Platz 2 (93 Punkte)

Claire Keegan: Kleine Dinge wie diese

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New Ross, eine Kleinstadt in Irland, 1985. Es könnte aber auch das Setting eines Dickens-Romans sein. Der Wind bläst über das winterliche Land. Die Schornsteine stoßen Rauchschwaden aus; die Menschen stapfen durch die Kälte auf dem Weg zu ihrer Arbeit. In der Düsternis der Natur spiegelt sich in Claire Keegans bemerkenswertem und außergewöhnlich schön gestaltetem Roman die verkommenen Zustände eines Landes.

Im Zentrum von „Kleine Dinge wie diese“ steht ein handfester, über Jahrzehnte hinweg verschwiegener politischer und gesellschaftlicher Skandal.

Bill Furlong, der Kohlen- und Brennstoffhändler der Stadt, ist ein aufrechter Mann. Eines Tages stöbert er bei einer seiner Kohlenauslieferungen im oberhalb von New Ross gelegenen Kloster ein verwahrlostes junges Mädchen auf, das ihn um Hilfe bittet.

In den so genannten Magdalenen-Wäschereien, betrieben von der katholischen Kirche, wurden seit den späten 1820er-Jahren bis ins Jahr 1996, „gefallene Mädchen“ – Prostituierte oder auch alleinstehende schwangere Mädchen – gefangen gehalten und zur Arbeit gezwungen. Wie viele Frauen dort im Lauf der Jahrzehnte gestorben sind, liegt bis heute im Dunkeln. In Bill Furlong reift die Erkenntnis, dass er nicht länger wegsehen darf.

Ein optimistisches Buch, letztendlich. Claire Keegan findet einen subtilen und eleganten Weg, um auf engem Raum sowohl die Verdrängungsmechanismen als auch einen inneren Erkenntnisprozess sichtbar zu machen.

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AUTOR/IN
SWR