Zeitwort

6.3.1935: Nazis verhaften das Mainzer Karnevalskomitee

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AUTOR/IN
Thomas Koch

Narrenfreiheit? Nicht bei den Nazis. Die Verhaftungen am Aschermittwoch 1935 waren als Einschüchterungsversuch gedacht.

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Der 6. März 1935 ist ein Aschermittwoch. Lang hat die diesjährige Fastnachtskampagne gedauert. Ein Grund mehr für die leitenden Angestellten der Mainzer Fastnacht, an diesem Tag auszuschlafen.

Doch in den Morgenstunden schellt es heftig an ihren Haustüren. Das Überfallkommando. Polizisten zerren die müden Narren aus den Federn. Ein Augenzeuge: „Im Haus des Präsidenten Henry Bender erschien der Mainzer Polizeidirektor selbst. Ohne Widerstand zu leisten, folgten der Präsident und sein Sohn der sogenannten „freundlichen Einladung“. Es wurde keine Zeit gelassen zum Rasieren, oder wie bei Martin Mundo, nicht einmal zum Waschen. Auch Seppel Glückert wurde beim Rasieren angetroffen und ließ es nach diesem Schreck mit der Säuberung der nur einen Backenhälfte genug sein.“

Martin Mundo und Seppel Glückert: zwei der führenden Repräsentanten der Mainzer Fastnacht, die kein Blatt vor dem Mund genommen hatten. So verglich Martin Mundo in der Bütt den Reichsmarschall Göring dreist mit einem Hering.

Und Seppel Glückert, ein bekennender Katholik, hatte bereits 1933 getextet:

Am Morgen des 6. März 1935 finden sich die versammelten Komiteeter des Mainzer Karneval Vereins im Mainzer Central Hotel wieder. In einem Nebenraum. Polizisten postieren sich zwischen die einzelnen Spaßmacher.

Denen ist das Lachen inzwischen vergangen. Sie haben keine Ahnung, warum sie verhaftet sind. Geschweige denn, was sie zu erwarten haben. Damit stellten die Nazis die Narrenfreiheit im Karneval in Abrede. Ein Recht, das bis ins 15. Jahrhundert verbrieft ist.

So schrieb bereits Erasmus von Rotterdam: „Wunderbarerweise bringt es dem Narren besondere Ehre ein, die offene Wahrheit zu sagen. Wenn dasselbe ein Weiser sagte, würde es ihm den Kopf kosten.“

Im Nationalsozialismus aber machte die Gleichschaltung auch vor dem Karneval nicht Halt. Führerlobpreisung ertönte aus mancher Bütt. Auch in den Umzügen fuhren propagandistisch genutzte Wagen.

In Mainz widersetzten sich zumindest die prominenten Redner der Gleichschaltung – wenngleich auch dort selbst Seppel Glückerts Protokolle sich nicht immer unbeeinflusst von der Nationalsozialistischen Propaganda zeigen.

Der Tonfall wird immer resignierter, bis der 2. Weltkrieg der Fastnacht ohnehin eine Zwangspause verschafft. Die Verhaftungsaktion vom Aschermittwoch des Jahres 1935 jedenfalls entpuppte sich als grober Scherz – und hässlicher Warnschuss.

Ratlos und verunsichert hatten die Komitee-Mitglieder am 6. März 1935 im Mainzer Centralhotel festgesessen, bis sich um 11.11 Uhr eine große Tür öffnete und der Gauleiter den Schutzhäftlingen gegenüberstand.

Er lud sie zu einem „Katerfrühstück“ ein. Als erster Besucher erschien der Mainzer Oberbürgermeister, Dr. Barth, diesmal streng: „Sie werden sich heute verantworten müssen!“. Darauf Präsident Bender: „Könne mer’s nit mit e‘ paar Jahr Ehrverlust abtun?“

Für die Nationalsozialisten ging die Aktion zunächst nach hinten los. Das Mainzer Bürgertum quittierte die Einschüchterungsaktion mit heller Empörung. Und Seppel Glückert textete in der Kampagne des nächsten Jahres unbeeindruckt:

Zeitwort 10.2.1823: Der erste Rosenmontagszug zieht durch Köln

Alaaf! Mit dem „Zoch“ wurden ab 1823 Suff und Wollust in geordnete Bahnen geführt. Noch immer steht der Kölner Rosenmontagszug für gebändigtes Vergnügen.

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