Bildung

Lehrkräfte versuchen Migrationshintergrund durch leicht bessere Noten auszugleichen

Stand

Von Autor/in Anja Braun

Schüler mit Migrationshintergrund sind oft durch Sprachprobleme und geringes Familieneinkommen benachteiligt. Eine Studie zeigt: Lehrer gleichen dies durch etwas bessere Noten aus.

Das Forschungsteam aus Essen war überrascht. Denn die neue Studie zeigt: Kinder mit Migrationshintergrund werden von Lehrkräften tendenziell etwas besser bewertet. „Und tatsächlich finden wir das gleiche auch für Kinder aus bildungsfernen Haushalten. Also auch sie werden - im Verhältnis zu diesem Test- von den Lehrkräften tendenziell besser bewertet.“ So Julia Bredtmann, die die Studie geleitet hat.

Die Expertinnen und Experten wollten herausfinden, wie die Rolle der Lehrkräfte im Verhältnis zu den Kindern mit Migrationshintergrund ist. Ob es eventuell eine Diskriminierung der Kinder durch Noten gibt - also, dass Lehrkräfte möglicherweise schlechtere Noten vergeben als es die Leistung der Kinder tatsächlich widerspiegelt.

Ein Lehrer sitzt vor einem Schüler und blickt auf dessen Arbeit. Lehrkräfte versuchen Kinder mit Migrationshintergrund leicht besser zu bewerten.
Ob Lehrkräfte Kinder mit Migrationshintergrund objektiv bewerten wurde nun in einer Studie untersucht.

Wie objektiv bewerten Lehrkräfte ihre Schüler?

Um das zu prüfen, hat das Team Daten des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen kurz IQB genutzt, die seit 2008 regelmäßig in der vierten und neunten Klasse deutschlandweit erhoben werden.

Dabei waren zwei Informationen besonders wichtig: „Zum einen Informationen zu den Halbjahresnoten, die eben durch die Lehrkräfte vergeben werden und die ja zumindest zu einem Teil subjektiv sind und potenziell von Diskriminierung beeinflusst sein können“, erklärt Bredtmann.

Und zum anderen die Ergebnisse standardisierter Leistungstests in den Fächern Deutsch und Mathematik. Diese Tests wurden anonym bewertet, sodass die Lehrkräfte nicht wussten, welche Kinder die Aufgaben gelöst hatten.

 

Eine Schülerin mit Kopftuch symbolbildlich für Kinder mit Migrationshintergrund, die bessere Noten erhalten.
Besonders Kinder mit Migrationshintergund sind häufig durch Sprachprobleme und geringes Familieneinkommen benachteiligt.

Leistungsstarke Kinder erhalten geringfügig bessere Noten

Das Ergebnis zeigt: Gerade in Klassen mit vielen leistungsschwachen oder sozial benachteiligten Schulkindern bewerten Lehrkräfte Kinder mit Migrationshintergrund und solche aus bildungsfernen Familien gerne etwas besser. Diese Tendenz ist besonders bei den etwas leistungsstärkeren Kinder ausgeprägt. In der Regel gaben Lehrkräfte das kleine Notenplus besonders gerne, wenn die Kinder zwischen zwei Noten standen.

Insgesamt geht es jedoch um ein recht geringes Notenplus - im Schnitt sind es 0,2 Prozentpunkte einer Note. Warum sich die Lehrkräfte so verhalten, hat die Studie nicht erfragt. Doch es gibt eine Hypothese, wie Julia Bredtmann schildert: „Dadurch, dass wir aber eben sehr ähnliche Ergebnisse für Kinder mit Migrationshintergrund und bildungsferne Kinder finden, ist unsere Hypothese, dass Lehrkräfte - sei es bewusst oder unbewusst - eben bei der Bewertung versuchen, soziale Nachteile auszugleichen.“

 

Ein Jahreszeugnis. Die RWI Studie zeigte, dass Lehrkräfte besonders zur besseren Note tendierten, wenn Kinder mit Migrationshintergrund zwischen zwei Noten standen.
Besonders wenn die Kinder zwischen zwei Noten standen tendierten Lehrkräfte zur besseren Note.

Damit helfen die Lehrkräfte den Kindern aber nicht immer

Nutzt diese bessere Bewertung den Schülerinnen und Schülern? Im Sinne von Ansporn und Unterstützung? Bessere Noten sind eigentlich immer vorteilhaft, sagt die Bildungsforscherin Bredtmann. Allerdings verfälsche diese Notenvergabe das Leistungsfeedback und könne auch dazu führen, dass sich ein Kind weniger anstrengt.

Zum anderen müsse das Verhalten der Lehrkräfte tatsächlich untersucht werden. Denn wenn es daher komme, dass sie geringere Erwartungen an die Kinder haben, dann könne es auch quasi zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung kommen. „Wir wissen aus anderen Studien, dass sich geringe Erwartungen negativ auf den Kompetenzerwerb von Kindern auswirken. Insofern bleibt es am Ende quasi eine offene Frage, ob diese wahrscheinlich gut gemeinte Praxis sich am Ende positiv auf die Kinder auswirkt.“

Die Schule brennt – der Bildungspodcast mit Bob Blume Aladin El-Mafaalani: Schüler mit “Migrationshintergrund“? – Warum der Begriff in der Bildung nichts bringt | Highlight-Folgen (3)

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Aladin El-Mafaalani ist Prof. für Migrations- und Bildungssoziologe an der TU Dortmund. Mit Bob spricht er über seine eigene durchwachsene Schulzeit und seine Thesen zur Verbesserung des Schulsystems. (SWR 2023)
Bücher von Aladin El-Mafaalani
Das Integrationsparadox: Warum gelungene Integration zu mehr Konflikten führt. 2018
Mythos Bildung: Die ungerechte Gesellschaft, ihr Bildungssystem und seine Zukunft. 2020
Bei Fragen und Anregungen schreibt uns: dieschulebrennt@auf-die-ohren.com
Wir nutzen die Sommerferien, um noch einmal einige Folgen zu präsentieren, die auf besonders große Resonanz gestoßen sind. Ab September 2024 geht es dann weiter mit neuen Folgen von "Die Schule brennt".

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Prof. Silvia-Iris Beutel lehrt Schulpädagogik und Allgemeine Didaktik an der TU Dortmund und wirkt beim Deutschen Schulpreises mit.
Anregungen oder Fragen? Schreibt uns: dieschulebrennt@auf-die-ohren.com
Angesprochene "Die Schule brennt"-Folgen
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https://www.ardaudiothek.de/episode/die-schule-brennt-der-bildungspodcast-mit-bob-blume/ferdinand-stebner-was-genau-ist-selbstreguliertes-lernen/swr/13433129/
Anke Langner: Individuelles Lernen an der Universitätsschule Dresden
https://www.ardaudiothek.de/episode/die-schule-brennt-der-bildungspodcast-mit-bob-blume/anke-langner-individuelles-lernen-an-der-universitaetsschule-dresden/swr/13358825/
Weiterführende Literatur
Silvia-Iris Beutel, Katrin Höhmann, Michael Schratz, Hans Anand Pant (Hrsg.): Handbuch Gute Schule. Sechs Qualitätsbereiche für eine zukunftsweisende Praxis
Beutel, Silvia-Iris; Xylander, Birgit: Gerechte Leistungsbeurteilung. Impulse für den Wandel
Silvia-Iris Beutel/Hans Anand Pant: Lernen ohne Noten. Alternative Konzepte der Leistungsbeurteilung
Silvia Iris Beute, Ramona Lau, Michaele Geweke u.a.: Bildung für nachhaltige Entwicklung - Ein Leitfaden für eine wirkungsorientierte Transformation von Schule und Unterricht. Ratgeber