Notenblatt, tags: Songtexte, einfacher, selbstbezogener (Foto: IMAGO, Pond5 Images)

Musik für Millionen

Songtexte werden immer einfacher und selbstbezogener – aber warum?

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Julia Nestlen
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Martina Janning, Leila Boucheligua

Früher klangen Songs anders, heute sind die Songtexte einfacher und selbstbezogener. Forschende haben Musik aus den letzten 40 Jahren gecheckt und nach Gründen gesucht.

Songtexte sind simpler geworden und wütender. Ein Forschungsteam um Eva Zangerle hat 12.000 englischsprachige Songs aus den vergangenen vier Jahrzehnten analysiert und nach Gründen gesucht, warum Songs heute anders klingen. Ihre Studie ist jetzt im Fachmagazin Scientific Reports erschienen.

Die ersten Sekunden müssen überzeugen

In vielen der untersuchten Songs kommen über die letzten 40 Jahre weniger verschiedene Wörter und mehr Wiederholungen vor. Einzelne Zeilen und ganze Refrains wiederholen sich immer öfter und es gibt auch insgesamt mehr Refrains. Beispielsweise starten heute viele Songs direkt mit dem Refrain.

Der Grund: Wir hören Musik heute anders und kaufen sie auch anders. Früher LPs, dann CDs, heute wird gestreamed. Untersuchungen zeigen, dass die ersten 10 bis 15 Sekunden überzeugen müssen, sonst wird weitergeklickt.

Songs mit Strukturen, die einfach zu verstehen sind, sind möglicherweise auch besser auf dem Musikmarkt zu verkaufen. Das Forschungsteam vermutet, dass wir Musik heute einfach anders hören – mehr im Hintergrund und weniger bewusst. Die Zeiten, in denen ein Bob Dylan einen Literaturnobelpreis für das Songwriting bekommt, weil er so poetische Texte schreibt, sind eher vorbei.

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Songtexte sind selbstbezogener oder vielmehr persönlicher

Die Songtexte seien über die Jahre auch selbstbezogener geworden, resümieren die Forschenden. Das könnte man aber auch "persönlicher" nennen. Die Worte "mein" und "ich" kommen heute häufiger als früher vor.

Angesehen hat sich das Forschungsteam aber auch, wie viele emotionsgeladene Wörter vorkommen. Das Ergebnis: Über die Jahre fanden sie statt positiven, freudigen Texten immer mehr Songtexte zu Wut, Abscheu und Traurigkeit.

Das könne ein Spiegel der Gesellschaft sein. Denn die meisten Menschen hören am liebsten Musik, mit der sie etwas anfangen können, mit der sie sich identifizieren. Inhaltlich ist das Lieblingsthema weiterhin Beziehungen. Aber es geht heute mehr um Sex als früher.

Bei Rock wird lieber in die Vergangenheit geschaut

Die Forschenden haben sich auch angeschaut, welche Songtexte oft nachgeschlagen werden. Dabei zeigte sich: Rock-Fans mögen vor allem die Texte älterer Songs oder lesen diese gerne mit, Country-Fans eher neuere.

Das könnte damit zusammenhängen, dass Rock-Fans sich gerne an die besseren Zeiten des Rock erinnern. Früher standen Rocksongs häufig weiter oben in den Charts als heute.

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