Das Forschungsteam aus Essen war überrascht. Denn die neue Studie zeigt: Kinder mit Migrationshintergrund werden von Lehrkräften tendenziell etwas besser bewertet. „Und tatsächlich finden wir das gleiche auch für Kinder aus bildungsfernen Haushalten. Also auch sie werden - im Verhältnis zu diesem Test- von den Lehrkräften tendenziell besser bewertet.“ So Julia Bredtmann, die die Studie geleitet hat.
Die Expertinnen und Experten wollten herausfinden, wie die Rolle der Lehrkräfte im Verhältnis zu den Kindern mit Migrationshintergrund ist. Ob es eventuell eine Diskriminierung der Kinder durch Noten gibt - also, dass Lehrkräfte möglicherweise schlechtere Noten vergeben als es die Leistung der Kinder tatsächlich widerspiegelt.

Wie objektiv bewerten Lehrkräfte ihre Schüler?
Um das zu prüfen, hat das Team Daten des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen kurz IQB genutzt, die seit 2008 regelmäßig in der vierten und neunten Klasse deutschlandweit erhoben werden.
Dabei waren zwei Informationen besonders wichtig: „Zum einen Informationen zu den Halbjahresnoten, die eben durch die Lehrkräfte vergeben werden und die ja zumindest zu einem Teil subjektiv sind und potenziell von Diskriminierung beeinflusst sein können“, erklärt Bredtmann.
Und zum anderen die Ergebnisse standardisierter Leistungstests in den Fächern Deutsch und Mathematik. Diese Tests wurden anonym bewertet, sodass die Lehrkräfte nicht wussten, welche Kinder die Aufgaben gelöst hatten.

Leistungsstarke Kinder erhalten geringfügig bessere Noten
Das Ergebnis zeigt: Gerade in Klassen mit vielen leistungsschwachen oder sozial benachteiligten Schulkindern bewerten Lehrkräfte Kinder mit Migrationshintergrund und solche aus bildungsfernen Familien gerne etwas besser. Diese Tendenz ist besonders bei den etwas leistungsstärkeren Kinder ausgeprägt. In der Regel gaben Lehrkräfte das kleine Notenplus besonders gerne, wenn die Kinder zwischen zwei Noten standen.
Insgesamt geht es jedoch um ein recht geringes Notenplus - im Schnitt sind es 0,2 Prozentpunkte einer Note. Warum sich die Lehrkräfte so verhalten, hat die Studie nicht erfragt. Doch es gibt eine Hypothese, wie Julia Bredtmann schildert: „Dadurch, dass wir aber eben sehr ähnliche Ergebnisse für Kinder mit Migrationshintergrund und bildungsferne Kinder finden, ist unsere Hypothese, dass Lehrkräfte - sei es bewusst oder unbewusst - eben bei der Bewertung versuchen, soziale Nachteile auszugleichen.“

Damit helfen die Lehrkräfte den Kindern aber nicht immer
Nutzt diese bessere Bewertung den Schülerinnen und Schülern? Im Sinne von Ansporn und Unterstützung? Bessere Noten sind eigentlich immer vorteilhaft, sagt die Bildungsforscherin Bredtmann. Allerdings verfälsche diese Notenvergabe das Leistungsfeedback und könne auch dazu führen, dass sich ein Kind weniger anstrengt.
Zum anderen müsse das Verhalten der Lehrkräfte tatsächlich untersucht werden. Denn wenn es daher komme, dass sie geringere Erwartungen an die Kinder haben, dann könne es auch quasi zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung kommen. „Wir wissen aus anderen Studien, dass sich geringe Erwartungen negativ auf den Kompetenzerwerb von Kindern auswirken. Insofern bleibt es am Ende quasi eine offene Frage, ob diese wahrscheinlich gut gemeinte Praxis sich am Ende positiv auf die Kinder auswirkt.“