Buch-Tipp

„Beethoven-Bilder“: Einblicke in die Physiognomie des Komponisten

Stand
Autor/in
Christoph Vratz

Wie sah Beethoven aus? Ein jetzt erschienenes Buch von Werner Busch und Martin Geck nimmt die unterschiedlichen Beethoven-Bildnisse genauer unter die Lupe und hinterfragt die Macht der Bilder.

Die Gefahr der Verklärung lauert oft, wenn die Wirklichkeit zum Ideal stilisiert wird. Dann rückt die Frage nach den eigentlichen Wahrheiten schnell in den Hintergrund. Zeigt die Mona Lisa wirklich „Mona Lisa“, bildet Rembrandts „Nachtwache“ tatsächlich eine Nachwache ab?

„Ikonische Bilder tendieren dazu, ihre Geschichtlichkeit zu verlieren. Sie scheinen als Identifikationsobjekte über den Dingen zu schweben. Ihre Entstehungsbedingungen werden verdrängt und schließlich vergessen, sie gewinnen […] etwas Unbedingtes, das zu hinterfragen sich geradezu verbietet.“

Joseph Stieler, dreieinhalb Jahrzehnte lang Hofmaler des bayerischen Königs, hat hauptsächlich Porträts hinterlassen. Darunter zwei Gemälde, die ungewöhnliche große Popularität erlangt haben: das eine zeigt Goethe (gemalt 1828), das andere Beethoven, ein Ölgemälde von 1820. In der Linken hält Beethoven einen Stift in der Hand, in der Rechten das Manuskript der „Missa solemnis“. Ernst, grimmig, fast steinern blickt er drein. Wild wallen seine Haare, flammend rot sein Schal, markant hell angeleuchtet hat Stieler Beethovens Stirn.

„Ungezählte Künstler- und Wissenschaftlerporträts bekunden so die geistige Erleuchtung des Genies. Der weite weiße Kragen seines Hemdes unterstreicht diese Konzentration auf das Gesicht. […] Der Hintergrund wird von dunklem Gebüsch gebildet, allein links oben dringt ein wenig Licht durch das Gesträuch. […] Der dramatische Ernst der Messe soll sich in Beethovens Gesicht spiegeln.“

Wer in diesen Tagen vor der Bonner Beethovenhalle, der derzeit berühmtesten Baustelle der Stadt, vorfährt, kann hinter Bauzäunen kaum erkennen, ob eines der Wahrzeichen der Stadt überhaupt noch steht: Klaus Kämmerichs Kunstwerk, das 1986 gefertigt wurde und Beethovens Gesicht zeigt – in unverkennbarem Bezug zu Stielers Gemälde. Was in der modernen Fassung ironisch gespiegelt erscheint, deutet auf einen wesentlichen Aspekt in Stielers Porträt hin: die Darstellung Beethovens als Titan.

„Bereits der junge Hector Berlioz hatte von Beethoven als Adler und Titanen geschwärmt; 1851 bemühte Richard Wagner die Metapher des Titanen in einer programmatischen Erläuterung der „Eroica“: Deren Kopfsatz spiegele einen „Titanen, der mit den Göttern ringt““

Zwei emeritierte Professoren, der Berliner Kunsthistoriker Werner Busch und der Dortmunder Musikwissenschaftler Martin Geck, haben ein ungewöhnliches, weil originelles Beethoven-Buch vorgelegt. In siebzehn, teils essayartigen Kapiteln durchschreiten sie die Beethoven-Rezeption von Willibrord Joseph Mählers Porträt aus dem Jahr 1803 über Ernst Barlachs Entwurf eines Beethoven-Denkmals 1926 bis zu Markus Lüpertz‘ „Monument“ von 2014, das zunächst im Bonner Stadtgarten enthüllt, später, leicht variiert, auch in Leipzig und Wien präsentiert wurde. Bis heute ist dieses Monument heftig umstritten. Werner Busch schreibt:

„Ist das ein Beethoven-Denkmal, eine Hommage à Beethoven? Der Künstler Markus Lüpertz würde das auf der Stelle bejahen. […] Man kann nicht umhin, die Lüpertz’sche Provokation für entschieden gelungen zu halten. In der Spannung von offiziellem Kunstbetrieb und aufgestachelter Volksmeinung richtet es sich der Künstler bequem ein, nicht ohne Fragen an den Betrieb, den geläufigen Kunstbegriff oder die Rezeptionsweisen gestellt zu haben. Auch dazu konnte Beethoven dienen.“

Martin Geck geht einen Schritt weiter. Er lenkt den Blick zunächst auf Lüpertz‘ Mozart-Hommage in Salzburg, die ähnlich verstörend gewirkt hat – und sieht darin einen Beleg für eine gezielt dekonstruierende Kunst:

„als Störung eines Diskurses, dessen Teilnehmer mit ihrem sogenannten gesunden Menschenverstand souverän über Sinn und Bedeutung eines Kunstobjekts entscheiden möchten. In diesem Sinne mag man bereits Mauricio Kagel einen Dekonstruktivisten nennen – nicht nur hinsichtlich seines „Ludwig van“, sondern etwa auch im Blick auf seine „Zehn Märsche, um den Sieg zu verfehlen“: Wer Noten lesen kann, sieht alsbald, dass sich zu dieser Musik für Bläser und Schlagzeug nicht marschieren lässt.“

Es sind Verzahnungen wie diese, kunst- und musikhistorische Einordnungen und epochenübergreifend ästhetische Betrachtungen, die dieses Buch so besonders machen. So auch im Kapitel über Antoine Bourdelles Gips-Skulptur „Beethoven am Kreuz“, in dem die großen Linien der französische Beethoven-Rezeption im 19. und 20. Jahrhundert gleich mit beleuchtet werden. Und immer schwingt die Frage mit: Welche Spuren für diese Rezeption hat Beethoven selbst gelegt?

„Die eigentliche Rezeptionsgeschichte gründet freilich in Beethovens eigenem Selbstbild. Seit jungen Jahren tritt der Komponist seiner Welt als Dulder und Retter entgegen. Schon das „Heiligenstädter Testament“ von 1802 verbindet die Rede von dem „heillosen“, „demütigenden“ und „endlos Leidenden Zustande“, in den ihn sein Gehörleiden versetze, mit der Vorstellung, mit seinen „Kunst-Fähigkeiten“ der Menschheit dienen zu dürfen und zu müssen.“

Dank der vielen Querverweise und überraschenden Bezüge ist ein sehr gehaltvolles, aber nie gelehrig wirkendes Buch entstanden. Busch und Geck arbeiten mit Freude und Akribie heraus, wie heterogen, wie umfassend und letztlich wie streitbar Beethoven als Mensch und als Musiker auf die bildenden Künstler gewirkt hat – über knapp zwei Jahrhunderte hinweg!

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Autor/in
Christoph Vratz