Sorbische Ostereier  (Foto: IMAGO, IMAGO / Andreas Franke)

Kommentar

Auch ohne Ostern muss über die Sorben berichtet werden

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AUTOR/IN
Franziska Kiedaisch
Franziska Kiedaisch, Autorin und Redakteurin, SWR Kultur (Foto: SWR, Franziska Kiedaisch)

Alle Jahre wieder kommen die Sorben groß raus: An Ostern sind in den Medien dann schöne Bilder von der Minderheit mit Osterreitern, gemusterten Eiern und bunten Trachten zu sehen. Dass über die Sorben nicht häufiger berichtet wird, ist ein Skandal, meint SWR Kultur-Autorin Franziska Kiedaisch.

Bunte Eier und bunte Trachten als unverfängliche Hingucker

Wenn Ostern vor der Tür steht, begegnet man ihnen wieder überall: Sorbische Ostereier, sorbische Osterreiter und auch andere, weniger bekannte sorbische Osterbräuche wie etwa das Ostersingen oder das Osterwasser werden dann von der deutschen Presse dankend für die Berichterstattung herangezogen.

Man sieht bunte Eier, Frauen in bunter Tracht und bunt geschmückte Pferde. Männer in Zylinder und Gehrock verkünden zu lithurgischen Gesängen auf Obersorbisch – ja, es gibt zwei sorbische Sprachen! – die frohe Botschaft von der Auferstehung Jesu. Was für Bilder!

Eine Frau in Schleifer Traacht bemalt sorbische Ostereier im Heimatmuseum Lübbenau  (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance / dpa | Patrick Pleul)
Bunte Bilder zu Ostern: Eine Frau in Schleifer Tracht bemalt sorbische Ostereier im Heimatmuseum Lübbenau. Doch es gibt so viel mehr, was man als Mehrheitsgesellschaft von der Minderheit wissen sollte.

Für die Medien eignen sie sich gut, um einmal jährlich die kulturelle Vielfalt Deutschlands zu zelebrieren, auch um den medialen Bildungsauftrag zu erfüllen – und gleichzeitig die Sendung oder Seite mit netten, unverfänglichen Hinguckern zu versehen.

Dabei ist die anerkannte nationale Minderheit Deutschlands weitaus mehr als ein Folklore-Thema für die Medien.

Sorbische Kultur ist viel mehr als Ostern

Exotisierung heißt hier das Stichwort, denn wenn Ostern bei den katholischen Sorben eines nicht ist, dann ein hübsches Schauspiel für Touristen und Medien – es ist gelebte Kultur. Und sie beschränkt sich nicht auf Ostern. Wir sollten endlich damit aufhören, sorbische Kultur durch heimelige Gute-Laune-Berichte zu verniedlichen.

Was wir bei anderen Minderheiten gelernt haben nicht zu tun, trifft die Sorben nach wie vor mit voller Wucht.

Dabei sollte man sich vor Augen führen, dass sie als Angehörige eines im heutigen Deutschland sesshaft gewordenen Volks gerade von der deutschen Mehrheit seit Karl dem Großen in ihrem angestammten Heimatgebiet unterdrückt wurden.

Die Germanisierungstendenzen hörten auch danach nicht auf. Besonders schlimm waren sie während des Nationalsozialismus, als die Sorben kurzerhand zu „wendischsprachigen Deutschen“ verklärt und die flächendeckende Assimilation mit Sprachverboten vorangetrieben wurde.

Osterreiterweg in der Ortschaft Kotten bei Wittichenau  zweisprachiges Ortsschild in der Lausitz  (Foto: IMAGO, IMAGO / Andreas Franke)
In den Kernsiedlungsgebieten in Ober- und Niederlausitz finden sich zweisprachige Ortsschilder. Eine der Maßnahmen, um die Minderheit zu schützen. Die Rechte der Sorben sind unter anderem in den Landesverfassungen von Sachsen und Brandenburg festgeschrieben.

Die Energie-Politik der DDR und auch danach führte zur Abbaggerung ganzer sorbischer Dörfer für den Braunkohletagebau. Die Kultur, die dadurch zerstört wurde, kommt nicht wieder. Auch die politische Wende und der Wegzug vieler junger Menschen in größere Städte und den Westen Deutschlands machen der Minderheit mehr zu schaffen als der Mehrheitsgesellschaft.

Minderheitenschutz provoziert Neid – auch darüber sollte man einmal berichten

Die Folge: Die Sorben – ein Volk, das wegen des deutschen Verbots einer Volkszählung nicht klar numerisch umrissen werden kann – sind heute mit ihren rund 60.000 aktiven Sprecherinnen und Sprechern eine Minderheit im Osten Deutschlands.

Sie genießen seit der DDR-Zeit zwar einen gewissen Schutz, haben in den Siedlungsgebieten in der Ober- und Niederlausitz eigene Schulen und Kindergärten, eigene Zeitungen und auch öffentlich-rechtliche sorbischsprachige Radio- und Fernsehsendungen.

Doch gerade diese „Besonderheit“ führt auch zu etlichen Vorurteilen und bisweilen sogar Hass und Missgunst gegenüber Sorbinnen und Sorben, wie Untersuchungen bestätigen.

Sorbische Osterreiter  (Foto: IMAGO, IMAGO / Andreas Franke)
Sorbische Osterreiter ziehen durch die katholische Oberlausitz. Der Brauch wurde auch während der DDR geduldet, da der Panslawismus gegenüber der Sowjetunion entscheidender war als die Ablehnung von religiösen Traditionen durch die SED.

Angst vor der Bedeutungslosigkeit

Und die Sorben haben Sorgen: Vor schwindenden Sprecherzahlen und weniger Engagement aus den eigenen Reihen, vor einer zunehmend rechten Öffentlichkeit, gerade auch in den Siedlungsgebieten. Und davor, eines Tages nicht mehr von der Mehrheit geschützt zu werden – einfach, weil vielleicht kaum mehr jemand weiß, wer diese Minderheit ist.

Oder weil sie von der Mehrheitsgesellschaft nur noch als Eier bemalendes, Trachten tragendes und singendes „Völkchen“ wahrgenommen werden. Die Klischees, die in den Medien über die Sorben verbreitet und immer wieder erneuert werden, zeigen jedenfalls diese Tendenz deutlich auf.

Was bitte soll man an solch einer anachronistisch wirkenden Folklore noch schützen müssen? Und sind bekennende Sorbinnen und Sorben nicht eh unpopulärerweise sehr heimatverbunden, womöglich religiös und auch noch stolz darauf?, könnten böse Zungen dann behaupten.

Rechte Brandstifter vereinnahmen auch die Sorgen der Sorben

Es wird also allerhöchste Zeit, dass die Sorben auch außerhalb der Ostertage und sorbischsprachiger „Spezial“-Medien in Deutschland einen Platz erhalten. Dass wahrheitsgemäß und ohne Vorurteile – egal ob positiv oder negativ – über sie berichtet wird. Dass ihre Sorgen auch in den Mehrheitsdiskurs eingebracht, und damit ernst genommen werden.

Probleme müssen klar benannt werden, auch der Umstand, dass viele Sorben und Sorbinnen das Gefühl haben, nur durch den Abschluss nach Außen überhaupt eine Chance gegen das (sprachliche) Verschwinden zu haben.

Sorbische Osterreiter (Foto: IMAGO, IMAGO/lausitznews.de)
Quo vadis Berichterstattung? So wie es derzeit läuft, darf es nicht bleiben, mein SWR Kultur-Autorin Franziska Kiedaisch.

Denn eins ist klar: Wenn es nicht die demokratische Mehrheit tut, finden sich Brandstifter, die mit diesen Sorgen spielen. Absurderweise plakatiert die AfD seit geraumer Zeit in der Lausitz mit zweisprachiger Wahlwerbung und weiß gerade die konservativen Sorbinnen und Sorben damit durchaus anzusprechen.

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