Mit der Hilfe von Virtueller Realität oder Virtual Reality (VR) werden Piloten ausgebildet, Immobilien besichtigt und Computerspiele gespielt. Viele Firmen bieten jetzt auch virtuelle Erlebnisse an, zum Beispiel einen Urlaub am Strand. Das soll den Urlaub günstiger und nachhaltiger machen und Zeit sparen. Doch wie gut funktionieren solche virtuellen Reisen?
Thomas Metzinger ist Philosoph und Neurowissenschaftler und hat zu VR geforscht. Er sieht in der Verwendung von VR eher Potenziale in anderen Lebensbereichen.
Mit VR-Headset in den Urlaub?
SWR1: Ist das wirklich möglich? Wir setzen für ein paar Stunden eine VR-Brille auf und sind danach so erholt, wie nach einem langen Wochenende an der Nordsee.
Thomas Metzinger: Das glaube ich nicht ganz, aber es ist dringend notwendig. Solche Entwicklungen sind wichtig wegen der rollenden Klimakatastrophe. Ob wir das wollen oder nicht, müssen wir die Zahl der Flugreisen senken. Das heißt, der Tourismus, so wie er läuft, kann einfach in der Zukunft nicht so weitergehen. Deswegen ist es wichtig, darüber nachzudenken.
Was am meisten noch fehlt in den virtuellen Realitäten, die wir heute so bauen, ist ein vollständiges Embodiment ("Verkörperung"). Das heißt, was schon sehr gut geworden ist, ist diese "Place Illusion", wie die Wissenschaftler das nennen. Dass ich das Gefühl habe, ich bin hier, ich bin einfach da und anwesend. Das geht gut mit hochauflösender Grafik.
Was man noch nicht so gut simulieren kann, ist das Selbstmodell, insbesondere die Bauchgefühle, die Innengefühle, also wie wir unseren Körper von innen spüren. Darum ist es immer so ein bisschen begrenzt. Es müssen ja ständig unsere Bewegungen auf unsere Sehwahrnehmung abgebildet werden. Wenn das ein bisschen ruckelt oder nicht ganz klappt, kann es einem auch mal ein bisschen schlecht oder schwindelig werden.
Die echte menschliche Begegnung, die kann man leider nicht ersetzen.
SWR1: Aber etwas Leckeres essen, ein Lama streicheln oder sich beim Bergsteigen auspowern, das geht noch nicht, oder?
Metzinger: Nein. Wir werden in der Zukunft ganz bestimmt intelligente Avatare haben, die hochauflösend sind und in natürlicher Sprache mit uns sprechen. Aber trotzdem werden wir wissen, dass das keine wirklichen Menschen sind, dass das keine echte Begegnung ist. [...] Das heißt, die echte menschliche Begegnung, die kann man leider nicht ersetzen und das Unvorhergesehene auch nicht so gut.
Mit Virtual Reality alte Erinnerungen neu erleben
SWR1: Könnte ich mit einer VR-Brille auch Urlaubserinnerungen schaffen?
Metzinger: Das wäre vielleicht noch viel schöner, wenn wir andere Arten des Fotografierens hätten oder des Aufbereitens von Erinnerungen mit Kindern und Verwandten. Dann könnten wir sie zum Beispiel in so einer virtuellen Realität vielleicht als begehbare Erinnerung zugänglich machen. [...] So könnten wir in unserer Vergangenheit sozusagen nochmal richtig anwesend sein. Möglicherweise kämen dann auch die Erinnerungen aus dem biologischen Gehirn besser wieder zum Vorschein.
Möglichkeiten von VR für Museen und Pflegeheime
SWR1: Die Firmen, die solche Reisen anbieten, sagen, sie werden ein Teil der Tourismusbranche werden. Denken Sie das auch?
Metzinger: Das kommt darauf an, denke ich, wie viel Serverleistung man da braucht und wie teuer die ganze Sache am Ende wird, mit dem enormen Energieverbrauch. Aber es gibt auf jeden Fall Nischen, in denen das tolle Möglichkeiten bietet. Zum Beispiel für Alte und Kranke, die sich nicht mehr bewegen können, für meine Mutter im Pflegeheim oder in Museen.
Stellen Sie sich mal vor, wir können alle Ausstellungen, die es in einem Museum nur für sechs Monate gibt, perfekt abfilmen und aufnehmen. Und diese Sammlung von Kunstwerken kann dann weltweit begangen werden. [...] Für die Kultur bietet es unglaublich viele Möglichkeiten.
Wir haben noch lange nicht ausgeschöpft, was für Möglichkeiten es da gibt.
Ob das so ist, dass der Massentourismus, wie wir ihn jetzt haben, komplett ersetzt wird durch VR-Technologie, das sehe ich noch nicht so ganz. Wir haben aber noch lange nicht ausgeschöpft, was für Möglichkeiten es da gibt.