Sascha Feuchert sieht große Versäumnisse in den deutschen Schulen beim Unterricht über den Holocaust und das Dritte Reich. Seit Jahren leitet der Professor der Universität Gießen die Arbeitsstelle für Holocaustliteratur und kritisiert, dass Jugendliche immer weniger über die Verbrechen der Nationalsozialisten wissen. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, wie sich das ändern lässt.
Das Interesse ist zwar da, doch Jugendliche wissen immer weniger über den Holocaust
SWR Wissen: Wie viel wissen Jugendliche in Deutschland derzeit über den Holocaust?
Sascha Feuchert: Uns zeigen Studien schon seit mehreren Jahren, dass es im Hinblick auf das Wissen zum Holocaust bei den jüngeren Generationen in Deutschland nicht gut aussieht. Und wir können sogar feststellen, dass die Wissenslücken immer größer werden. Gleichzeitig weist eine aktuelle Studie nach, dass Jugendliche gerne mehr über den Holocaust wissen würden. Und auch daran merken wir natürlich, dass da bei der Vermittlung des Wissens, auch in den Schulen, irgendwas nicht stimmt, dass da etwas im Argen liegt.

SWR Wissen: Was machen Schulen derzeit falsch?
Sascha Feuchert: Erstmal ist es so, dass noch immer viele Lehrerinnen und Lehrer mit dem Thema Holocaust in ihrem Studium kaum in Berührung kommen. Und sie lernen auch nicht unbedingt, wie man dieses Wissen vermittelt. Über die Verbrechen der Nationalsozialisten lernen Jugendliche derzeit vor allem im Geschichtsunterricht. Dort erfahren sie oft Fakten und Zahlen, die ihnen abstrakt vorkommen können. Sinnvoll ist es, den Schülern das Thema auch über einzelne Schickale näher zu bringen – das fördert die Empathie und macht die Geschichte greifbar. Da wäre z.B. ein fächerübergreifender Unterricht mit Deutsch sehr sinnvoll.

80 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz sind Zeitzeugengespräche kaum noch möglich
SWR Wissen: Welche Rolle spielt es, dass es heute kaum noch Zeitzeugen gibt, die in den Schulen ihre Geschichten erzählen können?
Sascha Feuchert: Zeitzeugengespräche stellen Nähe her, sie haben Empathie ermöglicht. Und das findet eben schon seit einigen Jahren immer seltener statt in den Schulen. Da bricht also auch eine wichtige Säule in der Holocaust-Education weg.
SWR Wissen: Eine wichtige Säule sind auch die Besuche in den Gedenkstätten, zum Beispiel in den ehemaligen Konzentrationslagern. Was können Jugendliche dabei lernen?
Sascha Feuchert: Wenn Gedenkstättenbesuche gut vorbereitet werden – und das ist wirklich das A und O – dann haben sie eine enorme Wirkung. Dann führen sie dazu, dass die Schüler sich ganz anders mit dem Thema auseinandersetzen, einen eigenen Bezug herstellen – und das nachhaltig. Wenn man aber zum Beispiel nach Buchenwald fährt und nur durchgeschleust wird, können auch die Gedenkstätten nicht heilen, was in der Vorbereitung und im Unterricht versäumt wurde.

Verpflichtende KZ-Besuche als Teil des Lehrplans?
SWR Wissen: Wäre es sinnvoll, wenn Schüler zu einem Besuch in einer Gedenkstätte verpflichtet werden würden – wie es zum Beispiel derzeit in Rheinland-Pfalz diskutiert wird?
Sascha Feuchert: Da bin ich sehr skeptisch. Verpflichtung löst immer auch Abwehr aus. Wir brauchen uns nur an unsere eigene Schulzeit zu erinnern. Alles was verpflichtend war, hat man erstmal mit einer Skepsis und einer ablehnenden Haltung betrachtet. Wenn man jetzt nur die Gedenkstättenbesuche verpflichtend macht, dann ist das ein politischer Schnellschuss und auch Augenwischerei. Die Politik muss an die Rahmenbedingen ran: Zeit für Vor- und Nachbereitung im Unterricht ermöglichen, Ausbildung der zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer zu gedenkstättenpädagogischen Konzepten sicherstellen.