Mädchen hält ein gemaltes Bild mit einem traurigen Mädchen vor das Gesicht. In der anderen Hand ein fröhliches Gesicht. - Seine Emotionen zu erkennen ist gar nicht so einfach und wird in den Schulen kaum behandelt. (Foto: IMAGO, /Shotshop)

Neue Studie

Emotionale Bildung stärken: Warum Schulen umdenken müssen

Stand
MODERATOR/IN
Stefan Troendle
Stefan Troendle, Reporter und Redakteur bei SWR Wissen aktuell und SWR2 Impuls. (Foto: SWR, SWR, Christian Koch)
INTERVIEW
Julius Grund, Institut Futur, Freie Universität Berlin
ONLINEFASSUNG
Antonia Weise

Emotionale Kompetenzen spielen laut einer neuen Studie in den Lehrplänen von deutschen Schulen kaum eine Rolle. Woran liegt das und was kann dagegen getan werden?

Eine Studie der Freien Uni Berlin hat 422 Lehrpläne aus allen Bundesländern, aus allen Schulformen und vielen Schulfächern analysiert. Das Ergebnis: Fast die Hälfte der Lehrpläne zielt überhaupt nicht darauf ab, emotionale Kompetenzen zu stärken.

Stefan Troendle, SWR2 Impuls im Gespräch mit Julius Grund, Institut Futur der Freien Universität Berlin.

SWR2 Impuls: Emotionale Bildung kann zu besseren Leistungen führen und Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Hat es Sie überrascht, dass in den Schulen trotzdem wenig getan wird?

Julius Grund: Ja, genau richtig. Es ist in der Forschung seit längerem klar, dass die Gesundheit gesteigert wird. Sowohl psychisch, aber auch körperlich - und letztendlich, dass auch akademische Leistungen verbessert werden können. Von daher hat es mich aus einer wissenschaftlichen Perspektive schon sehr überrascht. Weil wenn ich maximal gut in die zukünftige Generation investieren möchte, dann sollte ich die emotionalen Kompetenzen, das emotionale Lernen auf jeden Fall mitnehmen.

Ich habe ja auch vor knapp 20 Jahren die Schule besucht. Und auf einer ganz persönlichen Ebene, da hat es mich eher nicht überrascht, weil auch in meiner eigenen Erfahrung letztendlich der Umgang mit Emotionen, das Ausdrücken von Gefühlen in meiner gesamten Schullaufbahn letztendlich nie eine Rolle gespielt hat.

Wie bringt man Jugendlichen emotionale Kompetenz bei? Wie kann man diese überhaupt stärken?

Julius Grund: Es ist vielleicht wichtig zu sagen, dass bei uns allen die Basis für emotionale Kompetenz schon sehr früh gelegt wird. Das heißt, wie wir mit unseren eigenen Emotionen in Kontakt sind. Aber auch wie wir mit den Emotionen umgehen können.

Mit „früh“ meine ich ab der Geburt. Letztendlich sind wir als Kleinkinder auf die Emotionsregulation durch andere Menschen angewiesen. Das heißt, wir können uns nur durch Emotionen ausdrücken. Wenn wir Bedürfnisse haben, beispielsweise hungrig oder müde sind, sind wir ganz früh darauf angewiesen, dass unsere Eltern unsere Bedürfnisse erfüllen und damit die Gefühle regulieren.

Wenn ich dann aufwachse, erlebe ich ganz, ganz deutlich wie mein Elternhaus mit Emotionen umgeht. Das heißt, es kann sein, dass gewisse Emotionen eher sanktioniert werden, bestraft werden. Ein kulturell klassischer Fall wäre, dass zum Beispiel Jungen abgesprochen wird traurig zu sein. Bei Mädchen ist es eher die Wut, die nicht so erwünscht ist. Oder auch wie meine Eltern die eigenen Emotionen ausdrücken. Fliegen zum Beispiel bei einem Streit die Fetzen und wird sich komplett angeschrien und angegriffen - oder nicht? Das sind alles Erfahrungen, die wir sammeln, wenn wir aufwachsen. Die prägen sich stark in uns ein und wir übernehmen sie teilweise auch selbst.

Kinder lehnen über dem Sofa während sich die Eltern im Hintergrund streiten (Foto: IMAGO, /Panthermedia)
Bereits als Kinder werden wir in bestimmten Situationen durch die Reaktion unserer Eltern emotional geprägt.

Aber letztendlich ist die emotionale Kompetenz ein Leben lang formbar, das wird auch in der Forschung deutlich. Deswegen ist es natürlich auch im Bereich Schule, wo wir alle durchlaufen und viele, viele Jahre verbringen, total sinnvoll, das dort aufzugreifen und weiterzuentwickeln.

Wie stärke ich die emotionale Kompetenz?

Julius Grund: Wir würden argumentieren, dass sich emotionale Kompetenzen erst mal mit allen Themen verbinden lassen. Dementsprechend reicht es schon, wenn ich mich mit verschiedenen Themen in der Schule auseinandersetze und erstmal schaue, was diese Inhalte auf einer emotionalen Ebene mit mir machen. Das heißt, mich nicht nur rational positionieren, sondern auch mal nach innen zu schauen, ob es eine Gefühlsreaktion gibt. Und diese dann womöglich anderen ausdrücken, darüber zu sprechen und zum Beispiel auch zu lernen: Okay, wie kann ich mit meinen Gefühlen umgehen?

Das stelle ich mir jetzt bei den binomischen Formeln ein bisschen schwierig vor.

Julius Grund: Es gibt natürlich ganz spezifische Themen, die entweder eher technischer sind oder einfach von der Anlage wesentlich rationaler. Aber dennoch zeigt sich, dass in fast allen Fächern mit fast allen Themen in Verbindung, die emotionalen Kompetenzen gestärkt werden können. Denn wir merken und behalten uns Sachen, die emotional etwas mit uns machen. Wenn uns etwas emotional egal ist, dann merkt sich das auch unser Gehirn gar nicht.

Das heißt: Gute Bildungsarbeit muss von Grund auf schon mal emotional in Menschen bewegen. Wenn es das tut, dann kann ich immer diese Chance nutzen und schauen - Was macht das eigentlich mit mir? Und das in den Diskurs einbringen.

Frau sitzt deprimiert in der Schule und schaut nach vorne. (Foto: IMAGO, /Zoonar)
Laut den Forschenden sollten in der Schule auch die emotionalen Gedanken zu dem behandelten Thema abgefragt und diskutiert werden.

Religion oder Ethik sind ja eher die gefühligen Fächer. Aber wie sieht es bei anderen aus? Haben Sie ein paar Anwendungsbeispiele?

Julius Grund: Genau. Ethik, Philosophie waren auch in unserer Studie die Fächer, wo es am meisten vorkam. Wo es verhältnismäßig wenig vorkam, waren die Naturwissenschaften. Aber auch da fanden sich schon sehr, sehr gute Beispiele, wie es integriert werden kann.

Zum Beispiel im Fach Biologie gab es eine Fundstelle, da wurde gefordert, wenn sich die Schülerinnen und Schüler mit dem Gehirn auseinandersetzen und der Gehirnfunktion lernen, dann auch darüber zu lernen: Wie lernt eigentlich das Gehirn und welche Rolle spielen Emotionen beim Lernen? Das heißt, ich kann bei der Anatomie des Gehirns mir anschauen: Welche Regionen sind eigentlich emotionaler Natur und was haben die mit Lernen zu tun? Und dann wiederum auf mich selbst schließen? Was heißt das für mein eigenes Lernen? Wie lerne ich eigentlich gut?

Andere Bereiche, zum Beispiel aus den Naturwissenschaften ist das Thema Klimawandel in der Geografie oder auch Biodiversität in der Biologie. Das sind alles sehr aktuelle und globale Themen, die nachweislich auch bei jungen Menschen vielfältige Emotionen auslösen, zum Beispiel Zukunftsangst. Wenn ich diese Themen einfach erstmal nur vermittle im Sinne einer Wissensvermittlung - dann sollte ich auch im nächsten Schritt schauen: Was macht das emotional mit den Menschen von diesen globalen Krisen zu hören.

Gibt es Anzeichen, dass sich auch in den Lehrplänen etwas ändern könnte?

Julius Grund: Die haben wir für uns überraschenderweise nicht gefunden. Das heißt, von der Forschung her wird das Thema in den letzten Jahren und Jahrzehnten schon stärker gepusht und es gibt auch immer mehr Programme, die das einmalig an die Schulen bringen. Deswegen hätten wir auch erwartet, dass das in den letzten Jahren zugenommen hat. Dem ist aber nicht so, wir haben also in Lehrplänen, die kürzlich erst aktualisiert worden sind, nicht mehr emotionales Lernen gefunden als in sehr alten Lehrplänen.

Gelbe Smileys mit verschiedenen Emotionen. (Foto: IMAGO, /stock&people)
Einen Umgang mit Gefühlen entwickeln, auf die Emotionen anderer Menschen reagieren und vor allem die Gefühle bei sich zu einem Thema erkennen, das wird in deutschen Schulen kaum aufgegriffen.

Was für Auswirkungen hat das Beiseiteschieben von Empathie in den Lehrplänen langfristig? Geht das in Richtung weniger Rücksichtnahme, Verrohung der Gesellschaft?

Julius Grund: Das ist natürlich kausal sehr schwer vorherzusagen. Ich würde es vielleicht erst mal umdrehen und sagen, welche Chancen eigentlich darin liegen. Ich glaube, dass die Schule wesentlich stärker davon wegkommen muss, sich rein auf Wissensvermittlung zu fokussieren, denn das Wissen ist letztendlich überall im Internet auffindbar und überall zugänglich. Deswegen würde ich dafür plädieren, Bildungsarbeit viel stärker als eine Beziehungsarbeit zu verstehen und Themen wie Perspektivübernahme, Empathie, sich in andere reinfühlen und sich auch offen dafür machen, was andere Menschen erleben, was deren Bedürfnisse und Emotionen sind. Das erzeugt, glaube ich, grundlegend auch eine größere Fähigkeit in den Austausch zu gehen.

Das ist womöglich in einer Zeit, die stärker davon geprägt ist, dass sich Fronten verhärten und der Diskurs vielleicht nicht mehr geführt wird oder aggressiv geführt wird, eher ein Kampf in Argumenten ist, als auch mal verstehen zu wollen, was beim anderen los ist. Da sehe ich auch wieder die Chance für einen größeren sozialen Zusammenhalt.

Mehr zum Thema: Schule und Bildungssystem

SWR Science Talk So vermittelt man erfolgreich Mathematik

Schlecht in Mathe – oft liegt das am langweiligen Unterricht. Dabei kann das Fach Spaß machen. Wie das gelingt, erläutert die Tübinger Mathematikerin Professorin Carla Cederbaum.

Science Talk 3sat

Kommentar Bildung geht wegen anderer Krisen unter

Der Präsident des Lehrerverbandes fordert ein Sondervermögen Bildung und warnt, dass die nächste Pisastudie katastrophal ausfallen wird. Statt da gegenzusteuern, wird geknausert wo es geht. Ein Kommentar.

Bildung So kann Schule besser gelingen

Unter welchen Voraussetzungen lernen Schülerinnen und Schüler am besten? Ralf Caspary im Science Talk mit dem Netz-Lehrer, Buchautor und Podcaster Bob Blume. (Aufzeichnung vom 14. Januar 2023 beim SWR Podcastfestival in Mannheim)

SWR2 Wissen SWR2

Stand
MODERATOR/IN
Stefan Troendle
Stefan Troendle, Reporter und Redakteur bei SWR Wissen aktuell und SWR2 Impuls. (Foto: SWR, SWR, Christian Koch)
INTERVIEW
Julius Grund, Institut Futur, Freie Universität Berlin
ONLINEFASSUNG
Antonia Weise