Gleichzeitig hören Goldhorns Helden Musik: MF Doom, Delia Derbyshire, Massive Attack, Haruomi Hosono, Hiroshi Yoshimura, eine Art japanischer psychedelischer Fahrstuhljazzpunk.

Die meisten Interpreten kennt kein Schwein. Aber Youtube hält es natürlich vorrätig. Und gelesen wird auch. Rolf Dieter Brinkmann. Hubert Fichte. Fernando Pessoa. Sehr erlesene 70er, 80er Jahre Hochliteratur, die Großväter der Popliteratur, Arnold ist ein bildungsbürgerlicher Snob.

Überdruss ist im Roman allgegenwärtig

Es ist angenehm das lesen, man kann nichts anderes machen währenddessen. … Vor allem muss sich niemand mitteilen oder ausdrücken.

Marius Goldhorn gelingt es, subtil einen Freiheitsdiskurs mitlaufen zu lassen: Freiheit den Bildschirm zu verändern ist das eine. Freiheit, alleine zu sein ist etwas ganz anderes.

Das Lesen selbst ist schon ein Emanzipationsakt gegenüber dem chronischen Informationsoverkill. Ein seltsamer Überdruss ist im ganzen Buch spürbar, und mehr noch: eine Grenze, ein vorapokalyptischer Tremor.

„Seitdem die Welt untergeht, sieht alles besser aus“, denkt Arnold.

Zwischen all dem Kitsch landet Arnold dann in einer echten Tragödie

Zuerst hat Arnold bizarre Fantasien. Im Palais de Tokyo, dem grandiosen Kunsttempel am Seineufer zum Beispiel:

Arnold dachte darüber nach, wo er die Bombe am besten platzieren würde. Er würde ein Manifest zurücklassen, in dem er sich zu einer tragischen Gestalt stilisierte. Er würde ruhig davongehen, während hinter ihm das Erdgeschoss des Palais de Tokyo explodierte.

Natürlich, schlimmster Actionfilm-Kitsch. Aber dann landet Arnold in der Mitte des Buchs wirklich in einer Tragödie, im Elend des wirtschaftsreformierten Griechenland, hier soll er bei einem Film mitmachen.

Das einzig Wahre ist seine Liebe zu Filmemacherin Odile

Seine Aufgabe ist banal, Klappe machen, Stative tragen, Wasser kaufen Restaurants raussuchen, U-Bahn-Pläne lesen. Ob es Spielfilm ist, oder Dokumentation, erfährt man nicht. Es ist auch egal, ob irgendwas wahr ist oder erfunden.

Das einzig wahre ist wahrscheinlich die Liebe zu Filmemacherin Odile, die ist echt, schön und bringt wirklich rührende, entlarvende, gefeilte Dialoge hervor:

Am nächsten Morgen wachten sie auf, ineinander geschält und in Decken. Arnold betrachtete Odile in der Morgensonne. Arnold sagte: Ich kauf uns ein Frühstück. Odile sagte: Ich komm mit. Arnold richtete sich auf. Arnold sagte: ich geh schnell. Was willst Du? Odile sagte: Ok. Ich esse alles. Was boykottierst du? Arnold sagte: Eigentlich nur Tintenfisch. Odile sagte: Okay. Odile sagte: Keine Allergien? Arnold sagte: Nein. Du? Odile sagte: Nein. Arnold sagte: was willst du? Odile sagte: Keine Ahnung. Arnold dachte: Das war das Vertrauteste; was ich seit langem gehört habe. Odile richtete sich auf und band sich die Haare zusammen. Arnold dachte: Was spricht eigentlich dagegen sich wohlzufühlen?

Goldhorns Werk erinnert an zahlreiche andere Autoren

Natürlich verläppert so eine Freundschaft. Und Arnold muss das Land verlassen, in dem groteske politische Aufstände beginnen. Es geht um Gerechtigkeit, Tierexperimente, internationale Verflechtungen.

Alles was Arnold dabei empfindet, ist: „Alle Beteiligten umgab eine angenehme Aufregung“. Da ist sie wieder, die Wattewelt und holt nun auch die Apokalypse ein.

Natürlich erinnert einen das, was Goldhorn hier macht an andere Autoren, an Leif Randts Oberflächenschimmern, an Christian Krachts Überdruss, an Clemens Setz‘ Hang zu seltsamen Analogien.

„Park“ ist ein Roman gegen den coronabedingten Digitalwahn

Aber die radikale Konsequenz, mit der Marius Goldhorn seinen Helden digital hochgerüstet durch Liebe und Zeitgeschichte schickt ist beeindruckend.

Gutgelaunt und unheilschwanger – ein scheinbares Paradoxon, mit dem man sich nie zu wohl fühlt und trotzdem manchmal laut lachen muss.

Marius Goldhorns kleiner Debütroman ist kein Medikament gegen Corona – aber gegen den coronabedingten Digitalwahn hilft er sehr gut.

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