Eine Illustration von Hominiden, die am Ufer des ehemaligen Sees Hula Luciobarbus longiceps, einen großen Karpfenfisch der Familie Cyprinidae, erbeuten und kochen (gezeichnet von Ella Maru).

Paläontologie

Gegart, statt roh: Auch Steinzeitmenschen kochten ihr Essen

Stand
INTERVIEW
Prof. Thomas Tütken, Universität Mainz
MODERATOR/IN
Ralf Caspary
Ralf Caspary
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Lena Schmidt

Bereits der Homo Erectus garte sein Essen. Den Beweis dafür lieferte nun ein internationales Forschungsteam. Bislang war unklar, wann genau der Mensch mit dem Kochen begonnen hat.

Ralf Caspary im Gespräch mit dem Paläontologen Prof. Thomas Tütken, Universität Mainz.

Lachs, Hering und Thunfisch gelten heute als beliebte Speisefische. Doch auch vor 780.000 Jahren stand gekochter Fisch als wertvolle Nahrungsquelle beim Menschen auf dem Speiseplan – und das spielt für den evolutionären Erfolg der menschlichen Spezies eine ganz wichtige Rolle.

Denn je besser und energiereicher die Nahrung, desto besser konnte sich das Gehirn entwickeln. Bislang war jedoch unklar, ab wann genau der Frühmensch Nahrungsmittel zum Beispiel garte.

Ein internationales Forschungsteam unter Leitung der Universität in Tel Aviv konnte jetzt ein neues Zeitfenster ermitteln. Auch der Paläontologe Thomas Tütken von der Universität Mainz war Teil der Forschung.

Der frühe Mensch kochte schon vor 780.000 Jahren. Ist das ein überraschendes Ergebnis?

Thomas Tütken: Ja und Nein. Es ist wichtig zu wissen, dass nicht der Homo Sapiens als unsere Spezies da gekocht hat, sondern der Homo Erectus – ein Vorfahre des Homo Sapiens in der Altsteinzeit. Das ist insofern nicht komplett überraschend, da kontrolliertes Feuer schon seit 1,5 Millionen Jahren genutzt wird. Dadurch lag schon seit Längerem die Vermutung nahe, dass das Kochen schon früher entstanden ist, als der Homo Sapiens existiert.

Dennoch sind die ersten, unumstößlichen Belege für die Kochgewohnheiten unserer Spezies und des noch teilweise parallel existierenden Neandertalers gerade mal 170.000 Jahre alt. Durch die Forschungsergebnisse haben wir mit dem etwa 800.000 Jahre alten Fund jetzt ein neues Zeitfenster, das vom Faktor vier in die Vergangenheit zurückreicht.

Also handelt es sich beim ‚Koch‘ sicher um den Homo Erectus?

Thomas Tütken: Mutmaßlich. Wir haben leider an der Fundstelle keine Skelette gefunden. Und unser Stammbaum wird immer komplexer. Es werden neue Gattungen und Arten entdeckt. Erst kürzlich wurde der Nobelpreis an Svante Pääbo verliehen, der mittels alter DNA vor über einem Jahrzehnt den Denisova-Menschen dem menschlichen Stammbaum hinzugefügt hat.

Zu der Zeit des Fundes – vor 800.000 Jahren – war jedoch die Spezies eigentlich der Homo Erectus. Die Schlussfolgerung ist plausibel, da es den Neandertaler und auch den Homo Sapiens dort zu der Zeit nicht gab und wenn, dann erst in Europa.

Lage der archäologischen Fundstelle Gesher Benot Ya'aqov (GBY) auf der Wanderroute von Homo erectus heraus aus Afrika.
Lage der archäologischen Fundstelle Gesher Benot Ya'aqov (GBY) auf der Wanderroute von Homo Erectus heraus aus Afrika.

Was kochte der Mensch damals? Wenn man überhaupt von Kochen sprechen kann?

Thomas Tütken: Kann man! Denn die Definition von Kochen, so wie wir sie in der Publikation definieren, meint ein kontrolliertes Erhitzen, was 500 Grad nicht überschreitet. Offensichtlich haben die frühen Menschen es geschafft, Essen zu erhitzen, ohne dass es verbrennt – obwohl sie weder Töpfe noch Pfannen hatten. Kochgefäße, wie wir sie kennen, gab es damals noch nicht. Es gab keine Keramiken oder Ähnliches, das muss man sich vor Augen führen.

Das heißt, der Homo Erectus muss irgendwie anders gekocht haben. Wie genau er jedoch gekocht hat, darüber können wir nur mutmaßen. Denn dafür gibt es noch keine direkten Belege.

Wofür es allerdings Belege gibt, ist, dass die Frühmenschen Fische – große Barben von bis zu einem Meter – selektiv gefangen haben, das ganze Jahr. Und offensichtlich haben sie diese Fische auch vor Ort gekocht. Denn es wurden sehr viele Fischzähne an Stellen gefunden, wo früher scheinbar Feuerstellen waren. Was ungewöhnlich ist: Wir haben nur Zähne gefunden und kaum Knochen. Hätten die frühen Menschen den ganzen Fisch ins Feuer geworfen, würden wir verkohlte Knochen finden.

Das ist ein Indiz für das kontrollierte Erhitzen. Grundsätzlich hätten Knochen die Zeit überdauern können. Doch bei geringer Temperatur sind die Knochen so weich geworden, dass sie vergangen sind und nur die harten, hochmineralisierten Zähne erhalten blieben.

Und der letzte Baustein im Puzzle, der ganz entscheidend ist, ist, dass wir nachweisen konnten, dass die Fischzähne erhitzt wurden. Nicht alle, aber viele und nicht über 500 Grad.

Dr. Irit Zohar hält den Schädel eines modernen Karpfens in den Händen. Der Karpfenschädel stammt aus den naturhistorischen Sammlungen des Steinhardt Museums für Naturgeschichte der Universität Tel Aviv.
Dr. Irit Zohar, Leiterin des Forschungsteams, hält den Schädel eines modernen Karpfens in den Händen. Der Karpfenschädel stammt aus den naturhistorischen Sammlungen des Steinhardt Museums für Naturgeschichte der Universität Tel Aviv.

Kann man daraus mit Sicherheit schließen, dass damals gekocht wurde?

Thomas Tütken: Richtig. Das kontrollierte Erhitzen der großen Fische, die selektiv geangelt wurden, hat dort stattgefunden. Wir wissen das auch deswegen, weil außerdem eine natürliche Totengemeinschaft an Fischen gefunden wurde. In dieser Schicht finden Sie viel mehr Arten an Fischen, auch kleinere Fische und keine erhitzten Fische.

Lebte der Homo Erectus damals am Wasser?

Thomas Tütken: Ja und Nein. Wir haben dort nicht den Lebensort gefunden, aber Kulturschichten. Die Vorfahren des Homo Sapiens haben dort Feuerstellen gehabt und auf jeden Fall temporär dort gelebt. Und das anscheinend als Jäger und Sammler nicht nur zu einem kurzen Zeitpunkt, sondern über das Jahr verteilt immer wieder. Das haben wir an der Universität Mainz herausgefunden.

Wir konnten mit einem chemischen Thermometer zeigen, dass die Fische zu jeder Jahreszeit gefangen wurden und dann offensichtlich dort verspeist worden sind.

Der Homo Erectus ist schon vor 1,8 Millionen Jahren von Afrika aus in Richtung Europa gezogen und könnte dort auch am Fundort, einem Bereich des heutigen Israel, entlang gekommen sein. Das war eine Art Migrationskorridor in Richtung Europa. Und dort haben die menschlichen Vorfahren dann möglicherweise in solchen Feuchtgebieten wie dem ehemaligen See von Hula, wo das Wasser ziemlich flach war, gefischt. Denn das war ziemlich einfach und nahrhaft – und dann gekocht noch nahrhafter.

Das Bild zeigt den Jordan im nördlichen Israel.
Die Fundstätte Gesher Benot Ya’aqov liegt im nördlichen Teil von Israel am Jordan.

Was zeigen die Ergebnisse in Bezug auf die Intelligenz dieses Frühmenschen und in Bezug auf Kultur?

Thomas Tütken: Wir haben zum einen die Nutzung von Steinwerkzeugen, die dann noch relativ einfach gestaltet waren, schon seit über 1,8 Millionen Jahren. Und wir haben zum anderen die Nutzung von Feuer, schon seit mindestens 1,5 Millionen Jahren. Hier kommt nun beides zusammen.

Es fanden sich dort auch Flint-Artefakte, die sicher auch als Werkzeuge genutzt wurden, um Fische oder auch anderes Jagdwild und Pflanzen dort zu verarbeiten und zu Nahrungszwecken zu nutzen. Außerdem wurde sicher in Gruppen gezielt gefischt und gejagt. Und es wurden Feuer kontrolliert zur Speisezubereitung genutzt, was jetzt die neue Erkenntnis ist.

Das Bild zeigt einen Feuerstein.
Flint, eine Gesteinsart, die auch Feuerstein genannt wird, wurde bereits früh als Werkzeug genutzt.

Die Intelligenz war sicher da. Die Gehirngröße unterscheidet sich nicht großartig von heute. Hier in Mainz wird jetzt weiter untersucht, welche Rolle die Ernährung gespielt hat. Die Hypothese: Der Konsum von Fleisch und Fisch, also von proteinreicher Nahrung, hat dazu beigetragen, das hochenergetische und energieverbrauchende Gehirn aufzubauen. Und natürlich in seiner Größenentwicklung auch zu beeinflussen.

Das waren sicher intelligente Jagdbeuter, die Natur und Feuer beherrschten und eben Tiere, wie die Barbenfische, ausgebeutet haben.

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