Deutsche Nationalmannschaft der Frauen jubelt bei der EM (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance / Eibner-Pressefoto | Eibner/Memmler)

Hintergrund

Nach dem EM-Boom: Wie steht es um den Frauenfußball in Rheinland-Pfalz?

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Leon Sander

Die Fußball-EM der Frauen hat nicht nur einen medialen Hype ausgelöst. Der Frauenfußball ist im Aufwind. Was kommt von dieser Entwicklung in Rheinland-Pfalz an?

18 Millionen Zuschauer verfolgten die EM-Finalniederlage der deutschen Nationalmannschaft gegen England. Rekord für ein Fußballspiel der Frauen im deutschen Fernsehen. Ein Meilenstein der rapiden Entwicklung der vergangenen Jahre. Und von hier aus wird es nur weiter bergauf gehen. Das jedenfalls erwartet die UEFA: Einen Anstieg der Frauenfußball-Fans von 144 auf 328 Millionen bis 2033 nämlich. Mit dem europäischen Frauenfußball sollen dann 686 Millionen Euro im Jahr umgesetzt werden. Derzeit liegt der Umsatz bei 116 Mio Euro und würde sich damit versechsfachen. Das Klub-Sponsoring soll mit 295 Millionen pro Jahr vier Mal so groß werden wie aktuell.

Einer der Antreiber dieser Entwicklung ist England. 2018 wurde die englische Frauen-Liga professionalisiert. Die Spielerinnen trainieren in Vollzeit und die Infrastruktur des Frauen- und Mädchenfußballs wurde gestärkt. Jedes Team der Women's Super League hat einen großen Männerverein im Rücken, inklusive Jugendabteilungen. Nicht von ungefähr konnte England die Heim-EM gewinnen.

Frauenfußball im Aufwind: Auch in Deutschland?

Auf Seite der unterlegenen Deutschen stand Jule Brand von Beginn an auf dem Platz. Der fußballerische Werdegang der Pfälzerin zeigt die infrastrukturellen Probleme des Frauenfußballs in Deutschland und ganz besonders in Rheinland-Pfalz auf. Brand spielte zunächst in kleinen Vereinen der Region, bis sie in die Jugendabteilung der TSG Hoffenheim wechselte. Dort schaffte die Vize-Europameisterin den internationalen Durchbruch. Sie war den Strukturen in Rheinland-Pfalz bereits früh entwachsen.

Jule Brand aus Germersheim im EM-Finale der Fußball-EM der Frauen in England. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance/dpa | Sebastian Christoph Gollnow)
Jule Brand aus Germersheim im EM-Finale der Fußbal-EM der Frauen in England

Mit der SG 99 Andernach gibt es aktuell nur eine Mannschaft in Rheinland-Pfalz, die höherklassig spielt. Allerdings nur in der 2. Bundesliga. Im Oberhaus spielte seit der Insolvenz des renommierten SC 07 Bad Neuenahr im Jahr 2013 kein einziger Verein des Bundeslands mehr. Die ehemaligen Meister aus Wörrstadt und Niederkirchen spielen in der drittklassigen Regionalliga Südwest. Man muss aber auch beachten, dass Rheinland-Pfalz zu den kleineren Bundesländern gehört. Vertreten wird es durch den Südwestdeutschen Fußballverband (SWFV) und den Fußballverband Rheinland (FVR), ebenfalls Leichtgewichte im DFB.

Kleine Verbände, wenige Spielerinnen

Beide sind Flächenverbände. Sie sind stark ländlich geprägt, in diesen Regionen gibt es wenige Großstädte. Der Eifelkreis etwa ist riesig, dort gibt es aber keine größere Stadt. In diesen Regionen müssen viele kleine Dörfer erst Gemeinschaften bilden, um einen Verein zu formen. Bei den Männern und Junioren klappt das noch, aber bei den Juniorinnen- und Frauen-Mannschaften wird es dünn im ländlichen Raum.

Dies erklärt auch die statistischen Daten der Verbände zu den Frauenteams. Unter dem Dach des FVR gibt es insgesamt knapp 3.500 Fußballmannschaften. Wie viele davon bestehen aus Frauen und Mädchen? Nur knapp 200. Beim SWFV ist das Verhältnis noch deutlicher. Es steht bei etwa 5.500 zu 200. Auch die Anzahl der Spielerinnen ist ausbaufähig. 1.747 Frauen traten 2021/2022 im Südwestdeutschen Fußballverband gegen den Ball. Im Rheinland waren es 1.860. Es gab also nicht mal 4.000 Fußballerinnen im gesamten Bundesland. Bei vier Millionen Einwohnern ist das nicht mal ein Promille.

Daten zum Frauenfußball Rheinland-Pfalz (Quelle: SWFV, FVR & DFB)
SWFVFVR
Frauen-Vereine76n/a
Frauen-Mannschaften9190
Juniorinnen-Vereine38n/a
Juniorinnen-Mannschaften96109
Frauen (21/22)1.7471.860
Juniorinnen (21/22)2.5722.213

Hoffnung nach der EM

Allerdings besteht Grund zur Hoffnung, in beiden Verbänden ist etwas vom Aufschwung zu merken. So gab es beim SWFV in der Saison 2021/2022 1.548 Erstregistrierungen von Frauen und Juniorinnen. Im Vergleich dazu haben in der letzten Saison vor Corona 2018/2019 nur 891 Spielerinnen angefangen. Im Rheinland stiegen die Registrierungen für die gleichen Saisons von 686 auf 1.058. Außerdem ging auch schon vor Corona die Zahl der Mädchen-Teams stetig zurück. Zu dieser Saison stieg die Zahl allerdings von 93 auf 109, eine Erhöhung von über 17 Prozent.

Heimatverein Dudenhofen fiebert mit Jule Brand mit. (Foto: SWR)
Ein Mädchen verfolgt im Heimatverein Jule Brands die EM. Die Verbände hoffen auf gestiegenes Interesse beim Nachwuchs

Und darauf hatte die Europameisterschaft noch gar keinen Einfluss. Der Meldezeitraum ist von Mitte Mai bis Anfang Juni, also vor der EM im Juli. Die Verbände hoffen auf noch deutlichere Steigerungen zur nächsten Saison und geben an, den Wandel aktiv mitgestalten zu wollen. Gewinnung von Talenten und Erhaltung des Frauenfußballs stehe ganz gezielt auf der Agenda. Die Maßnahmen sind allerdings noch wenig konkret. Beim FVR stellt sich der zuständige Ausschuss gerade erst neu auf, das genaue Vorgehen muss erst erarbeitet werden. Und selbst dann fehlen einem der kleinsten Verbände im DFB die finanziellen Mittel, um große Kampagnen zu fahren. Der rheinländische Verband hofft dabei auf zentrale Unterstützung vom DFB und verweist beispielsweise auf dessen deutschlandweiten Tag des Mädchenfußballs.

Der SWFV wiederum ist bemüht, allen Juniorinnen und Frauen einen möglichst geregelten Spielbetrieb anzubieten. Hierfür werden kreis- und bezirksübergreifende Spielklassen gebildet. Beim DFB wird zum selben Zweck gerade über einen gemischten Spielbetrieb von Frauen und Männern diskutiert.

Wie der Südwestdeutsche Fußballverband von der EM profitieren will

"Der Boom wird wahrscheinlich nicht riesig sein, sondern eine leichte Aufwärtsentwicklung oder eine positive Entwicklung", sagt Bärbel Petzold im Interview mit SWR Sport. Sie ist die Vorsitzende des Frauen- und Mädchenausschusses des Südwestdeutschen Fußballverbands und selbst Meisterin von 1974 mit dem TuS Wörrstadt. Im Frauenbereich erwartet sie dabei kaum eine Änderung der Zahlen. Anders sähe es im Nachwuchsbereich aus. Im E-Jugend- und D-Jugend-Bereich seien schon jetzt neue Mannschaften dazugekommen. Sie erhofft sich, dass diese positive Entwicklung weitergeht, weil viele Mädchen durch die EM begeistert wurden.

Siegerfoto TuS Wörrstadt - Erster Deutscher Frauenfußball Meister 1974 (Foto: IMAGO, 0003528219)
Der erste Deutsche Frauenfußball-Meister 1974 - der TuS Wörrstadt mit Bärbel Petzold (1.v.v.r.)

Dafür müsse aber auch die nötige Infrastruktur geschaffen werden. Es brauche mehr Umkleiden, Plätze sowie mehr gut ausgebildete Trainer und Trainerinnen. Petzold dazu: "Es fehlt natürlich wie immer an Frauen, die mitarbeiten. Aber auch da machen wir seit drei, vier Jahren ein Leadership Programm, das vom DFB unterstützt wird. Dass wir Frauen ausbilden, die in den Vereinen Funktionen übernehmen. Die auch in den Verbänden Funktionen übernehmen. Und dann auch speziell für den Frauenfußball tätig sein werden."

Abwanderung von Talenten soll gestoppt werden

Diese Entwicklungen würden auch verhindern, dass Talente abwandern. So wie einst Jule Brand. Diese ist dabei lange kein Einzelfall. So verlassen beispielsweise regelmäßig die besten Mädchen den FC Speyer 09, wo B-Juniorinnen-Bundesliga gespielt wird, über die Landesgrenze Richtung Hoffenheim. Aus diesem Grund hat der SWFV bereits verbandsweit sogenannte Mädchenstützpunkte eingerichtet. Hier werden einmal die Woche die größten Talente zusätzlich zum Vereinstraining gefördert. Diese Stützpunkte sollen weiter ausgebaut werden. "Es gibt noch ganz, ganz viele Möglichkeiten", so Petzold.

"So ein Hype ist natürlich auch irgendwas, dass wir als Funktionär:innen was in der Hand haben, um den Vereinen ein bisschen Dampf, ein bisschen Mut zu machen, dass es auch gut und wichtig ist in den Mädchenfußball zu investieren."

Rheinland-Pfalz: Keine Frauenfußball-Hochburg

Ein weiteres Problem in Rheinland-Pfalz: Es besteht kein einziges großes Frauenteam eines etablierten Herrenvereins. Die größeren Frauenteams - zum Beispiel die SGG Andernach - sind komplett eigenständig. Der Viertligist FC Rot-Weiß Koblenz verfügt zwar über eine Frauenmannschaft, aber in der Kreisklasse, der tiefsten Liga. Die heutigen Oberligisten Eintracht Trier und TuS Koblenz hatten mal welche, aber das spielt dort heute keine Rolle mehr. In diesen Ligen ist in Zukunft auch nicht mit Kooperationen zu rechnen.

Aber wie sieht es bei den großen Profivereinen aus? Der 1. FC Kaiserslautern startete 2011 eine Kooperation mit dem ehemaligen Meister 1. FFC 08 Niederkirchen, um langfristig eine eigene Frauenabteilung zu etablieren. Daraus ist nichts geworden, die Kooperation ist eingeschlafen.

Mainz 05 steigt in den Frauenfußball ein

Jedoch gibt es eine positive und potenziell revolutionäre Entwicklung. Zu dieser Saison hat der 1. FSV Mainz 05 eine Kooperation mit dem Drittligisten TSV Schott Mainz gestartet, ganz kurz nach dem EM-Boom. Im Interview mit SWR Sport freut sich Christian Heidel, Vorstand von Mainz 05 und Mitinitiator der Kooperation, über das Timing: "Das hat sicher nicht geschadet. Weil schon viele Leute ihren Fokus jetzt auf die Frauenfußballspiele gelegt haben. So wie wir auch." Außerdem gibt er an, den Boom im Frauenfußball mitgestalten zu wollen: "Wir werden jetzt sehen, ob wir das gemeinsam mit Schott so hinbekommen, dass auch hier vielleicht in Mainz ein kleiner zumindest Boom entstehen kann."

In der Saison 2022/2023 unterstützt der FSV dabei organisatorisch, ab 2023/2024 sollen dann eigene Mannschaften den Spielbetrieb aufnehmen. Heidel zur Kooperation: "Wir nutzen die Erfahrung von Schott und Schott nutzt über Mainz 05 diese Strahlkraft und natürlich auch die finanziellen Möglichkeiten eines Fußballbundesligavereins."

Die Ziele: Nachhaltige Entwicklung und Bundesliga

Die Entwicklung soll nachhaltig sein mit Investitionen in Nachwuchsförderung und Infrastruktur. Dies soll die Bedingungen für die Fußballerinnen professionalisieren und fördern sowie eine Signalwirkung für die Region haben: "Wir hören immer wieder, dass auch in anderen Bundesligamannschaften Frauen spielen, die hier aus Mainz sind. Weil es in Mainz eben keine Möglichkeit gab. Jetzt sicherlich auch ein bisschen die Strahlwirkung von Mainz 05 nutzend, wollen wir einfach, dass diese Mädchen, diese Frauen jetzt zukünftig hier in Mainz bleiben. Weil sie wissen, hier ist jetzt ein ambitionierter Verein."

Diesen Anspruch beschreibt Heidel so: "Natürlich ist es unser Ziel, dass es jetzt möglichst schnell auch in Rheinland-Pfalz mal zwei Mannschaften geben wird, die in der 2. Bundesliga spielen und vielleicht irgendwann langfristig auch in der Bundesliga."

Diese Hoffnungen teilen Bärbel Petzold und der SWFV: "Für unseren Verband oder für den ganzen Südwesten, das schließt den Regionalverband natürlich ein, ist es ganz wichtig, dass wir auch in der 2. Bundesliga und eventuell auch später mal in der Bundesliga Vereine haben. Dass wir die großen Talente, die wir ja auch haben, dass wir die auch halten können." Sie hoffe, dass Mainz 05 langfristig am Ball bleibt. Denn es brauche auch Strukturen wie Nachwuchsteams sowie Trainer, Physios oder Mediziner. Dies verspricht auch Heidel: "Unser Ziel ist es schon, den Frauenfußball jetzt hier in Mainz zu fördern, zu platzieren und natürlich auch auszubauen."

Erste Erkenntnisse in der Winterpause

Könnte das der Katalysator für die Entwicklung des Frauenfußballs in Rheinland-Pfalz sein? Gerade sind die Voraussetzungen gut, die Nachfrage steigt. Auch die Verbände und Vereine haben dies erkannt. Ob der Fußball in Rheinland-Pfalz davon profitieren kann oder ob der Hype verpufft, zeigt sich vielleicht schon in der Winterpause. Dann wird die Anzahl der Spieler- und Spielerinnen erstmals ausgewertet. Dann lässt sich erahnen, welchen Einfluss die EM auf die Strukturen in Rheinland-Pfalz hatte. Und ob in Zukunft die nächste Jule Brand nicht mehr die Region verlassen muss.

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