Eine germanische Frühlingsgöttin, die in den Sagen nicht vorkommt
Mit offen wallendem Haar schwebt sie über die deutschen Lande: die Frühlingsgöttin Ostara. In ihrer Hand hält sie ein blumengeschmücktes Szepter, um sie fliegen Vögel und springen Hasen, die ihr geweihten heiligen Tiere. Unter Ostaras Schutz grünt die Erde wieder auf und der Winter wird vertrieben.
Das Bild der Oster-Göttin findet sich in unzähligen Sagensammlungen, Schulbüchern und Lexika ... teilweise bis heute. Kurios, denn in den überlieferten Sagensammlungen des Mittelalters taucht die Göttin gar nicht auf.
Im Vergleich zu den Griechen wissen wir relativ wenig über den Götterkosmos der germanischen Völker. Als wichtigste Quellen dienen zwei Texte aus dem 13. Jahrhundert: die Lieder- und die Prosa-Edda.
Hier findet sich eine ganz andere Überlieferung zum Ende des Winters: Durch eine List des Gottes Loki wird der Gott Baldur durch einen Pfeil aus Mistelholz tödlich verwundet. Um ihn trauern alle Lebewesen und Pflanzen bis zu seiner Wiederkehr im Frühling.
Eine Zeile in einer mittelalterlichen Quelle ist das einzige Indiz für die Oster-Göttin
Tatsächlich findet sich nur eine einzige Quelle, die von einer Oster-Göttin spricht: Der englische Benediktiner Beda Venerabilis schreibt im 7. Jahrhundert eine Abhandlung über die Bestimmung der Ostertage. Er führt den angelsächsischen Namen des Ostermonats auf eine Göttin namens „Eostre“ zurück. Darüber hinaus gibt es keine Quellen, weder Texte noch Bildnisse mit einer Spur der Göttin.
Warum heißt Ostern in Frankreich „Pâques“ und in Deutschland „Ostern“?
Die Romantik macht aus „Eostre“ eine deutsche Volksgöttin
Auf diese mittelalterliche Quelle bezieht sich schließlich auch Jacob Grimm in seiner 1835 erschienen Sammlung „Deutsche Mythologie“. Analog zur englischen „Eostre“ schreibt er den Ostermonat einer germanischen Göttin „Ostara“ zu. Grimm mutmaßt, dass es sich um die Göttin des Morgens und der Auferstehung handeln könne.
Die Dichter der Romantik nehmen die Idee der wiederentdeckten Göttin begeistert auf: Ostara findet Einzug in ihre Sammlungen der deutschen Götter- und Heldensagen. Ihr wird der Hase als heiliges Tier und das Ei als Symbol der Wiedergeburt zugeschrieben. Auch in Ortsnamen glaubt man Beweise für die Verehrung der Göttin zu erkennen.
Auf der Suche nach einem deutschen Volksmythos bleibt Ostara dabei nicht die einzige sagenhafte Neuschöpfung: Man denke etwa an die Loreley, die bei St. Goarshausen auf dem Rheinfelsen ihr goldenes Haar kämmt, ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts.
Mit Ende des Zweiten Weltkrieg verschwindet der Kult um Ostara
Für die Nationalsozialisten ist die Oster-Göttin eine ideale Projektionsfläche einer völkisch-germanischen Mythologie. Mit dem Niedergang des Dritten Reiches landet Ostara mit anderen von den Nazis überhöhten Sagengestalten wie den Nibelungen im Giftschrank. Ab Mitte der 1950er-Jahre verschwindet Ostara immer weiter aus den Oster-Erzählungen.
Heutige Forschende zweifeln stark an der Existenz der Göttin. Es gibt zu wenige Quellen und zu viele Ungereimtheiten in der Herleitung. Bezog sich Beda Venerabilis in seinem Text vielleicht auf einen Beinamen der Göttinnen Freya oder Frigg? Verehrten die Angelsachsen vielleicht tatsächlich eine Urgöttin des Frühlings? Oder brachten die Römer einen Eos-Kult auf die Insel? Vielleicht stimmt auch nichts von alledem.
Die Spuren der Göttin Ostara, sie verschwinden in der Geschichte wie der letzte Schnee durch die Strahlen der Frühlingssonne.